Abkopplung von den USA: Europa im Visier Chinas
In den letzten Tagen hat sich der Ton der US-Regierung gegenüber Peking deutlich gemildert. Die zuvor angekündigten Strafzölle wurden reduziert, politische Signale der Entspannung überwiegen. Der Aktienindex S&P 500 kehrte auf das Niveau von Anfang April zurück – dem Zeitpunkt, an dem die protektionistischen Zölle angekündigt wurden. Die Finanzmärkte reagierten euphorisch.
Doch die aktuelle Entwicklung bedeutet keinen Richtungswechsel – vielmehr geht es um eine kontrollierte, planbare Umsetzung der bereits eingeschlagenen Politik: Weniger Abhängigkeit von China, vor allem bei kritischen Importgütern wie Stahl, Elektronikkomponenten und pharmazeutischen Produkten.
USA mit klarer Strategie – Europa mit strategischer Leerstelle
Das Zwischenergebnis der Verhandlungen zwischen den USA und China überrascht: Die USA reduzierten temporär einige Zölle von 145 auf 30 Prozent. Noch vor wenigen Tagen sprach Donald Trump von einer „optimalen“ Zollhöhe von 80 Prozent. Auch US-Finanzminister Scott Bessent, der als wirtschaftsfreundlicher und globalisierungsnaher Akteur gilt, stellte klar: „Weder die USA noch China wollen eine vollständige Entkopplung.“
Gleichzeitig betonte Bessent: Die USA setzen weiterhin auf strategischen Decoupling, also eine systematische Reduktion der Lieferabhängigkeit – insbesondere in sicherheitsrelevanten Schlüsselindustrien.
Das Ziel dieser Politik ist keine kurzfristige Eskalation, sondern eine langfristige Neuausrichtung globaler Lieferketten. Während 2017 noch 22 Prozent aller US-Importe aus China kamen, dürfte der Anteil 2025 auf unter 10 Prozent fallen – eine bemerkenswerte Abkopplung binnen weniger Jahre.
China richtet sich neu aus – Ziel: Europa
Chinesische Exporte, die durch den US-Markt zunehmend blockiert werden, dürften nun verstärkt in die EU umgelenkt werden. Die Europäische Union ist nach den USA der zweitgrößte Konsummarkt der Welt – und rückt damit automatisch ins Visier Pekings.
Die Frage ist: Wie reagiert Brüssel? Hier wird es kompliziert. Die EU gibt sich als Verteidigerin des freien Welthandels – was hohe Zölle auf chinesische Waren nahezu ausschließt. Gleichzeitig will man industrielle Souveränität ausbauen – und identifiziert ähnliche strategische Felder wie die USA: Halbleiter, Pharma, Batterien, kritische Rohstoffe.
Doch wie lassen sich diese widersprüchlichen Ziele vereinen?
Brüsseler Spagat zwischen Berlin und Paris
Innerhalb der EU herrscht Uneinigkeit: Deutschland als Exportnation neigt zu offeneren Märkten, Frankreich hingegen fordert stärkeren Schutz des Binnenmarktes. Ein gemeinsamer Kurs ist schwer zu erkennen – ein Machtvakuum, das China strategisch ausnutzt.
Peking dürfte gezielt auf bilaterale Vereinbarungen mit EU-Staaten setzen, die sich für Freihandel öffnen – etwa durch Investitionsversprechen, Sonderkonditionen oder Logistikprojekte. Die Schwäche des europäischen Kerns wird so zur geopolitischen Angriffsfläche.
Fazit: Europa hat keine Zeit mehr für Unentschlossenheit
Die USA machen ernst mit dem wirtschaftlichen Strategiewechsel. China bereitet seine Umorientierung vor – mit der EU als nächstem Hauptziel. Brüssel steht vor der Wahl: entweder geopolitische Zersplitterung durch nationale Alleingänge oder eine gemeinsame Industriestrategie, die Freihandel und Schutzinteressen in Einklang bringt.
Doch bislang fehlt jede klare Linie – und in einem multipolaren Welthandel ist das die gefährlichste Form der Passivität.