Wirtschaft

Lohntransparenz: geheimes Gehalt - das letzte große Tabu?

Ein dänischer Berater teilt sein Gehalt auf LinkedIn – und löst eine Welle an Reaktionen aus. Warum bleibt das Thema Gehalt in Europa ein Tabu? Und was hat das mit Macht, Identität und einem möglichen Kulturwandel zu tun? Ein Blick hinter die Fassade der Lohntransparenz.
21.04.2025 07:58
Lesezeit: 2 min
Lohntransparenz: geheimes Gehalt - das letzte große Tabu?
Wer nicht weiß, was die Kollegin verdient, kann sich auch schwer beschweren. (Foto: dpa) Foto: Jens Büttner

Post über Gehalt ging viral

„Hier ist mein Gehaltsscheck.“ So begann ein Beitrag auf LinkedIn, der weit mehr auslöste als ein paar Likes und Kommentare. Marketingberater David Jeppesen stellte sich öffentlich hin – mit nackten Zahlen. 72.441 Dänische Kronen (etwa 9,694 Euro) brutto, inklusive Rente, pro Monat. Der Post ging viral, sein Posteingang wurde überflutet. Doch es waren nicht die öffentlichen Reaktionen, die ihm zu denken gaben – sondern die stillen, privaten Nachrichten. Sie offenbaren ein gesellschaftliches Unbehagen, das tief sitzt.

In Zeiten, in denen über Geschlechtsidentitäten, Impfungen und Klimapolitik hitzig debattiert wird, bleibt das Thema Gehalt erstaunlich unangetastet. Fast schon heilig. Warum eigentlich?

Die Angst vor dem sozialen Gefälle

Die Zahlen auf dem Lohnzettel sind längst mehr als nur eine Bezahlung für geleistete Arbeit. Sie sind Ausdruck von Status, Anerkennung und – ja – Macht. Wie der Arbeitspsychologe Søren Schøler treffend beschreibt: Gehalt ist ein Signal für den eigenen Wert innerhalb des Systems. Und wer will schon öffentlich zugeben, dass sein Marktwert vielleicht niedriger ist als der des Kollegen?

Diese Form der Selbstzensur kommt nicht von ungefähr. In Ländern wie Dänemark, wo Gleichheit und Gewerkschaftstradition tief verankert sind, wirkt das Offenlegen des Gehalts beinahe wie ein Akt der Rebellion. Das sogenannte Jante-Gesetz – die ungeschriebene Regel, sich nicht für etwas Besseres zu halten – lebt in den Köpfen weiter. Ein offenes Gespräch über das Gehalt? Für viele ein gesellschaftlicher Affront.

Die Illusion der Fairness

In Deutschland ist es nicht anders. Trotz Tarifverträgen, Entgelttransparenzgesetz und EU-Richtlinien bleibt der Lohn ein gut gehütetes Geheimnis. Und das aus gutem Grund – zumindest aus Sicht der Arbeitgeber. Wer nicht weiß, was die Kollegin verdient, kann sich auch schwer beschweren.

Die neue EU-Richtlinie zur Lohntransparenz, die bis 2026 greifen soll, könnte hier Bewegung bringen. Doch ob sie das Tabu wirklich bricht, ist fraglich. Denn strukturelle Transparenz ersetzt keine kulturelle Offenheit. Es braucht den gesellschaftlichen Konsens, dass Gehalt kein schmutziges Geheimnis ist, sondern eine berechtigte Diskussionsgrundlage.

Mut oder Mangel an Alternativen?

Jeppesen steht stellvertretend für eine wachsende Bewegung, die sich weigert, das Spiel länger mitzuspielen. Auf Plattformen wie LinkedIn, Reddit und in Medienformaten skandinavischer Länder teilen Menschen ihre Gehälter freiwillig – oft anonym, manchmal mit vollem Namen. Doch was wie ein Befreiungsschlag wirkt, zeigt in Wirklichkeit, wie weit der Weg noch ist.

Denn wer heute sein Gehalt offenlegt, wird nicht selten als mutig bezeichnet. Allein dieses Wort zeigt, wie abnormal Transparenz derzeit noch ist. Wäre es wirklich normal, müsste man dafür keinen Mut aufbringen.

