Politik

Krankenkassen vor Insolvenzwelle: Defizit von sechs Milliarden - Beitragssteigerung möglich

Die gesetzlichen Krankenkassen stehen vor der Pleite: Wenn die Zahlungsunfähigkeit droht, gerät das ganze Gesundheitssystem in Gefahr. Laut DAK-Chef gibt es keinen finanziellen Spielraum mehr. Welche Konsequenzen den Beitragszahlern drohen.
02.03.2025 15:43
Lesezeit: 3 min

Der Chef der DAK-Gesundheit, Andreas Storm, befürchtet einen Domino-Effekt bei der Zahlungsunfähigkeit vieler Krankenkassen. Wenn „ein halbes Dutzend Krankenkassen mit deutlich über einer Million Versicherten“ in die Zahlungsunfähigkeit rutscht, könnte das gesamte System in Gefahr geraten, warnte Storm in der ÄrzteZeitung.

Die DAK-Gesundheit gehört zu den größten Krankenkassen mit 5,5 Millionen Mitgliedern. Seit ihrer Gründung vor 250 Jahren ist sie zugleich die dienstälteste Krankenkasse Deutschlands.

Insolvenzen drohen: Krankenkassen stehen vor der Pleite

DAK-Chef Andreas Storm: „Das hohe Defizit frisst die wenigen verbliebenen Reserven der GKV nahezu auf. Es gibt fast keinen Spielraum mehr. Wenn sich die Lage weiter verschlechtert, ist ein Teil der Kassenlandschaft am Rande der Insolvenz.“

Aktuell reichten die Reserven, um Ausgaben für etwa 2,5 Tage zu decken, sagte Storm weiter. Ein Domino-Effekt berge ein „realistisches Gefährdungspotenzial“, warnte der Chef der drittgrößten Krankenkasse in Deutschland. Storm erwartet zudem, dass die Krankenkassen ihre Zusatzbeiträge noch in diesem Jahr weiter erhöhen, um eine Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. Storm forderte daher die nächste Bundesregierung auf, mit einem „Sofortprogramm die Kassenlandschaft zu stabilisieren, und zwar bevor der Schätzerkreis im Oktober zusammenkommt“.

Zahlungsunfähigkeit: Krankenkassen erhöhen Zusatzbeiträge

Der Schätzerkreis der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) – bestehend aus Expertinnen und Experten des Gesundheitsministeriums, des Bundesamts für Soziale Sicherung und des GKV-Spitzenverbands – schätzt immer im Oktober die Einnahmen und Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für das folgende Jahr. Auf Basis der Schätzung legt das Gesundheitsministerium dann den durchschnittlichen Zusatzbeitrag als Rechengröße fest. Die einzelnen Kassen teilen ihren individuellen Zusatzbeitrag gegen Jahresende mit.

Viele Krankenkassen erhöhten ihre Zusatzbeiträge zum Jahreswechsel. Die durchschnittlichen Beiträge zur gesetzlichen Krankenkasse inklusive Zusatzbeitrag stiegen damit von zuvor 16,3 Prozent auf 17,5 Prozent. Grund dafür sind stark gestiegene Kosten der Kassen: 2023 lagen diese bei insgesamt 306 Milliarden Euro – rund 100 Milliarden Euro mehr als 2015.

2024: Krankenkassen fahren Defizit von sechs Milliarden ein

Das Defizit der gesetzlichen Krankenkassen war laut Politico im vergangenen Jahr noch höher als bisher angenommen. Es betrug 2024 mehr als sechs Milliarden Euro, hieß es am Mittwoch unter Berufung auf vorläufige Zahlen der größten Kassenverbände. Der GKV-Spitzenverband war im Dezember noch von einem Minus von 5,5 Milliarden Euro ausgegangen.

Konkret meldete der Verband der Ersatzkassen, zu dem unter anderem TK, Barmer und DAK gehören, dem Bericht zufolge ein Defizit von 2,5 Milliarden Euro. Die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) ein Minus von 1,5 Milliarden Euro, die Betriebskrankenkassen von 1,4 Milliarden Euro und die Innungskrankenkassen von 662 Millionen Euro. Damit wäre die Marke von sechs Milliarden überschritten.

