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Kirche und Künstliche Intelligenz: KI-Jesus im Beichtstuhl verblüfft Kirchenobere

Avatar direkt in der Kirche: Eine Schweizer Kirche hat in diesem Jahr mit künstlicher Intelligenz einen sprechenden Jesus kreiert, der in einem Beichtstuhl Rede und Antwort stand. Schräg oder die Zukunft?
24.12.2024 16:16
Lesezeit: 3 min
Kirche und Künstliche Intelligenz: KI-Jesus im Beichtstuhl verblüfft Kirchenobere
Hinter dem Beichtstuhl-Gitter in der Peterskapelle in Luzern wurde ein KI-Jesus als experimentelle Kunstinstallation kreiert. (Foto: dpa)

Mit Jesus plaudern und ihn um Rat fragen: Das ist der Traum vieler Christen. In einer Kapelle in der Schweiz ging das, zumindest virtuell: Sie hat mit künstlicher Intelligenz einen Jesus kreiert, der in einem Beichtstuhl Rede und Antwort stand. Der hübsche junge Mann mit langen Haaren und Bart war natürlich bibelfest. Warum eine Theologin damit Probleme hat, kommt später.

„Friede sei mit Dir, mein Freund“, sagt der KI-Jesus etwa gütig. „In Zeiten der Unsicherheit und des Zweifels erinnere Dich daran, dass Glaube Berge versetzen kann. Was bedrückt Dein Herz heute?“

Der KI-Jesus sei eine experimentelle Kunstinstallation, betonen die Oberen der Peterskapelle in Luzern. Das Gotteshaus hat Wurzeln im 12. Jahrhundert und liegt gleich neben der weltberühmten Kapellbrücke. Es sei nie um einen Ersatz für echte Beichtgespräche gegangen, sagt Marco Schmid, theologischer Mitarbeiter. Der KI-Jesus wurde mit harten Fragen trainiert und mit dem neuen Testament gefüttert, sagt er.

Von mitfühlend bis abgedroschen

„Ich war oft überrascht, wie gut die Antworten waren“, sagt Schmid. Manchmal habe er gedacht: „Hey, das hätte ich auch so gesagt.“ Abgedroschenes kam vom KI-Jesus aber auch. Eine Kostprobe: „In einer Zeit der Technologie und schnellen Veränderungen bleibt der Kern unseres Glaubens unverändert: Liebe, Hoffnung und Glaube“. Dazu sagt Schmid: „Prediger sind auch oft schlecht.“

Viele Kirchen experimentieren mit KI. Zum Reformationstag 2023 bot die Evangelische Kirche im Rheinland etwa einen KI-gesteuerten Avatar von Martin Luther an, der Fragen beantwortete. Die Luzerner Version mit dem Avatar direkt in der Kirche ist aber ungewöhnlich.

Ein altmodischer Jesus?

Mühe mit dem Luzerner Design hat Theologin Anna Puzio (30) aus Münster. Sie befasst sich an der Universität Twente in den Niederlanden unter anderem mit Technikethik und betont, dass sie sehr offen sei für KI im religiösen Raum. „Da wird als Jesusbild ein sehr westlich geprägter Mann mit Bart erzeugt – das ist ein Bild, das wir in der Theologie schon lange überwunden haben.“

Das gelte auch für viele Antworten, so Puzio. Die KI nutze unreflektiert Datenmaterial aus alten religiösen Schriften und erzeuge damit zum Beispiel ein überholtes Bild der Frau: „Das stärkt alte religiöse Vorstellungen, die in der Theologie längst als überholt gelten, und auch fundamentalistische Tendenzen in der Kirche.“ Texte aus der Bibel müssten immer interpretiert und in einen modernen Kontext gebracht werden. „Das hat die KI nicht geleistet.“

In dem Beichtstuhl sah der Jesus-Avatar nach althergebrachtem Bildnis hinter dem Gitter zwischen Beichtendem und Seelsorger ziemlich echt aus. Die Worte der Besucher wurden aufgenommen und in einen Computer gespeist. Die Antwort wurden mit ChatGPT generiert und von dem Avatar dann geäußert.

Zack-zack Antworten

Schmid bemängelt: „Er schießt die Antworten raus wie aus einer Kanone, zack-zack, ohne Pausen.“ Das fanden manche schwierig. Andererseits habe er von skeptischen Theologen gehört: „Wenn ich so ausgeglichen-empathisch wie der gesprochen hätte, hätte ich vielleicht ein besserer Seelsorger sein können.“

Der KI-Jesus war ein zweimonatiges Experiment, geschaffen mit der Hochschule von Luzern, das bis Oktober lief. 60 Prozent von 290 Menschen, die nach ihrem Gespräch mit dem KI-Jesus einen Fragebogen ausfüllten, hätten sich religiös-spirituell angeregt gefühlt, sagt Schmid.

Hoher Stromverbrauch

Theologin Puzio betont aber auch: KI-Anwendungen verursachten durch die nötige Rechnerleistung mit viel Strom hohe Emissionen. Das sei mit der Verantwortung für die Schöpfung kaum in Einklang zu bringen. Besser sei es weniger, aber verantwortungsvolle KI-Projekte zu entwickeln.

Für die Evangelische Kirche Deutschland geht das Kunstprojekt „sicherlich an eine Grenze“, wie ein Sprecher auf Anfrage sagt. Dennoch: „An Weihnachten begibt Gott sich als zerbrechliches Kind in die Futterkrippe eines Stalls. Warum also sollte Gott einen Beichtstuhl mit KI meiden?“, sagt er. „In jedem Fall fordert das Kunstprojekt zur Frage heraus: Wo rechnen wir heute mit Gott?“

KI-Jesus als Brücke

Das Projektteam wertet die rund 900 Gespräche von 18- bis 70-Jährigen nun weiter aus. Für Datenschutz hat KI-Jesus selbst gesorgt: „Er hat am Anfang erklärt, dass alles aufgenommen wird und dass man bitte keine persönlichen Informationen geben soll, das haben Besucher per Knopfdruck bestätigt.“

KI in der Kirche könne helfen, wenn Menschen sich aus Scham erst mal keinem Seelsorger anvertrauen wollen, meint Schmid. So ein Gespräch könne ein erster Schritt zur Öffnung sein. Eine Autistin habe ihm gesagt, das Gespräch mit dem KI-Jesus sei einfacher für sie gewesen, weil sie sich schwer auf andere Menschen einlassen könne. In Schulklassen, die mit dem KI-Jesus über Videolink sprachen, sei anschließend rege über Religion diskutiert worden.

In der Kapelle waren immer Seelsorger zur Hand, falls jemand von der Begegnung aufgewühlt gewesen wäre. Das sei nicht passiert, aber viele Leute hätten Gesprächsbedarf gehabt, weil sie neugierig und fasziniert waren.

Wo KI-Jesus sprachlich scheitert

Die Kunstinstallation in Luzern fand im Rahmen des 100. Geburtstags der Lukasgesellschaft statt, die Menschen aus Kunst, Architektur, Kunstgeschichte und Theologie zu Projekten im Bereich Kunst und Kirche vereint. Schmid könnte sich eine Weiterentwicklung vorstellen. Allerdings hätte der KI-Jesus dann noch einiges zu lernen. Er konnte zwar in 100 Sprachen antworten, aber nicht in allen. „Wenn jemand schweizerdeutsch gesprochen hat, hat er auf Niederländisch oder Hebräisch geantwortet,“ sagt Schmid.

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