Panorama

Titel, Thesen, Tumulte: Wie sich die ARD mit einer Personalie selbst diskreditiert

Wie eine Petition von Kulturschaffenden die Intendanten und Personalverantwortlichen bloßstellt: Nach Kehrtwende wegen der Berufung des Moderators Thilo Mischke droht mal wieder eine grundsätzliche Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Es geht inzwischen um mehr als nur Fernsehgebühren.
06.01.2025 11:13
Aktualisiert: 06.01.2025 11:13
Lesezeit: 5 min
Titel, Thesen, Tumulte: Wie sich die ARD mit einer Personalie selbst diskreditiert
Abgepfiffen: Der (als neuer Moderator vorgesehene) Journalist Thilo Mischke wird nun doch nicht das ARD-Kulturmagazin "ttt - titel thesen temperamente" übernehmen. (Foto: dpa) Foto: Marc Rehbeck

Thilo Mischke ist seinen Job als Moderator des ARD-Kulturmagazins "ttt - titel, thesen, temperamente" schon wieder los, bevor er noch vor der Kamera wie bislang Max Moor glänzen konnte. Der öffentlich-rechtliche Rundfunkverbund hat einen verhängnisvollen Rückzieher gemacht. Der Journalist sieht sich seit gut zwei Wochen Vorwürfen etwa des Sexismus ausgesetzt, die sich auch auf ein 15 Jahre altes Buch beziehen: eine unterhaltsame Weltreise eines jungen Journalisten, die den Autor höchstselbst heute eher peinlich berührt. Wobei sich der Buchtitel als eigentliches Problem aufdrängt. Es heißt: "In 80 Frauen um die Welt". Geschmackssache!

Doch der Druck wurde stetig größer. Die Debatte ging am Wochenende sogar nach einer drastischen ARD-Kehrtwende weiter - ohne die Hauptperson anzuhören. Thilo Mischke äußert sich bislang konsequent nicht! So kommt es, dass ein besonders merkwürdiger, geradezu abstruser Fall von "Metoo" das deutsche Fernsehen erschüttert.

Was ist nun Schlimmes passiert?

Vor Weihnachten hatte die ARD bekanntgemacht, dass Thilo Mischke ab Februar gemeinsam mit Siham El-Maimouni die Moderation der Sendung übernimmt, die sonntags am späten Abend im Ersten ausgestrahlt wird und zu den Highlights im Ersten zählt. Die Kultursendung zählt zu den bekanntesten Kultur-Formaten der ARD. Die Sendung gibt es seit 1967, sie hat durchschnittlich rund 850.000 Zuschauer. Nach ARD-Angaben ist El-Maimouni als Hauptmoderatorin gesetzt - Ko-Moderator Mischke darf unterdessen einpacken!

Der banale Grund: Im Netz gab es zu der Personalie neben Zustimmung schnell auch viel Kritik. In einem Podcast wurden eifrig Zitate Mischkes aus seinem früheren Werk zusammengetragen. Zuletzt kursierte ein offener Protest-Brief von Kulturschaffenden, die ihre Zusammenarbeit mit Mischke verweigern wollten und Druck aufbauten. Sie werfen dem Journalisten vor, sich nicht kritisch genug mit seinem früheren Werk auseinandergesetzt und sich nicht ausreichend distanziert zu haben.

Der Unmut dreht sich um die Vergangenheit des Journalisten und Autoren. Das besagte Buch "In 80 Frauen um die Welt" aus dem Jahr 2010 verstörte reflexartig die Kulturszene, so hört man. Mischke reiste damals wegen einer Wette, 80 Frauen verführen zu wollen, um die Welt. Früher wäre so zum Star geworden. Man könnte von einer Jugendsünde sprechen, wenn die Wokeness mittlerweile nicht so gnadenlos wäre, bei der Aufarbeitung von Lebensläufen. Mischke selbst hat unterdessen dafür gesorgt, dass das Buch nicht weiter veröffentlicht wird. Zu spät, Ablasshandel, so geht das nicht!

ARD will "Rufschaden abwenden"

Die ARD zog jedenfalls erstaunlich schnell Konsequenzen. Die kämpferische Phase der Anstalt dauerte nur wenige Tage. In einem zerknirschten Statement heißt es inzwischen: "Thilo Mischke und die ARD sind sich einig darin, dass es nun vor allem darum geht, einen weiteren Rufschaden von 'ttt' und Thilo Mischke abzuwenden." Mischke befindet sich angeblich in einem noch andauernden Prozess der Auseinandersetzung mit den Ereignissen und werde sich zu gegebener Zeit selbst zur Sache äußern.

ARD-Programmdirektorin Christine Strobl sieht die aktuelle Diskussionskultur insgesamt kritisch: "Ich habe in den letzten Tagen schon das Gefühl gehabt, dass wir in einer sehr aufgeregten, sehr dynamisierten Form diskutiert haben. Ich wünsche mir, dass wir wieder zu einer Form zurückkommen, die nicht eine Debatte unmöglich macht", sagte die Managerin.

Das politische ARD-Aushängeschild Christine Strobl, die nach eigenen Angaben nicht in die internen Entscheidungsprozesse nach der Personalentscheidung eingebunden war, ergänzte diplomatisch: "Die Entscheidung der Kulturchefinnen und -chefs beruht auf der Erkenntnis, dass eine Diskussion nicht mehr möglich ist. Und das finde ich einen problematischen Zustand, und das treibt mich sehr um." Doch: Warum stellt sich Strobl dann nicht vor Mischke - oder beharrt konsequent auf die Autonomie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?