Der stille Machtkampf

Transparenz ist nicht nur eine Frage der Fairness – sie ist eine Machtfrage. Solange Unternehmen besser wissen, was ihre Angestellten „wert“ sind als die Angestellten selbst, bleibt das Gefälle bestehen. Wer das Tabu aufbricht, verschiebt Machtverhältnisse. Und das macht Angst – nicht nur bei den Unternehmen, sondern auch bei denen, die plötzlich in einen Vergleich treten, den sie verlieren könnten.

Was jetzt passieren muss

Jeppesen hat sein Gehalt geteilt, nicht weil er sich profilieren wollte, sondern um anderen zu helfen. Das ist bemerkenswert – und gleichzeitig ein Armutszeugnis für ein System, in dem solche Aktionen Ausnahme und nicht Regel sind.

Will Europa wirklich eine gerechtere Arbeitswelt schaffen, reicht es nicht, Richtlinien zu erlassen. Es braucht einen Kulturwandel. Einen, der nicht von oben verordnet, sondern von unten erzwungen wird – durch Mut, durch Offenheit, durch die Bereitschaft, auch unangenehme Wahrheiten zuzulassen.

Vielleicht ist David Jeppesen nicht der Anfang eines Erdrutsches. Aber er ist ein Riss im Fundament. Und manchmal reicht ein kleiner Riss, um das ganze Gebäude zum Einsturz zu bringen. Solange über Geld nicht gesprochen wird, bleibt Macht ungleich verteilt. Der Weg zur Lohntransparenz ist kein administrativer, sondern ein kultureller Kampf. Und jeder, der sein Gehalt offenlegt, kämpft an vorderster Front.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Kryptowährungsmarkt im Fokus: ETFs, XRP und Moon Hash – Weihnachtsbonusverträge beflügeln Cloud-Computing-Trends

Zum Jahresende erlebt der Kryptowährungsmarkt einen neuen Aufschwung. Kryptowährungs-ETFs und XRP ziehen zunehmend Gelder traditioneller...

DWN
Finanzen
Finanzen Jetzt Tesla-Aktie kaufen? Welche Erwartungen Investoren an Elon Musk haben
21.12.2025

Visionäre Unternehmer haben an den Kapitalmärkten immer wieder ganze Branchen neu geordnet. Ob Tesla-Aktien weiterhin von technologischem...

DWN
Panorama
Panorama Gaudís Sagrada Família: Der höchste Kirchturm der Welt
21.12.2025

Barcelona feiert 2026 die Architektur – und ein Turm der Sagrada Família soll Geschichte schreiben. Doch hinter dem Rekord stecken Geld,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Leadership-Coach Lars Krimpenfort: „Klopp ist ein gutes Beispiel für klare Führung unter Druck“
21.12.2025

Im Mittelstand steigen die Belastungen gefühlt täglich. Wie gelingt es Führungskräften dennoch, unter Druck richtig zu entscheiden?...

DWN
Politik
Politik EU-Kapitalmarktunion: Warum kleine Staaten um ihre Finanzmacht kämpfen
21.12.2025

Die EU will ihren Kapitalmarkt neu ordnen und zentrale Aufsichtsrechte nach Paris verlagern, während kleinere Staaten den Verlust ihrer...

DWN
Panorama
Panorama DWN-Wochenrückblick KW 51: Die wichtigsten Analysen der Woche
21.12.2025

Im DWN Wochenrückblick KW 51 fassen wir die zentralen wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen der vergangenen Woche zusammen....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Mittelstand vor existenziellen Problemen: Keine Aufträge und schlechte Rahmenbedingungen
21.12.2025

Wie eine aktuelle Umfrage des ifo-Instituts ergab, sehen sich 8,1 Prozent der befragten Firmen direkt in ihrer wirtschaftlichen Existenz...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EU-Zölle auf Kleinsendungen: Neue Abgabe trifft Online-Bestellungen aus Drittstaaten
21.12.2025

Der Online-Handel mit günstigen Waren aus Drittstaaten wächst rasant und stellt den europäischen Binnenmarkt vor strukturelle...

DWN
Finanzen
Finanzen Topanalyst enthüllt: Das sind die attraktivsten Rüstungsaktien
21.12.2025

Die globale Sicherheitslage wandelt sich rasant, und die Verteidigungsindustrie gewinnt an Bedeutung für Regierungen und Kapitalmärkte....