S&P 500 auf Rekordjagd, doch Experten warnen vor Grenzen
Die verkürzte Handelswoche in den USA endete mit Rekordständen an den Aktienmärkten. Das hat an der Wall Street erneut Diskussionen über Bewertungen und die Sonderstellung amerikanischer Aktien entfacht.
Michael Hartnett
Am Donnerstag erreichte der S&P 500 ein neues Allzeithoch und näherte sich dabei einer kritischen Marke, die laut Michael Hartnett, Chefstratege der Bank of America, ein Verkaufssignal darstellen würde. Hartnett hatte seinen Kunden zuvor empfohlen, Aktienpositionen abzubauen, sollte der S&P 500 die Marke von 6.300 Punkten überschreiten. Am Donnerstag schloss der Index bei 6.279 Punkten – nur 0,3 Prozent unter dieser Schwelle. „Überkaufte Märkte können lange überkauft bleiben – Gier ist schwerer zu besiegen als Angst“, schrieb Hartnett am Wochenschluss in einer Analyse für Kunden, die von Bloomberg zitiert wurde.
Goldman Sachs
Laut Strategen von Goldman Sachs dürfte die Rallye des S&P 500 im Juli zunächst weitergehen, gestützt durch bessere Liquidität, sinkende Volatilität, abnehmende Rezessionsängste und saisonale Faktoren. Ab August rechnen die Experten allerdings mit einem Ende der Aufwärtsbewegung.
Ihre Prognose stützen sie auf historische Daten: „Der Juli ist traditionell der stärkste Monat für den S&P 500. Seit 1928 erzielte der Index in diesem Monat im Schnitt eine Rendite von 1,67 Prozent“, so die Strategen von Goldman Sachs in einem aktuellen Bericht. Besonders die ersten beiden Juli-Wochen gelten demnach als beste Phase. In den vergangenen zehn Jahren war der Juli nur 2014 negativ, als der S&P 500 um 1,5 Prozent fiel.
Morgan Stanley
Die Experten von Morgan Stanley bleiben bei ihrer Strategie: „America first“ lautet die Devise. Sie empfehlen weiterhin eine Übergewichtung von US-Aktien, US-Staatsanleihen und Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Rating für die kommenden zwölf Monate.
Trotz schwankender Wirtschaftsdaten in den USA argumentiert Morgan Stanley, dass Aktien auch in einem Umfeld mit nachlassendem Wirtschaftswachstum steigen können. Zudem könnten gesenkte Zinsen der US-Notenbank die Staatsanleihen stützen. Ein weiteres Argument: TINA – „There Is No Alternative“. Es fehle derzeit an großen, liquiden Märkten außerhalb der USA, die vergleichbare Renditen bieten.
Allerdings gibt es auch Schattenseiten für internationale Investoren: Zwar klettert der S&P 500 auf Rekordhöhen, doch der schwächelnde US-Dollar belastet Anleger außerhalb der USA. Dieser Trend dürfte laut Morgan Stanley anhalten: „Die einzige US-Vermögensklasse, die wir meiden, ist der Dollar. Wir erwarten hier einen deutlichen Rückgang, da sich die Wachstums- und Renditeunterschiede zum Rest der Welt verringern.“
BlackRock
Auch Anleger selbst reagieren bereits: Laut der größten Vermögensverwaltung der Welt, BlackRock, wächst das Interesse, Investitionen stärker international zu diversifizieren. Über 20 Prozent der BlackRock-Kunden aus Asien, Europa, dem Nahen Osten und Afrika wollen ihre US-Positionen und Dollar-Bestände reduzieren. „Viele Investoren blicken verstärkt auf asiatische Aktien“, erklärte Elaine Wu, Chefin für Investments und Portfoliolösungen in der Asien-Pazifik-Region.
Trotz des hohen US-Anteils in den globalen Portfolios von BlackRock empfiehlt die Firma, die Allokation stärker nach Regionen, Branchen und Anlageklassen zu streuen. Erstmals seit Mai 2023 verzeichnen US-Aktien-ETFs in Asien mehr Abflüsse als Zuflüsse. Gleichzeitig steigen die Zuflüsse in europäische Aktien-ETFs auf ein Achtfaches – mit 60 Milliarden US-Dollar das stärkste Wachstum seit 2015.
Dan Ives
Für US-Technologieaktien erwartet der bekannte Analyst Dan Ives von Wedbush Securities in der zweiten Jahreshälfte eine starke Rallye. Vor allem Schwergewichte wie Nvidia, Microsoft und Palantir sollen um 10 bis 15 Prozent zulegen.
Besonders optimistisch äußert sich Ives zu Tesla: „Ich denke, Tesla steht vor einer Trendwende, wenn die Vision des autonomen Fahrens Realität wird. Die aktuellen Verkaufszahlen sind zwar schwach, aber vor allem in China wird eine Erholung kommen. Teslas Aktie könnte in den nächsten 6 bis 9 Monaten um 30 bis 40 Prozent steigen“, so Ives gegenüber CNBC.
Insgesamt sieht Ives die Tech-Branche am Beginn eines neuen „Goldenen Zeitalters“, getragen vom Boom der Künstlichen Intelligenz. „Die nächste Generation von KI-Technologien steht erst am Anfang. Wer nur auf aktuelle Bewertungen achtet, verpasst das Wachstum der nächsten 3 bis 5 Jahre – für mich sind Tech-Aktien derzeit unterbewertet“, so der Analyst. Besonders im Bereich Cybersicherheit sieht er große Potenziale.
Der Nasdaq-Index erreichte am Donnerstag ein neues Allzeithoch bei 20.601 Punkten. „Wir stehen vor mindestens drei weiteren Jahren Bullenmarkt für Tech-Aktien“, ist Ives überzeugt.
Tech-Aktien im „Goldenen Zeitalter“? Bullishe Prognosen für Nasdaq & Co.
Die Rekordjagd an den US-Börsen geht weiter, doch die Warnsignale mehren sich. Historische Zyklen, Überbewertungen und ein schwächelnder Dollar könnten den Aufwärtstrend bald bremsen. Dennoch sehen viele Experten gerade bei Technologieaktien enormes Potenzial – getragen vom KI-Boom und der Dominanz amerikanischer Märkte. Für Anleger gilt jetzt: Chancen nutzen, aber Risiken nicht unterschätzen.