Umgang mit früheren Fehlern

Immerhin gibt es ja längst erste Kollateralschäden zu verzeichnen. Die Podcasterin Jule Lobo etwa. Sie hätte eigentlich zusammen mit Thilo Mischke zur "ttt"-Marke einen Podcast aufnehmen und produzieren sollen. Weil die ARD aber auch hierfür auf Mischkes Mitarbeit verzichten will, ist die Zukunft des angedachten Projekts nun gänzlich offen. Lobo postete auf Instagram fassungslos: "Ich hätte mir gewünscht, dass man in diesem Fall nicht nur über die problematischen Äußerungen, sondern auch über Fehlerkultur und den Umgang mit früheren Fehlern sprechen kann." Und ergänzte: "Allein schon aus meiner Erfahrung, dass wir alle täglich dazulernen können und Menschen Chancen eingeräumt werden müssen, ist es, glaube ich, auch notwendig, dass wir darüber sprechen. Aber das wird nun anders geschehen müssen." Die ARD und ihr Verständnis der vom Grundgesetz garantierten Grundrechte?

ARD hielt zunächst an Mischke fest

Wie gesagt, die ARD hatte zunächst eigentlich an der Personalie Mischke - trotz der Kritik - festhalten wollen und nassforsch betont: "`ttt´ stellt sich gegen jede Form von Sexismus und Rassismus und steht, genauso wie Thilo Mischke, für Meinungsvielfalt und Toleranz." Seit der Buchveröffentlichung im Jahr 2010 habe Mischke sich "intensiv und selbstkritisch mit den Vorwürfen, darin ein sexistisches Frauenbild vermittelt und stellenweise rassistische Sprache benutzt zu haben, auseinandergesetzt". Lippenbekenntnisse, die nicht lange standhielten. Der Mut der Redakteure und Intendanten ist offenbar begrenzt.

Der Auswahlprozess für die Moderation dauert schon seit März 2024 an, wie ARD-Managerin Strobl sagte. Auf die Frage, ob die Sender-Familie am Ende "umgefallen" sei, antwortete sie schnippisch: "Das ist kein Umfallen, sondern ein Erkennen, dass die für uns relevanten Kultur-Themen durch eine Diskussion um die Personalie überlagert werden." Aus dem ARD-Statement ging freilich nicht eindeutig hervor, ob man eine Zusammenarbeit mit Thilo Mischke nur für das Format "ttt" oder in aller Zukunft generell für die gesamte ARD ausschließt. Die Diskussion könnte also noch bunt werden - und einige Zeit weitergehen.

Hochkarätige Auszeichnungen in früheren Jahren

Hat der (wie eine heiße Kartoffel fallen gelassene) Moderator das verdient? Thilo Mischke ist insbesondere durch Reportagen für den privaten Fernsehsender ProSieben bekannt geworden. Den schaut man in Kulturkreisen eher weniger, weshalb die Kritik womöglich erst im Nachhinein ausgebrochen ist.

Dass Mischke 2023 den Deutschen Fernsehpreis für seine ProSieben-Reportage "Verlassen und vergessen? Afghanistan im Griff der Taliban" gewonnen hat, wer weiß das schon, wen interessiert das noch? Vor der vergangenen Bundestagswahl interviewte Mischke im April 2021 für ProSieben sogar die damals erst frisch gekürte Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock (Grüne) - für den Unterhaltungssender gewiss ein Scoop. 2020 gewann der Journalist obendrein den Bayerischen Fernsehpreis für seine ProSieben-Reportage "Deutsche an der ISIS-Front". Er stellte Menschen vor, die für die Terrormiliz Islamischer Staat in den Krieg gezogen sind. In früheren Jahren hat der Nachwuchs-Journalist lange auch für das in Medienkreisen respektierte Jugend-Magazin "Neon" geschrieben - ein durchaus geschätzter Kollege, so hört man. Doch die Zeiten ändern sich. Neuerdings reicht es offenbar schon, sich früher mal im Ton vergriffen zu haben, und - schwupps - man ist weg vom Fenster.

ProSieben spricht von einen "wilden Jagd"

ProSieben stellte sich indes hinter (oder auch vor) Thilo Mischke. Der Sender postete bereits am Donnerstag laut vernehmlich: "Was für eine wilde Jagd auf Thilo Mischke. Wir schätzen ihn, weil er seit Jahren unfassbar wichtige und gute Reportagen macht, für die er vielfach ausgezeichnet wurde. Ihn nur an einem Buch aus der Damals-Zeit zu messen, ist ein sehr sehr selbstgerechter Ansatz, der viel über diejenigen aussagt, die genau das machen." Nur ein lässlicher Fehler - und nun für immer geächtet? Früher hätte es noch einer strafrechtlichen Verurteilung bedurft. Heute reichen bereits geschmackliche Vorverurteilungen, möchte man meinen und wundert sich, wie die ARD ihrem Sendeauftrag nachkommen will unter derlei Umständen.

Christoph Körfer von ProSieben teilte wenigstens jetzt mit: "ProSieben arbeitet seit Jahren vertrauensvoll mit Thilo Mischke zusammen." Man freue sich "auf besondere Thilo-Mischke-Reportagen in 2025 - "und den Jahren danach auf ProSieben". Als Frage bleibt letztlich offen, welche Personalien die Causa wohl in der ARD nach sich ziehen wird. Doch die Chancen für einen Restart haben die Kultusminister vor wenigen Wochen wohl vertan.

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Peter Schubert

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

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