Die Bundesregierung hat Forderungen nach der Ausrufung einer nationalen Notlage zur Eindämmung irregulärer Migration eine klare Absage erteilt. Deutschland ergreife bereits „sehr weitreichende Maßnahmen und weitere wären europarechtlich aus Sicht der Bundesregierung nicht machbar“. Die Fakten und die Rechtslage gäben das nicht her. „Das geht aus Sicht der Bundesregierung nicht“, sagte Ministeriumssprecher Maximilian Kall.
Voraussetzung für nationale Notlage nicht gegeben
Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner ergänzte, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe am Wochenende in einem Interview dargelegt, dass es „sehr strikte Vorgaben gibt dafür, sich auf einen Notstand zu berufen“. Diese seien nicht erfüllt.
Die Union will diese Woche einen Fünf-Punkte-Plan in den Bundestag einbringen. Darin fordert sie eine „Zurückweisung ausnahmslos aller Versuche illegaler Einreise“. Wer keine gültigen Einreisedokumente besitzt, soll nicht ins Land gelassen, sondern „konsequent an der Grenze zurückgewiesen“ werden. Das soll für alle gelten.
In den Erklärungen zu dem Plan heißt es außerdem, in der derzeitigen Gesamtsituation „ist es die Pflicht Deutschlands und damit der Bundesregierung, nationales Recht vorrangig anzuwenden, wenn europäische Regelungen nicht funktionieren – so wie es in den Europäischen Verträgen für außergewöhnliche Notlagen vorgesehen ist“.
Keine „nationale Alleingänge“
Zurückweisungen an den deutschen Grenzen „von Menschen, die kein Recht haben, nach Deutschland einzureisen“, fänden bereits „im großen Umfang statt“, sagte der Sprecher des Innenministeriums. Ein Großteil irregulärer Einreisen sei also dadurch verhindert worden. Allerdings könne nicht „völlig unterschiedslos zurückgewiesen werden“.
Derlei „nationale Alleingänge“ setzten nicht nur die Zusammenarbeit mit den Nachbarländern aufs Spiel, sagte der Sprecher weiter. Zudem seien die rechtlichen Anforderungen dafür nicht gegeben, die Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union dafür stellt – nämlich eine „tatsächliche und schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit“.
In Deutschland finden bereits seit Herbst an allen deutschen Landgrenzen wieder Kontrollen statt, vorher gab es vereinzelt Kontrollen an einigen Landgrenzen. Die Bundesregierung begründet dies mit der Migrations- und Sicherheitslage. An den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz gibt es stationäre Kontrollen schon seit Mitte Oktober 2023, an der deutsch-österreichischen Landgrenze wurden sie bereits 2015 eingeführt.
Innenministerium warnt vor Konfrontation mit Nachbarstaaten
Solche Kontrollen im Schengenraum sind aber nur im Fall „außergewöhnlicher Umstände“ sowie vorübergehend und „als letztes Mittel“ erlaubt. Zu den Forderungen der Union gehören hingegen dauerhafte Grenzkontrollen zu allen Nachbarstaaten.
„Auch das, was es im Moment schon an Zurückweisungen gibt, würde man riskieren durch ein solches konfrontatives Vorgehen gegen unsere Mitgliedstaaten“, sagte der Sprecher des Bundesinnenministeriums. Die Kooperation mit den Nachbarstaaten – etwa gemeinsame Streifen – wären durch einen solchen nationalen Alleingang gefährdet. Da Regierungsvertreter aus Nachbarländern wie Österreich und Polen bereits angekündigt hätten, sich gegen umfassende Zurückweisungen Deutschlands sperren zu wollen, hätte ein solches Vorgehen auch nicht den beabsichtigten Effekt, da eine lückenlose Grenzkontrolle nicht möglich sei.
Registriert wurden 2024 laut vorläufigen Zahlen rund 83.000 unerlaubte Einreisen - nach rund 127.500 im Jahr 2023. Mehr als jeder zweite aufgegriffene Ausländer (rund 46.750) wurde zurückgewiesen. Wer ein Asylgesuch stellt und keine Einreisesperre hat, kann einreisen.
Wahl 2025: SPD will „europarechtskonformen“ Weg
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warf der Union vor, mit der Forderung nach Zurückweisung aller Menschen ohne Einreiseerlaubnis einschließlich Asylsuchender „die faktische Abschaffung“ des Grundrechts auf Asyl vorzuschlagen. „Das ist verfassungswidrig und lässt sich auch nicht einfach per Dekret verfügen“, sagte er der Saarbrücker Zeitung.
Mützenich rief Merz auf, noch in dieser Woche vorliegenden Regierungsentwürfen zu einer Mehrheit im Bundestag zu verhelfen, die sofort Verbesserungen bringen könnten. „Damit können wir in dieser Woche ein deutliches Zeichen setzen. Und ich fordere alle demokratischen Fraktionen auf, einen europarechtskonformen Weg einzuschlagen“, sagte Mützenich.
Konkret geht es um:
* die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) - SPD und Grüne bräuchten für eine Mehrheit die Union. Vorgesehen ist etwa, dass über einen wesentlichen Teil der Asylanträge bereits an den EU-Außengrenzen entschieden wird. In Deutschland könnten die Verfahren direkt an den Flughäfen abgewickelt werden.
* Auch ein Sicherheitspaket mit mehr Befugnissen für das BKA und
* ein Reformpaket für die Bundespolizei mit einer Ausweitung der Kompetenzen könnten laut Mützenich noch diese Woche beschlossen werden.
Union drängt auf Zustimmung für eigenen Vorhaben
Die Union drängt ihrerseits, SPD und Grüne, ihren Anträgen zuzustimmen – dann wäre auch das Abstimmungsverhalten der AfD irrelevant. Ihr Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) erinnerte an die jüngsten Tötungsfälle, bei denen Ausländer unter Tatverdacht stehen. „Nach Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg ist für uns klar, dass die Grenze des Zumutbaren längst überschritten ist“, sagte er dem RND. „Kompromisse sind nicht länger tragbar. Jetzt liegt es an der SPD, klar Stellung zu beziehen.“
Die Fraktionsvizevorsitzende Andrea Lindholz (CSU) rief SPD und Grüne auf, sich mit den Vorschlägen auseinanderzusetzen – statt sich auf eine mögliche Zustimmung der AfD zu fokussieren. „Die Brandmauer-Debatte ist ein reines Ablenkungsmanöver“, sagte sie. "Die Union hat sich in den letzten Jahren Vorhaben von übergeordneter Bedeutung nicht verschlossen.“ Auch die SPD habe einst der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten – von März 2016 bis Juli 2018 - zugestimmt.
Was sind ihre Punkte?
Die Union fordert in ihren Anträgen:
* dauerhafte Grenzkontrollen und die Zurückweisung ausnahmslos aller Versuche einer illegalen Einreise - unabhängig von einem Asylgesuch
* Abschiebehaft für nachvollziehbar ausreisepflichtige Personen
* mehr Unterstützung für die Bundesländer beim Vollzug der Ausreisepflicht
* ein schärferes Aufenthaltsrecht für Straftäter und sogenannte Gefährder
* nationales Recht vorrangig anzuwenden, wenn EU-Regelungen nicht funktionierten - wie es für "außergewöhnliche Notlagen" vorgesehen ist
Außerdem will die Union eine Bundestagsabstimmung über das von ihr bereits eingebrachte sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz erreichen, was aber schwer durchzusetzen sein dürfte.