Rollgriff
Wir erinnern uns: In den sechziger und siebziger Jahren gingen die biederen Kleinaktionäre im Dreiteiler auf die jährliche Hauptversammlung ihres Unternehmens, fuhren sogar mit der Straßenbahn vor. Nach Eröffnung des Buffets waren sie dann vornehmlich dort anzutreffen, um sich gewichtig mit anderen Aktionären auszutauschen – und sofern Zigarrenkisten herumstanden mit dem obligaten Rollgriff einen kleinen Vorrat in die Brusttasche zu stecken. Ein Dividenden-Bonus für persönliche Präsenz.
Mit der Öffnung und Globalisierung der Kapitalmärkte hat sich das geändert. Der klassische Schornsteinaktionär, der in der Nähe des rauchenden Schlots seiner Firma wohnt, ist kaum noch anzutreffen, vielleicht einige Betriebsrentner. Wir können heute weltweit anlegen. Während im Handel die Globalisierung Rückschläge erleidet, ist sie auf den Kapitalmärkten immer noch (!) intakt. Und dennoch ist bei Anlegern ein Home Bias festzustellen, also eine Neigung, in Unternehmen aus dem eigenen Land und mit der eigenen Währung zu investieren.
Gute Gründe für den Home Bias
Dafür spricht ja auch vieles, nämlich dass die Berichterstattung in den deutschen Medien über deutsche Gesellschaften sehr viel dichter ist und man daher glaubt, bessere Informationen zu haben. Ferner, dass man gegen Währungsschwankungen abgesichert ist, wenn man in der eigenen Währung investiert. Und drittens mag man es als staatsbürgerliche Pflicht ansehen, sein Kapital in der Heimat zu allozieren. Den Ärger mit der Erstattung der ausländischen Quellensteuer auf Dividenden will ich hier nicht besonders vertiefen, das ist bürokratischer Irrsinn.
Argumente gegen den Home Bias
Den Wald vor Bäumen nicht
Gegen diese Argumente kann man allerdings auch Einwände erheben. Die Nähe zu den deutschen Unternehmen lässt uns diese vielleicht etwas überdetailliert beobachten. Investiert man in Indien, so kümmert man sich nicht um alle Details des Kastensystems, der Infrastruktur, der religiösen und politischen Konflikte, sondern investiert in das große Bild einer aufsteigenden hungrigen Nation mit guter Demographie und langen Arbeitszeiten. In Deutschland sieht man vielleicht den Wald vor lauter Bäumen nicht, weil man tägliche Wasserstandsmeldungen und de-minimis-Nachrichten aufnimmt. Vielleicht ist es besser, eine Anlageentscheidung auf ganz wenige durchschlagende Argumente zu stützen und nicht auf eine Vielzahl von kleinteiligen Kennzahlen, random Meinungen und Analysen. Man glaubt, besser informiert zu sein, ist aber vielleicht nur verwirrt. Das Investieren in der schemenhaften Ferne ist hingegen ein Akt gesunder Komplexitätsreduzierung.
Zudem sieht Deutschland nur aus der Nähe groß aus, ist aber in Wahrheit doch ziemlich klein: Die Marktkapitalisierung aller börsennotierten deutschen Unternehmen liegt bei etwa 2,5 Billionen Euro. Weltweit erreichte die Gesamtmarktkapitalisierung aller börsennotierten Unternehmen im Jahr 2024 etwa 125 Billionen US-Dollar.
Investiere, wo Du Deine Brötchen kaufst
Das zweite Argument, dass man doch in der Währung investiert sein sollte, mit der man auch seine Brötchen kauft, hat eine Plausibilität, wenn er sich um ein sehr kleines Anlagevermögen handelt. Ab einer gewissen Größenordnung ist das Kaufen von Brötchen, Hemden oder sonstigen Artikeln des Lebensbedarfs völlig irrelevant. So viele Brötchen kann man zu Lebzeiten gar nicht essen. Und die Währungsbilanz wiegt einen ja u.U. auch in trügerischer Sicherheit: Wenn man in der eigenen Währung investiert ist, sieht es auf dem Papier, auf dem Depotauszug, immer so aus, als sei alles stabil – während man im Vergleich zu bedeutenden anderen Währungen möglicherweise ärmer und ärmer wird. Es sei denn, man wäre Schweizer, dann ist es umgekehrt,
Man sollte sich doch besser auf die Regionen der Welt verlegen, die einem aussichtsreich erscheinen, was die Produktivität, Innovation und die Unternehmensgewinne betrifft. Und das kann ja durchaus auch Deutschland sein, wenn gerade mit 1 Billion neuer Schulden ein Konjunkturfeuer entfacht wird.
Staatsbürger und Investor: Was für den Home Bias spricht
Bleibt als Argument für den Home Bias noch das patriotische. Sollte man nicht als Staatsbürger sein Geld im eigenen Land investieren, um die hiesige Wirtschaft zu unterstützen, die Investitionsfähigkeit der heimischen Unternehmen zu stärken, junge Unternehmen, Startups zu fördern? Das ist ein nobles Argument. Aber all die, deren Ur-Großeltern im ersten Weltkrieg Kriegsanleihen gekauft haben, werden hiermit schlechte Erinnerungen verbinden. Und wie Russell Napier sagt: We Are Headed Towards a System of National Capitalism, könnte es sogar wieder so kommen.
Letztlich sollte man wohl trennen zwischen dem Staatsbürger und dem Investor. Der Staatsbürger ist natürlich besorgt um das Wohlergehen des eigenen Landes und seiner Mitbürger. Dafür zahlt er Steuern und zahlt sie gerne, geht zur Wahl und tut mit seiner Arbeit das Beste für sein Land. Beim Investment ist das differenzierter zu betrachten. Geld ist rund und rollt weg, hat Heinrich Heine bemerkt. Und es möchte dahin rollen, wo es sich am besten vermehrt. Es ist deshalb rational, nicht notwendig im eigenen Land zu investieren, sondern dort, wo man glaubt, dass das Kapital die dicksten Früchte trägt. Das kann natürlich auch das Heimatland sein. Jede Rentnergeneration kann aber nur von nachfolgenden Generationen ernährt werden.
Es ist deshalb überlegenswert, das Ersparte jedenfalls teilweise in Regionen der Welt mit einer positiven, jungen Demographie anzulegen und darauf zu hoffen, dass die dann fleißig arbeiten und die fremden Geldgeber nicht rausschmeißen. Deutschland hat eine negative Alterspyramide. Es nutzt dem eigenen Land nichts, wenn man sein Geld hier in den Sand setzt und dann nachher auf kleiner Flamme lamentiert. Es dient dem Heimatland vielleicht mehr, wenn man mit einem diversifizierten Portfolio in den Wachstumsregionen der Welt gute Gewinne macht, sie dann heimholt, hier Steuern bezahlt, sich wohltätig zeigt und konsumiert.
Erst die Fremde lehrt uns, die Heimat zu lieben (Theodor Fontane)