Unternehmen

Arbeitsunfähigkeit: Geldprämie anstatt Krankmeldung? Unternehmen verlost Anwesenheitsprämie

Arbeitgeber beklagen Milliardenkosten durch Krankschreibungen: Um Fehlzeiten zu reduzieren, greifen manche Unternehmen zu Maßnahmen wie Geldprämien für Anwesenheit. Sinken die Krankheitstage dann aber wirklich? Ein Experiment liefert Erkenntnisse. Und sind Anwesenheitsprämien arbeitsrechtlich zulässig?
12.03.2025 19:08
Lesezeit: 4 min
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Für deutsche Arbeitgeber sind sie ein teures Ärgernis: die vielen Krankentage ihrer Beschäftigten. „Steigende Kosten für Lohnfortzahlungen sind ein erheblicher Ballast, der den Weg raus aus der Rezession erschwert“, sagt Arbeitgeberpräsident Dulger.

Arbeitgeber beklagen Milliardenkosten durch Krankschreibungen

Deutschland verzeichnet im Europavergleich überdurchschnittlich viele Krankheitstage. CEOs wie Oliver Bäte von der Allianz schlagen Gegenmaßnahmen wie Karenztage vor – oder setzen sie gleich durch. Der Maschinenbauer Heidelberger Druck dagegen will mit finanziellen Anreizen gegensteuern.

Unternehmen verlost 800 Euro Prämie an Mitarbeiter ohne Krankentage

Wie die Rhein-Neckar-Zeitung berichtete, verloste das Unternehmen unter Mitarbeitenden ohne Krankentage dreimal eine Prämie von 800 Euro netto, als „Zeichen der Wertschätzung“, wie es in einem internen Schreiben hieß.

Aufgrund diverser Medienanfragen reagierte das Unternehmen dazu mit einem offiziellen Statement, indem es heißt: „Am Standort Wiesloch-Walldorf waren rund 1.100 Mitarbeitende und an den übrigen Standorten weitere 400 im letzten Jahr ohne krankheitsbedingte Fehlzeiten. Alle Mitarbeitenden erhalten einen persönlichen Brief als Würdigung. Wir wollen das Engagement und die Motivation als wesentlichen Teil unseres Unternehmenserfolgs honorieren.“

Etwa jeder vierte Beschäftigte des Standorts hatte im vergangenen Jahr also keinen einzigen Krankentag. Ein geringer Krankenstand helfe bei dem gegenwärtigen Kostendruck: „Wirtschaftlich steigert ein möglichst niedriger Krankenstand die Produktivität eines Unternehmens und bedeutet auch geringere Kosten.“ Im Schreiben bedankt sich das Unternehmen explizit bei den Beschäftigten, die trotz Unwohlseins zur Arbeit gekommen sind.

Betriebsrat meldet Bedenken

Ralph Arns von der IG Metall Heidelberg und Vorsitzender der Arbeitnehmervertretung der Heidelberger Druckmaschinen AG äußerte sich der Rhein-Neckar-Zeitung gegenüber kritisch. Er nannte die Aktion „antiquiert“ und einen „Schlag ins Gesicht“ für alle Mitarbeitenden, die schwer krank sind oder waren. „Wir sehen dies mehr als problematisch.“

Belegschaft wurde eine Woche vorher informiert

Verantwortlich im Vorstand für Personalthemen bei Heideldruck ist Jürgen Otto, CEO und Arbeitsdirektor von der Heidelberger Druckmaschinen AG. Er wechselte Anfang Juli 2024 von S. Oliver zu dem Unternehmen. Das Unternehmen kämpft seit Jahren mit sinkenden Umsatzzahlen. Im November 2024 bezeichnete das Handelsblatt den neuen CEO Otto als „untypischen Sanierer“, der auch ungewöhnliche Wege ginge. Damals gestand Otto den Angestellten nur noch einen Tag Homeoffice in der Woche zu, um „mehr Gerechtigkeit“ in der Belegschaft zu schaffen.

