Die EU lehnt die von Bundeskanzler Merz geforderte Abschaffung des Lieferkettengesetzes ab und erhält dabei Unterstützung von seinem Vizekanzler sowie EU-Abgeordneten, die stattdessen auf eine vereinfachte Umsetzung setzen.
EU-Kommission will Lieferkettengesetz nicht abschaffen
Die EU-Kommission stellt sich gegen die Forderung von Bundeskanzler Friedrich Merz, das europäische Lieferkettengesetz abzuschaffen. Die Position der Kommission zur Lieferkettenrichtlinie sei öffentlich bekannt, es gehe um Vereinfachung, sagte eine Sprecherin der Behörde in Brüssel. „Es geht nicht darum, sie abzuschaffen.“
Bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel hatte Merz am Freitag in zwei Pressekonferenzen gefordert, die europäische Lieferkettenrichtlinie abzuschaffen. „Wir werden in Deutschland das nationale Gesetz aufheben. Ich erwarte auch von der Europäischen Union, dass sie diesen Schritt nachvollzieht und diese Richtlinie wirklich aufhebt“, sagte der CDU-Politiker bei einer Pressekonferenz mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Uneinigkeit bei EU-Lieferkettengesetz: SPD und Merz widersprechen sich
Vizekanzler Lars Klingbeil widersprach Merz bei einem Besuch in Brüssel. Natürlich müsse die neue Bundesregierung Bürokratie abbauen. „Aber insgesamt waren wir uns einig, das Lieferkettengesetz ist wichtig“, betonte der SPD-Chef und Finanzminister. Die schwarz-rote Koalition wolle zwar das deutsche Lieferkettengesetz abschaffen, setze bei der europäischen Regelung aber auf die vereinbarte Verschiebung.
Das Europaparlament hatte Anfang April eine Verschiebung des europäischen Lieferkettengesetzes ermöglicht, um den Unternehmen mehr Zeit zu geben. Erste Regeln sollen nun voraussichtlich erst 2028 gelten.
Europäisches Lieferkettengesetz: Mögliche Änderungen der Umweltschutzvorschriften
Dazu hatte die Europäische Kommission im Februar weitreichende Änderungen an den EU-Umweltschutzvorschriften vorgeschlagen: Demnach sollten die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung für Tausende Unternehmen abgeschafft und ihre Sorgfaltspflicht um ein Jahr verschoben werden. Nach den Vorschlägen sollen nur noch Unternehmen mit mehr als tausend Beschäftigten verpflichtet sein, über ihre Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschenrechte zu berichten. Derzeit gelten die Vorschriften für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten. Die Kommission erklärte, dass durch die Änderung 40.000 Unternehmen – oder 80 Prozent aller Unternehmen, für die die Richtlinie ursprünglich gelten sollte – ausgenommen würden.
Abschaffung EU-Lieferkettengesetz: Gegenwind auch aus der Europa-SPD
Gegenwind bekommt Merz auch von Europaabgeordneten seines Koalitionspartners. „Eine Abschaffung des EU-Lieferkettengesetzes liegt nicht auf dem Tisch“, sagte der Delegationsvorsitzende der SPD-Europaabgeordneten, René Repasi. Dies habe auch weder im Europaparlament noch unter den EU-Staaten eine Mehrheit. Man stehe Änderungen offen gegenüber, die Entlastungen für Unternehmen bedeuteten. Das Ziel, Zwangsarbeit, Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung einzudämmen, bleibe aber bestehen.
Auch für seinen Parteifreund und SPD-Fraktionsvize für Wirtschaft im Bundestag, Armand Zorn, ist die „Abschaffung der EU-Lieferkettenrichtlinie der falsche Weg“. Die Umsetzung des EU-Lieferkettengesetzes sei im deutschen Koalitionsvertrag beschrieben, betonte Repasi. Im schwarz-roten Koalitionsvertrag steht, dass das deutsche Lieferkettengesetz von einem Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung ersetzt werden soll, „das die Europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) bürokratiearm und vollzugsfreundlich umsetzt“.
Europäisches Lieferkettengesetz erst vergangenes Jahr beschlossen
Das europäische Lieferkettengesetz wurde erst vergangenes Jahr beschlossen. Ziel ist, Menschenrechte weltweit zu stärken. Große Unternehmen sollen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen wie Kinder- oder Zwangsarbeit profitieren. Aus der Wirtschaft gab es aber große Kritik an dem Vorhaben. Unternehmen sehen darin übertriebene Vorgaben, die ihnen große bürokratische Bürden auferlegten und die Wettbewerbsfähigkeit Europas minderten.
Das Lieferkettengesetz in seiner bisherigen Form sah vor, dass Unternehmen auch für Erzeugnisse und Vorleistungsgüter aus dem Ausland die Verantwortung übernehmen, die sie nicht selbst herstellen. Dabei geht es sowohl um Produktionsverfahren als auch um Arbeitsbedingungen. Wenn sie bekannte Missstände nicht abstellen, drohen Bußgelder und Schadensersatz. Damit verbunden sind umfangreiche Berichtspflichten, damit die Anstrengungen der Unternehmen nachvollziehbar werden.
Fazit: keine „Kettensäge“ für das Lieferkettengesetz zu erwarten
Ein Fall für den Koalitionsausschuss in Berlin sei der Streit zwar noch nicht, so Repasi. Dennoch klingen in Brüssel alle Alarmglocken. Denn die Konservativen und Nationalisten im Europaparlament könnten versuchen, das Lieferkettengesetz zu kippen. In der Wirtschaft hingegen trifft eine Abschaffung oder Eindämmung der EU-Richtlinien auf eine breite Zustimmung: die Unternehmen kritisieren die übertriebenen Vorgaben, die ihnen große bürokratische Bürden auferlegen und die eigene Wettbewerbsfähigkeit mindern.
Dass sich Kanzler Merz und Vizekanzler Klingbeil jetzt schon in Brüssel auf offener Bühne widersprechen – sieht nicht nach einer neuen „Einigkeit“ in der Europapolitik der jetzigen schwarz-roten Bundesregierung sieht aus.