Nicht einmal jeder zweite Beschäftigte in Deutschland gibt am Arbeitsplatz sein Bestes. Laut der „Work Reimagined“-Studie, für die der Wirtschaftsprüfer EY weltweit über 17.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer befragt hat, liegt der Anteil hierzulande bei 48 Prozent – deutlich unter dem internationalen Durchschnitt von 54 Prozent. „Wenn wir diesen Trend nicht umkehren, könnte das langfristig den Wirtschaftsstandort Deutschland schwächen“, warnt Nelson Taapken, Partner People Consulting bei EY und Mitautor der Studie.
Arbeitszufriedenheit auf einem Tiefpunkt
Ein weiteres Ergebnis der Studie: Nur 31 Prozent der deutschen Arbeitnehmenden sind mit ihrer Jobsituation wirklich zufrieden. Zum Vergleich: 2021 waren es noch 49 Prozent. „Deutschland konnte im internationalen Standortwettbewerb schon immer mit hoch motivierten und hervorragend ausgebildeten Arbeitskräften punkten“, sagt Taapken. „Wenn nun Länder wie Indien oder China motiviertere Arbeitnehmende haben, sollte das den Arbeitgebern zu denken geben.“
Generationenkonflikte verschärfen die Lage
Die Motivationskrise betrifft jedoch nicht alle Altersgruppen gleichermaßen. Während 63 Prozent der sogenannten Babyboomer, also der Jahrgänge 1946 bis 1964, motiviert bei der Arbeit sind, sind es bei der Generation Z (bis 29 Jahre) lediglich 43 Prozent.
„Den jungen Beschäftigten stecken die Nachwirkungen der Pandemie und die Veränderungen im Berufsleben offenbar noch tief in den Knochen“, sagt Jan-Rainer Hinz, Mitglied der EY-Geschäftsführung mit Blick auf die Zahlen. „Unternehmen mussten diese noch nie dagewesene Situation für sich und die Angestellten auf unterschiedliche Art meistern und dabei eigene Wege finden, um den 'Laden am Laufen zu halten'.“
Homeoffice: Chance oder Motivationsfalle?
Laut der EY-Studie spiegelt sich dies vor allem im Trend zu flexiblen Arbeitsmodellen und der Gestaltung des Arbeitsalltags wider. Demnach arbeiten 21 Prozent der Beschäftigten ausschließlich von zu Hause aus, weitere 36 Prozent verbringen den Großteil ihrer Arbeitszeit im Homeoffice. 15 Prozent gaben dagegen an, gar nicht von zu Hause aus zu arbeiten - mit entsprechenden Folgen: So gaben 59 Prozent der Befragten an, dass die Arbeit von zu Hause aus die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen erschwert.
„Das Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben“
Fast ebenso viele Beschäftigte (58 Prozent) gaben an, dass die Abgrenzung zwischen Privatleben und Arbeit im Homeoffice schwierig sei und auch die Zusammenarbeit mit dem eigenen Team Probleme bereite (57 Prozent). Umgekehrt sehen 74 Prozent der Befragten das soziale Miteinander im Büro als klaren Vorteil. Fast ebenso viele sind der Meinung, dass die Zusammenarbeit im Team vor Ort besser funktioniert (72 Prozent).
„Homeoffice hat sich während der Pandemie in vielen Branchen als Arbeitsmöglichkeit etabliert. Das Arbeiten von zu Hause ist offenbar gekommen, um zu bleiben, wenn es nach den Beschäftigten geht - allerdings mit Einschränkungen. Denn fünf Tage in der Woche von zu Hause aus zu arbeiten, wünscht sich nur ein kleiner Teil“, so Studienautor Taapken. Das habe gute Gründe: „Räumliche Nähe etwa kann für eine optimale Zusammenarbeit im Team ein entscheidender Faktor sein.”
Eine Lösung für alle gibt es nicht
Eine komplette Abkehr vom Homeoffice sei trotzdem nicht ratsam: „Unternehmen schränken sich in Bezug auf den Pool an Talenten – der vielfach durch den Fachkräftemangel zusätzlich begrenzt ist – nur unnötig ein, wenn sie auf eine hundertprozentige Büropflicht bestehen.“ Das Management müsse von Fall zu Fall und von Abteilung zu Abteilung entscheiden, da eine einheitliche Lösung für ganze Unternehmen kaum vermittelbar sei.
Taapken stellt mit Blick auf die anhaltende Homeoffice-Debatte eine grundsätzliche Frage: „Was genau spricht aus Sicht des Managements gegen das Arbeiten aus dem Homeoffice? Ist es mangelndes Vertrauen der Führungskräfte in den Arbeitseifer der Beschäftigten in den eigenen vier Wänden – die sogenannte Produktivitätsparanoia – sollte dies den Managerinnen und Managern zu denken geben.“
Digitalisierung und KI als Hebel für höhere Motivation
Diese Diskussion über Homeoffice und Vertrauen verdeutlicht, wie wichtig es ist, Arbeitsmodelle und Technologien an die Bedürfnisse der Belegschaft anzupassen. Ein Schlüssel liegt laut EY in der Digitalisierung und dem gezielten Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI), um Mitarbeitende zu unterstützen und ihre Motivation zu fördern.
Der Anstieg der Nutzung generativer KI von 22 Prozent im Jahr 2023 auf 75 Prozent im Jahr 2024 unterstreiche das enorme Potenzial dieser Technologien, so Regina Karner, Partnerin und Leiterin des Bereichs People Advisory Services bei EY Österreich. „GenAI ist entscheidend dafür, wie Unternehmen ihre Talentstrategie gestalten. Unternehmen, die GenAI frühzeitig eingeführt haben, könnten zu den attraktivsten Arbeitgebenden für die besten Talente gehören.“
Maßnahmen für eine zukunftsfähige Unternehmenskultur
Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie verstärkt in Technologie und Kompetenzen investieren müssen, um dem Bedürfnis ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Wohlbefinden am Arbeitsplatz nachzukommen. „Unternehmen, die eine kohärente und positive Unternehmenskultur für eine vielfältige Belegschaft schaffen”, erklärt Karner, “sind besser für die Zukunft gerüstet und haben die Chance, eine nachhaltige Personalstrategie zu definieren.“
Für Nicole Bauer, Geschäftsführerin von Talentscout Consulting und Expertin für strategisches Recruiting, geht es beim um ganz grundlegende Punkte: „Teamgeist, Wertschätzung und transparente Kommunikation schaffen ein Umfeld, in dem sich Talente wohlfühlen und langfristig bleiben wollen.” Wichtig sei es, Perspektiven zu bieten, etwa durch Weiterbildungsangebote, Mentoring-Programme oder individuelle Entwicklungspläne. „KMU haben oft den Vorteil, dass sie direkter auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingehen können.”
Um Talente und Fachkräfte zu halten zu halten, sollten Unternehmen hybride Arbeitsmodelle ausbauen und Anreizsysteme schaffen, die auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden eingehen. „Flexibilität ist eine der größten Erwartungen der Generation Z”, weiß Bauer. “Hybride Arbeitsmodelle oder die Möglichkeit, temporär im Ausland zu arbeiten, sind für viele junge Talente entscheidend.”