Technologie

Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts: Kein Anspruch auf Papier - und in einem anderen Fall auf Mail-Adressen

Der Arbeitsalltag vieler Menschen wird digitaler und mobiler. Das sorgt für Konflikte - auch weil Gesetze fehlen. Neue Regeln stellten jetzt die höchsten Arbeitsrichter auf. Papier ist passé!
02.02.2025 11:02
Lesezeit: 3 min
Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts: Kein Anspruch auf Papier - und in einem anderen Fall auf Mail-Adressen
Unwägbares Gelände in der digitalen Welt - so wie auch der Weg führt zum Eingang des Bundesarbeitsgerichts. (Foto: dpa) Foto: Martin Schutt

Bei einer großen Supermarktkette ist die gute alte Gehaltsabrechnung auf Papier passé - eine Verkäuferin zweifelt die digitale Variante an und klagt sich bis in die höchste Arbeitsgerichtsinstanz in Erfurt. Die Bundesarbeitsrichter beschäftigten sich nicht nur in ihrem Fall mit der Frage, wie digital der Arbeitsalltag für Millionen Menschen sein darf und welche Regeln gelten - für Arbeitnehmer, Unternehmen und Gewerkschaften.

"Es ist ein ziemlich unwägbares Gelände, das wir hier betreten", sagte Gerichtspräsidentin Inken Gallner in der Verhandlung um die Herausgabe von E-Mail-Adressen an eine Gewerkschaft. Verhandelt wurden zwei sehr unterschiedliche Fälle bei Edeka in Niedersachsen und Adidas in Bayern. Deutlich wurde, dass der Gesetzgeber bisher nicht mit den Veränderungen der Arbeitswelt Schritt hält.

Worum ging es der Supermarktverkäuferin?

Hinter ihrem Fall steht die grundsätzliche Frage: Dürfen Gehaltsabrechnungen und andere Personaldokumente ausschließlich digital in ein passwortgeschütztes Mitarbeiterportal geschickt werden? Immer mehr Unternehmen gehen dazu über, sagen Fachleute. Edeka hat die Einführung des digitalen Mitarbeiterportals 2021 per Konzernbetriebsvereinbarung mit Übergangsfristen geregelt, Dokumente können bei Bedarf auch in der Arbeitsstelle ausgedruckt werden. Die Klägerin und ihr Arbeitgeber stritten seit vielen Monaten darüber, ob die Entgeltabrechnung auf elektronischem Weg ordnungsgemäß erteilt ist oder nicht.

Wie entschied das Bundesarbeitsgericht?

Die Richter sagten Ja zur ausschließlich digitalen Gehaltsabrechnung. Der Trend, den es bereits in vielen Unternehmen gibt, könnte sich damit verstärken. Im Fall der Verkäuferin von Edeka Minden-Hannover entschieden sie, dass Arbeitgeber Gehaltsabrechnungen ausschließlich elektronisch verschicken können (9 AZR 48724). "Es gibt keinen Anspruch auf Papierform alter Schule", sagte der Vorsitzende Richter Heinrich Kiel bei der Urteilsverkündung.

Mit ihrer Forderung nach Abrechnungen in Papierform und dem Argument, sie habe der digitalen Variante nicht zugestimmt, hatte die Verkäuferin vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen noch Erfolg, nicht aber in der höchsten Instanz.

Nach der Gewerbeordnung seien Arbeitgeber verpflichtet, eine "Abrechnung in Textform zu erteilen", sagte Bundesarbeitsrichter Kiel. Das Gesetz werde auch mit einer digitalen Abrechnung, die elektronisch in einem Postfach abgerufen werden kann, erfüllt. Arbeitnehmern ohne entsprechende Technik sei der Zugang zu den Daten und das Ausdrucken von Abrechnungen im Betrieb zu ermöglichen. Das sei im Fall Edeka geschehen. Das Landesarbeitsgericht soll nun die Zuständigkeiten verschiedener Betriebsräte klären.

Was ist gesetzlich geregelt?

In der Gewerbeordnung heißt es: "Dem Arbeitnehmer ist bei Zahlung des Arbeitsentgelts eine Abrechnung in Textform zu erteilen. Die Abrechnung muss mindestens Angaben über Abrechnungszeitraum und Zusammensetzung des Arbeitsentgelts enthalten." Wie das erfolgen soll, ist offen. "Wir sind hier mit der Museumsbahn unterwegs", so Kiel in der Verhandlung.

Maßgeblich sei nicht, ob die Klägerin mit der Übermittlung per elektronischem Postfach einverstanden sei, sondern ob ihr das zugemutet werden könne. Das sei der Fall, weil sie ihren Widerspruch dagegen digital vorgebracht habe, argumentierte das Unternehmen.

Digitaler Zugang für Gewerkschaften?

