China nagt an Europa
Die westliche Welt will unabhängiger von China werden. Das war in den vergangenen Jahren das Mantra westlicher Regierungen und Unternehmen. Investitionen sollten eingestellt, Produktionsketten zurückverlagert und die heimische Industrie geschützt werden. Doch die Realität verläuft diametral entgegengesetzt.
„Trotz der vielen Diskussionen in Europa über Risiko-Reduzierung steigt Chinas Anteil an unseren Importen jedes Jahr weiter an“, erklärte Vincent Clerc, CEO des dänischen Logistikriesen Mærsk, anlässlich der Veröffentlichung der aktuellen Unternehmenszahlen.
Als Vorstandschef eines der größten Schifffahrtsunternehmen der Welt besitzt Clerc tiefe Einblicke in globale Handelsmuster. Und diese zeigen eine klare Entwicklung: Während Europas Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr lediglich um rund ein Prozent zulegte, stieg die Einfuhr chinesischer Waren um sechs Prozent. Ein Muster, das sich weltweit beobachten lässt.
Trotz politischer und wirtschaftlicher Gegenkräfte gelingt es China, seinen Anteil am westlichen Konsum zu steigern – und sich als unentbehrliche Macht in der Weltwirtschaft zu etablieren.
Die durch den Handelskonflikt mit den USA entstandenen Lücken eröffnen China nun zusätzliche Möglichkeiten, weiter in westliche Märkte vorzudringen. „Wenn es nicht zu drastischen Veränderungen kommt, wird Chinas Bedeutung im Welthandel in den kommenden Jahren weiter zunehmen“, warnt Clerc.
China gewinnt Marktanteile – Europa verliert
Seit Jahren investiert die kommunistische Führung in Peking Milliardenbeträge, um China zur globalen Drehscheibe für Hochtechnologie und moderne Produktion zu machen. Das Reich der Mitte dominiert längst die Verarbeitung seltener Rohstoffe und hat ein Produktionssystem etabliert, das weltweit seinesgleichen sucht.
Dieses industrielle Fundament nutzt China gezielt, um Marktanteile von europäischen Unternehmen zu erobern – Unternehmen, denen ein vergleichbarer staatlicher Rückhalt fehlt. Für viele westliche Firmen ist die Abkopplung von China daher nur schwer umzusetzen.
„In der Realität ist das entweder sehr zeitaufwendig oder extrem teuer – und genau das hat China erkannt. Peking sitzt dadurch in einer komfortablen Position“, analysiert Max Zenglein, Chefökonom des Mercator Institute for China Studies (Merics).
Vor zehn Jahren hatte China seine Industriestrategie „Made in China 2025“ ausgerufen – mit dem Ziel, führend in Schlüsselindustrien zu werden. Dieses Vorhaben zeigt Wirkung: Laut einer aktuellen Umfrage der EU-Handelskammer in China geben 29 Prozent der europäischen Unternehmen in betroffenen Branchen an, dass chinesische Konkurrenten vergleichbare oder sogar bessere Produkte zu niedrigeren Preisen anbieten.
Die übrigen Unternehmen erwarten, in den kommenden fünf Jahren ebenfalls mit dieser Konkurrenz konfrontiert zu werden. Denn: Chinesische Konzerne investieren laut Clerc doppelt so viel in Forschung und Entwicklung wie westliche Unternehmen – zusätzlich zu umfangreicher staatlicher Förderung.
„Sie bringen zunehmend Produkte auf den Markt, die nicht nur preislich schwer zu schlagen sind, sondern auch qualitativ aufholen. Wenn wir dem nicht mit Entschlossenheit begegnen, wird Europa wettbewerbspolitisch ins Hintertreffen geraten“, so Clerc.
China war einst die „Werkbank der Welt“ mit billiger Arbeitskraft. Heute aber dominieren Automatisierung und Hochtechnologie. Laut EU-Handelskammer hat China 2024 Deutschland bei der Anzahl von Industrierobotern pro 10.000 Beschäftigte überholt.
„China verteidigt aktiv seine Stellung und nutzt seine industrielle Dominanz als Hebel. Die entwickelten Volkswirtschaften hingegen versuchen, Risiken zu minimieren. Dieser Prozess wird sich sektoral unterschiedlich auswirken – mit verschiedenen Folgen für Europa und die USA“, erklärt Zenglein.
Europa besonders exponiert
Zenglein warnt, dass europäische Unternehmen sich auf intensiveren Wettbewerb mit chinesischen Konkurrenten einstellen müssen – nicht nur in China, sondern weltweit.
Durch den Handelskrieg zwischen China und den USA verstärkt sich Pekings Fokus auf andere Märkte – darunter auch Europa. Nachdem Chinas Wirtschaftswachstum im Vorjahr ins Stocken geraten war, versucht die Regierung, über den Export neuen Schwung zu gewinnen. Die Folge: Eine Welle billiger chinesischer Produkte schwappt in westliche Länder – und trifft dort auf dankbare Abnehmer.
Bislang zeigt sich in den Zahlen von Mærsk kein signifikanter Anstieg chinesischer Exporte nach Europa infolge der US-Zölle. Doch Clerc geht davon aus, dass die Gespräche zwischen chinesischen Herstellern und Supermarktketten in Europa, Brasilien, Afrika und Indien längst auf Hochtouren laufen.
„Ich bin mir sicher, dass derzeit sehr viele Gespräche geführt werden, um neue Absatzmärkte zu erschließen“, sagte Clerc.
Für Mærsk, das einen Großteil dieser Waren mit Containerschiffen nach Europa transportiert, ist das ein gutes Geschäft – vorerst.
„Für unsere Geschäfte ist das positiv. Aber langfristig stellt es ein politisches Risiko für Europa dar, wenn wir zu abhängig von China werden“, warnt Clerc.