Bürgergeld: Krankenkassen kritisieren versicherungsfremde Leistungen

Als Grund für das Defizit nannten die Kassen unter anderem gestiegene Kosten für Klinikbehandlungen, Arznei- und Heilmittel. Der Chef der Techniker Krankenkasse (TK), Jens Baas, kritisiert hingegen vor allem versicherungsfremde Leistungen, die der Staat den Versicherten aufbürde. Allein beim Bürgergeld blieben neun Milliarden Euro jährlich an den Krankenkassen hängen, obwohl diese Kosten eigentlich der Steuerzahler begleichen müsste. Im Moment bekämen die Kassen rund 100 Euro Beitrag vom Staat für jeden Bürgergeldempfänger. „Wir haben aber Kosten von über 300 Euro. Die rund 200 Euro Differenz zahlen dann unsere Mitglieder und die Arbeitgeber, die Privatversicherten bleiben außen vor.“

Baas verwies darauf, dass gesetzliche Versicherte und Arbeitgeber auch bei der Krankenhausreform mit insgesamt 25 Milliarden zur Kasse gebeten würden und damit eine eigentlich staatliche Aufgabe übernehmen müssten. Die TK ist mit 12,7 Millionen Kunden die größte deutsche Krankenkasse.

DAK-Chef fordert Rückzahlung von Corona-Ausgaben

DAK-Chef Andreas Storm zu BILD: „Die neu gewählte Bundesregierung muss kurzfristig einen Kassensturz machen, um die Dringlichkeit und die Dimension der Finanzprobleme zu erkennen. Innerhalb der nächsten zwei Monate braucht es einen Gesundheits- und Pflegegipfel im Kanzleramt, um die Kassen schnell zu stabilisieren. Daran sollten der Kanzler, der Gesundheitsminister und Kassenvertreter teilnehmen“.

Der neue Kanzler soll sofort handeln und zu sich ins Kanzleramt laden, um das Finanzproblem zu lösen. Dafür braucht es laut Storm, mehr Steuergeld für die Kassen und Rückzahlung von Corona-Ausgaben in Höhe von rund sechs Milliarden Euro an die Pflegeversicherung.

Sein Fazit: „Passiert das nicht, drohen schon in den nächsten Monaten weitere Beitragserhöhungen einiger Krankenkassen.“ Das würde bedeuten, dass die ohnehin stark gestiegenen Beiträge weiter nach oben rasen. Aktuell liegt der Beitrag für die Krankenversicherung bei 17,1 Prozent, für die Pflegeversicherung bei 3,6 Prozent.

Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

DWN
Unternehmen
Unternehmen Sanierungsfall Webasto: Rettungsplan für den Autozulieferer scheint in trockenen Tüchern
22.10.2025

Der Rettungsplan für den Automobilzulieferer Webasto steht: Der für seine Autodächer und Standheizungen bekannte Zulieferer hat seine...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Luxus im Wandel: Exklusive Erlebnisse lösen materiellen Besitz als Statussymbol ab
22.10.2025

Der Luxusmarkt steht vor einem Wandel. Trotz steigender Vermögen der Superreichen schrumpfen traditionelle Segmente, während sich...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Höhere Strompreise im Winter? Behörden legen Bericht für Deutschland vor
22.10.2025

Ende 2024 schnellten die Strompreise zeitweise auf mehr als 900 Euro pro Megawattstunde. Haben Anbieter die Lage ausgenutzt?...

DWN
Finanzen
Finanzen „Sorgenkind“ Vollkasko: Autoversicherung verteuert sich weiter
22.10.2025

Eine Verivox-Auswertung zeigt Steigerungen deutlich über der Inflation. Immerhin im Vergleich zu den Anstiegen des vergangenen Jahres...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Ölpreis fällt auf Fünf-Monats-Tief: Droht ein Überangebot?
22.10.2025

Das Überangebot wächst, die Nachfrage bricht ein: Der Ölpreis fällt auf den tiefsten Stand seit Monaten. Doch hinter dem Preisrutsch...

DWN
Panorama
Panorama Umfrage: Mehrheit der Deutschen für Olympia-Bewerbung
22.10.2025

In einer repräsentativen Umfrage spricht sich fast jeder Zweite generell für eine deutsche Olympia-Bewerbung aus. Die Befragten äußern...

DWN
Finanzen
Finanzen EU nimmt hohe Investmentgebühren ins Visier: Ein EU-Land zahlt mehr als doppelt so viel wie US-Anleger
22.10.2025

Dänische Anleger zahlen fast doppelt so hohe Investmentgebühren wie andere Länder der EU. Und weit mehr als US-Investoren. EU-Chefin...

DWN
Technologie
Technologie Künstliche Intelligenz: Wenn Maschinen Kunden besser verstehen als Verkäufer
21.10.2025

Künstliche Intelligenz verändert die Art, wie Unternehmen mit ihren Geschäftskunden kommunizieren – radikal und unumkehrbar. Wer...