Umsatzrekorde trotz Personalabbau – ein Systemwiderspruch?
Die Umsätze in der US-amerikanischen IT-Branche eilen von Rekord zu Rekord – gleichzeitig befindet sich die Beschäftigung auf dem Rückzug. Das berichtet Puls Biznesu.
Seit dem Jahr 2010 stieg die Nachfrage nach IT-Fachkräften in den USA nahezu ununterbrochen an. Lediglich die COVID-19-Pandemie sorgte für einen kurzfristigen Einbruch. Den Höchststand erreichte die Branche im November 2022 mit rund 2,5 Millionen Beschäftigten. Die aktuellsten Daten vom Mai 2025 zeigen einen Rückgang auf etwas über 2,4 Millionen. Der Beschäftigungsgraph weist klar auf eine Phase der Stagnation mit fallender Tendenz hin. Der Zustrom neuer Arbeitskräfte ist praktisch zum Erliegen gekommen. Es sieht ganz danach aus, als beginne eine neue Ära – eine Ära des Niedergangs des klassischen Beschäftigungsmodells in der IT.
Diese Entwicklung ist umso bemerkenswerter, da sie zeitlich mit einem revolutionären Wendepunkt zusammenfällt: der Markteinführung des ersten massentauglichen Large Language Model (LLM) – ChatGPT von OpenAI.
Gleichzeitig mit dem Rückgang der Beschäftigtenzahlen verzeichneten drei Softwaregiganten im Jahr 2024 historische Umsatzhöchststände: Oracle steigerte seinen Umsatz auf 54,9 Milliarden US-Dollar, Salesforce auf 37,9 Milliarden und Adobe auf 21,5 Milliarden US-Dollar. Auch die Aktienkurse zeigen seit 2022 – trotz vereinzelter Turbulenzen – einen deutlichen Aufwärtstrend.
Ein Paradoxon tut sich auf: Rekordumsätze auf der einen, ein ausbleibender Zustrom an neuen IT-Kräften auf der anderen Seite. Dieses Szenario widerspricht den üblichen wirtschaftlichen Zusammenhängen.
KI als Produktivitäts-Turbo: Ein Entwickler ersetzt drei
Die plausibelste Erklärung: Die KI-Revolution hat die Produktivität radikal gesteigert. Sprachmodelle wie ChatGPT bieten beeindruckende Unterstützung beim Programmieren – das bestätigen nahezu alle, die in irgendeiner Form mit Code arbeiten. Aufgaben, für die früher drei Junior-Entwickler notwendig waren, kann heute eine einzige Person mit KI-Unterstützung erledigen. Und je leistungsfähiger die Modelle werden, desto stärker verstärkt sich dieser Trend. Es ist durchaus denkbar, dass die IT-Beschäftigung in den USA in absehbarer Zeit nicht mehr auf das Niveau von vor November 2022 zurückkehren wird.
Die Signale aus dem Markt bestätigen diese Entwicklung. Im Mai erklärte Microsoft-CEO Satya Nadella, dass inzwischen 30 Prozent des Codes von künstlicher Intelligenz generiert werden. Im selben Monat gab das Unternehmen die Entlassung von 6.000 Mitarbeitern weltweit bekannt – mehr als 40 Prozent davon betrafen Entwickler, die in US-Zentren von Microsoft tätig waren. Salesforce-Chef Marc Benioff verkündete kürzlich: „Wir werden dieses Jahr keine neuen Ingenieure einstellen. Wir beobachten einen Produktivitätszuwachs von 30 Prozent im Bereich Programmierung – und diesen Kurs werden wir fortsetzen.“ Das ist ein klares Signal: In bestimmten Aufgabenbereichen verdrängt KI bereits menschliche Arbeitskraft.
Der zweite Faktor: Der Pandemie-Boom war überhitzt
Ein weiterer Aspekt ist die Überinvestition. Während der Pandemie haben viele Tech-Konzerne – begünstigt durch historisch niedrige Zinsen – massiv investiert: Es wurde im großen Stil Personal eingestellt, Projekte gestartet und digitale Infrastruktur aufgebaut. Die Annahme: Die Pandemie habe die Digitalisierung dauerhaft beschleunigt – Homeoffice werde bleiben, die digitale Transformation sei unumkehrbar. Doch die Realität hat diese Hoffnung teilweise widerlegt. Irgendwann war zu viel Kapital und zu viel Arbeitskraft in den Markt geflossen. Der gegenwärtige Beschäftigungsstillstand könnte daher schlicht eine Normalisierung nach einem überhitzten Boom darstellen.
KI verdrängt nicht die Arbeit – sie verschiebt sie
Doch aus diesen Entwicklungen zu schließen, dass KI in der Gesamtwirtschaft den Menschen ersetzt, wäre voreilig. Weniger Programmierer bedeuten nicht zwangsläufig weniger Jobs: Gleichzeitig steigt etwa der Bedarf an Experten für Cybersicherheit. Die meisten wirtschaftlichen Analysen deuten darauf hin, dass die aktuelle Innovationswelle insgesamt mehr Arbeitsplätze schaffen wird, als sie vernichtet.