Wertschätzung für Mitarbeiter ohne Fehltage

Inzwischen verteidigte Otto der Rhein-Neckar-Zeitung gegenüber seine Idee. Es liege nicht in der Absicht des Unternehmens zu „verfolgen und bestrafen“, sondern „Wertschätzung denen gegenüber ausdrücken“, die keinerlei Fehltage zu verzeichnen hätten. Zwar solle man sich nicht „krank zur Arbeit schleppen“, dabei verwies Otto aber auf „üppige Urlaubsansprüche“, mit denen die Mitarbeitenden „ausgleichen“ könnten.

Otto gab auch bekannt, dass die Krankentage bei Heideldruck leicht unter dem deutschen Durchschnitt lägen. Die Idee zur Prämie sei ihm gekommen, da Deutschland wiederum über dem Schnitt liege.

Verlosung einer Prämie: arbeitsrechtliche Einschätzung

Rein rechtlich sind Anwesenheitsprämien zulässig und die Umsetzung sehr genau geregelt. Doch dürfen Prämien auch verlost werden? Immerhin gehen dabei die allermeisten derjenigen, die keinen Tag fehlten, leer aus. Was sagt das Arbeitsrecht zu einer solchen Auslosung? Christoph Seidler, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Osborne Clarke in Hamburg, klärt bei personalwirtschaft.de auf und hält die Aktion rechtlich für zulässig.

Trotz der geringen Anzahl der Prämien der Heidelberger Druck AG (drei Zahlungen auf etwa 1.000 grundsätzlich Berechtigte) wäre die Leistung zwar wohl an dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen. Die unterschiedliche Behandlung sei dann aber zulässig, wenn ein sachlicher Grund bestünde, so der Anwalt. „Die Verlosung als objektives, transparentes Verteilungsmittel ist nicht zu beanstanden.“

Seidler weist allerdings darauf hin, dass die Verteilung von Anwesenheitsprämien mit dem Betriebsrat zu regeln ist. Geschieht dies nicht, kann der Betriebsrat möglicherweise im Nachhinein noch eine andere Verteilung durchsetzen. Zwar führt dies nicht dazu, dass alle Beschäftigten die Prämie erhalten. Aber die drei ausgelobten Prämien könnten anders verteilt werden. Der Arbeitgeber müsste sie dann gegebenenfalls nachzahlen, so Seidler. Inwiefern der Maschinenbauer die Geldprämien zuvor mit dem Betriebsrat verhandelt hatte, ist nicht bekannt.

Anwesenheitsprämien wissenschaftlich umstritten

Helfen finanzielle Anreize wirklich, die Anwesenheitsquote zu verbessern? Dieser Frage sind drei Forscher von der Universität Köln und der Frankfurt School of Finance in einer Feldstudie bei einer großen deutschen Einzelhandelskette nachgegangen. Dabei erhielten die Auszubildenden der 232 Filialen für jeden Monat, in dem sie keinen Tag unentschuldigt fehlten, einen Bonuspunkt. Die gesammelten Punkte wurden am Ende des Jahres entweder in Geld (maximal 240 Euro) oder in Freizeit (maximal vier zusätzliche Tage) umgewandelt.

Entgegen den Erwartungen wurden die Fehlzeiten durch die Prämien jedoch nicht reduziert. Im Gegenteil: In der Gruppe der mit Geld belohnten Auszubildenden stiegen sie sogar signifikant an (auch ärztlich bescheinigte Krankheiten zählten als Fehlzeiten).

Wie konnte das passieren? Gespräche mit den Studienteilnehmern zeigten den Forschern: Offenbar hatten sie durch die Prämie das Gefühl bekommen, dass eine tadellose Anwesenheitsquote nicht „normal“ sei. Im Rückschluss erschien es ihnen dadurch akzeptabler, auch mal zu Hause zu bleiben, wenn sie nicht krank waren.

„Der Anwesenheitsbonus signalisierte den Mitarbeitenden, dass Anwesenheit etwas ist, das belohnt werden muss, und nicht das Standardverhalten“, so die Autoren der Studie.

Fazit: Bisher gehen die Meinungen über Anwesenheitsprämien weit auseinander: Vielleicht ist es für den Arbeitgeber besser, die Ursachen für hohe Krankenstände ins Auge zu fassen, als eine Misstrauenskultur oder eine Ansteckungsgefahr durch nicht auskurierte Mitarbeitende auszulösen.

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Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

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