Auch der Erste Senat mit Gallner an der Spitze beschäftigte sich mit Regeln für die sich verändernde Arbeitswelt mit Homeoffice und mobilem Arbeiten. Konkret geht es um ein digitales Zugangsrecht für Gewerkschaften zu den Beschäftigten von Unternehmen für ihre Mitgliederwerbung und -information. Einen Rechtsstreit mit dem Sportartikelhersteller Adidas verlor die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) auch in der letzten Instanz. Gewerkschaften können von Unternehmen nicht die Herausgabe der E-Mail-Adressen ihrer Beschäftigten verlangen. Arbeitgeber seien dazu nicht verpflichtet, entschied Gallners Senat (1 AZR 33/24). Ein Gerichtssprecher sprach von einer Grundsatzentscheidung, die Auswirkungen auf andere Gewerkschaften und Unternehmen habe.

Bei Adidas können die Mitarbeiter nach Gerichtsangaben zum Teil zwischen 20 und 40 Prozent ihrer Wochenarbeitszeit mobil leisten. Die IG BCE wollte nicht nur die Herausgabe dienstlicher E-Mail-Adressen, sondern auch den Zugang zu unternehmensinternen digitalen Portalen erstreiten. Sie berief sich dabei auf ihre verfassungsrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit.

Gericht fehlte Regelung per Gesetz

Gallner machte bei der Urteilsverkündung deutlich, dass das Gericht "kollidierende Verfassungswerte" zu berücksichtigen hatte. Zudem fehle eine gesetzliche Regelung, auf die sich die Richter stützen könnten. Weiterhin gelte, dass Gewerkschaften betriebliche Mails nutzen könnten, wenn sie diese von Arbeitnehmern bekämen. Zudem hätten sie ein Zugangsrecht zu Unternehmen für ihre Mitgliederwerbung.

Ein Vergleichsangebot, das Gallner mit einem möglichen Link zur Gewerkschaft auf der Intranetseite des Unternehmens machte, wurde von beiden Seiten abgelehnt. "Wir bedauern, dass es nicht zu einer Einigung auf niedrigem Level gekommen ist", sagte die Gerichtspräsidentin.

Neu am Fall aus Bayern war, dass Arbeitgeber Gewerkschaftsmails nicht nur dulden, sondern aktiv werden sollten, um den Arbeitnehmervertretern elektronisch Zugang zu verschaffen. Ein Rechtsanwalt von Adidas sagte in der Verhandlung: "Wenn Sie jetzt Flugblätter hätten, müssten wir die dann auch verteilen?"

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Rechnungshof kritisiert mangelnde Kontrolle bei Bargeldgeschäften - und andere Geldverschwendung
05.05.2025

Laut dem Bundesrechnungshof entgehen dem Staat jährlich Steuereinnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe – insbesondere in Bereichen, in...

DWN
Finanzen
Finanzen BASF-Aktie unter Druck: Dividendenkürzung, Kursverluste - und Chancen für Anleger beim DAX-40-Wert
05.05.2025

Die BASF-Aktie ist zum Wochenstart mächtig unter die Räder gekommen. Der Ludwigshafener Chemiekonzern hat die Dividende gekürzt - und...

DWN
Politik
Politik 18 für Deutschland: Regierungsteam der Bundesregierung Deutschland 2025 steht fest
05.05.2025

Ein halbes Jahr nach dem Bruch der Ampelkoalition sind die Voraussetzungen für den Regierungswechsel geschaffen. Jetzt muss die neue...

DWN
Finanzen
Finanzen Aktienexperten an den US-Börsen sehen Bargeld als strategische Waffe – aber nur für Geduldige
05.05.2025

Die US-Börsen zeigen sich in den vergangenen Wochen sehr volatil. Einige Wall Street-Strategen kritisieren offen Trumps Wirtschaftspolitik...

DWN
Politik
Politik AfD gesichert rechtsextremistisch: AfD klagt gegen Verfassungsschutz-Einstufung
05.05.2025

Der Verfassungsschutz hat die gesamte AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Eine Veröffentlichung des internen Gutachtens ist...

DWN
Politik
Politik CDU, CSU und SPD unterzeichnen Koalitionsvertrag
05.05.2025

Zehn Wochen nach der Bundestagswahl ist die fünfte schwarz-rote Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik besiegelt. Die Vorsitzenden...

DWN
Finanzen
Finanzen Kita-Investments: Wenn Betreuungsplätze Rendite bringen
05.05.2025

Fehlende Betreuungsplätze und klamme Kommunen schaffen Raum für private Investoren – und eine neue Anlageklasse: Kitas. Mit stabilen...

DWN
Politik
Politik Donald Trump: Alcatraz-Gefängnis soll Betrieb wieder aufnehmen
05.05.2025

Die einst berüchtigte Strafanstalt auf der Insel bei San Francisco galt als unbezwingbare Festung. Jetzt will Donald Trump das...