Ob verschwundene Pakete, geänderte Flugbuchungen oder verlorene Bankkarten – Callcenter-Mitarbeitende sorgen dafür, dass solche Ärgernisse schnell gelöst werden. Doch ihre Rolle könnte sich in Zukunft stark verändern. Branchenexperten prognostizieren, dass der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in Callcentern weiter zunimmt. Der Job des Callcenter-Agenten gehört damit zu den Berufen, die durch KI bedroht sind.
Marie-Christine Fregin, Ökonomin an der Universität Maastricht, geht davon aus, dass der Personalbedarf in der Branche sinken wird. KI könne die Produktivität der Mitarbeiter steigern, wodurch langfristig weniger Arbeitskräfte benötigt und diese möglicherweise vollständig ersetzt würden. „Die entscheidende Frage ist, ob in Zukunft überhaupt noch Menschen in Callcentern arbeiten werden“, sagt Fregin. Letztlich liege diese Entscheidung bei den Unternehmen.
Dass Callcenter schließen, ist keine Seltenheit. Jüngst gab der Onlinehändler Otto bekannt, rund 480 Mitarbeiter im Kundenservice zu entlassen. Als Gründe wurden verstärkter Wettbewerb, eine schwache Konjunktur und ein verändertes Kundenverhalten genannt. Immer weniger Menschen rufen an – stattdessen werden Rücksendungen und Anliegen vermehrt über Apps abgewickelt.
Rund 560.000 Menschen arbeiten in Deutschland in Callcentern
Wie viele Menschen in deutschen Callcentern tätig sind, ist schwer zu bestimmen. Laut Bundesagentur für Arbeit arbeiteten 2023 etwa 127.000 Fachkräfte im Dialogmarketing, zu denen auch Callcenteragenten zählen. Der Branchenverband CCV beziffert die Gesamtzahl jedoch auf rund 560.000, da er auch Unternehmenscallcenter berücksichtigt.
CCV-Präsident Dirk Egelseer beschreibt die Aufgabenstruktur in Callcentern als pyramidenförmig: Ein Großteil der Beschäftigten erledigt einfache Routinetätigkeiten wie Paketnachverfolgungen. Höher qualifizierte Mitarbeiter hingegen bearbeiten komplexere Anliegen, etwa aus dem Finanz- und Bankensektor, die spezielles Know-how erfordern. Egelseer, der selbst Teil der Geschäftsführung eines Nürnberger Callcenters ist, erwartet ebenfalls, dass Automatisierung die Branche verändern wird. Er glaubt jedoch nicht, dass alle Arbeitsplätze gefährdet sind. Während der Bedarf an einfachen Massendienstleistungen zurückgeht, steige die Nachfrage nach komplexeren Services.
Callcenter-Agenten: Künstliche Intelligenz übernimmt auch anspruchsvollere Aufgaben
Die zentrale Frage bleibt: Wird KI nur einfache Kundenanfragen ersetzen oder auch anspruchsvollere Dienstleistungen übernehmen? Wissenschaftlerin Fregin ist überzeugt, dass KI-Agenten künftig auch komplexere Aufgaben bewältigen können. Diese Systeme können nicht nur einfache Informationen bereitstellen, sondern auch aktiv mit Kunden interagieren. Sie sind in der Lage, Formulare zu versenden, mit anderen Abteilungen zu kommunizieren und sogar proaktiv Anrufe zu tätigen, beispielsweise um Produktangebote zu unterbreiten. Bisher sind solche KI-Agenten jedoch noch nicht weit verbreitet.
Ein Vorreiter auf diesem Gebiet ist das Berliner Start-up Parloa. Das Unternehmen entwickelt KI-Agenten, die eigenständig telefonieren können. So könnten sie Kunden etwa kurz vor einem Flug über verfügbare Sitzplatz-Upgrades informieren. Die Nachfrage nach solchen Lösungen wächst – Parloa arbeitet bereits mit Unternehmen aus der Finanz-, Versicherungs-, Einzelhandels- und Energiebranche zusammen, darunter Rossmann, Eon One und Gothaer. Die Nutzung der Plattform kostet Firmen jährlich mindestens 100.000 Euro.
KI im Callcenter: Weniger, aber besser bezahlte Jobs
Mit den steigenden Fähigkeiten der KI stellt sich die Frage: Welche Rolle bleibt für menschliche Mitarbeiter? Fregin geht davon aus, dass in Zukunft weniger Menschen in Callcentern arbeiten werden, diese aber anspruchsvollere und besser vergütete Tätigkeiten übernehmen. „Komplexere Aufgaben bedeuten oft auch eine andere Zielgruppe für die Jobs“, so die Ökonomin. Ähnlich sieht es Branchenvertreter Egelseer.
Die Gewerkschaft Verdi betrachtet den Wandel mit Sorge. Volker Nüsse, zuständig für Callcenter bei Verdi, berichtet, dass sich die Arbeit zunehmend ins Homeoffice verlagere. Dies erschwere die gewerkschaftliche Organisation und könne den Druck auf die Beschäftigten erhöhen. Während der technologischen Umstellung müsse daher auch die soziale Absicherung der Mitarbeiter berücksichtigt werden.