Wirtschaft

China frisst Europas Industrie und niemand wehrt sich

Chinas Staatskonzerne zerlegen Europas Industrie Stück für Stück – doch Berlin, Brüssel und Paris liefern nur leere Worte. Während Europa von fairen Spielregeln träumt, schafft Peking Fakten.
08.07.2025 05:55
Lesezeit: 5 min
Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Europa redet, China handelt – und übernimmt die Schlüsselindustrien

Europa muss Chinas industrielle Invasion auf völlig neue Weise begegnen. Es braucht „hart gegen hart“, meint die deutsche China-Expertin Dr. Janka Oertel. Chinas Staatsindustrie ist ein Raubtier, das an den zunehmend fleischlosen Knochen Europas nagt. Und das völlig unbehelligt – Europas Antwort bleibt ein bloßes „Das dürft ihr nicht“ – ohne den Versuch, den vorsichtigen Worten echte Macht folgen zu lassen. Das berichtet das Wirtschaftsportal Børsen.

Das klingt drastisch. Und sehr bildhaft. Doch der Begriff „Raubtier“ stammt von Dr. Janka Oertel, deutsche Direktorin beim European Council on Foreign Relations mit Zuständigkeit für China und Asien. Sie spricht schnell und sehr versiert. Doch sie ist ebenso extrem kenntnisreich und hat eine klare Botschaft: China ist dabei, das Herz der europäischen Industrie zu untergraben. Sie zeichnet ein erschreckendes Bild eines EU-Europas, das „in der Vergangenheit lebt“ und es nicht schafft, sich auf eine neue Welt einzustellen – treffend beschrieben im Titel von Giuliano da Empolis viel diskutiertem Buch „Zeit der Raubtiere“. Oertels Bild von Chinas Ambitionen ist eindeutig: Mit den gewaltigen Finanzmitteln der Kommunistischen Partei und ihrem Monopol auf die politische Marschrichtung steuern chinesische Unternehmen gezielt auf die Übernahme großer Teile der europäischen Industrieproduktion zu. „Ein neues China-Schockereignis würde Deutschland und seine Nachbarn treffen – potenziell sehr schwer. China betreibt eine raubtierhafte Handelspolitik, um das geringe Inlandswachstum auszugleichen und als Teil einer Strategie wirtschaftlicher Dominanz, die Chinas nationale Sicherheit absichern soll“, so Janka Oertel.

Die Bedrohung durch China für das Fundament von Europas Wohlstand sei derart offensichtlich, dass die deutsche Expertin regelrecht fassungslos ist, wie sehr sie im Kanzleramt in Berlin ignoriert wird. Und ebenso bei anderen europäischen Regierungschefs. „Alle – Emmanuel Macron aus Frankreich, Pedro Sánchez aus Spanien und Olaf Scholz (damals Bundeskanzler, Anm. d. Red.) – waren in Peking zu Spitzentreffen. Sie haben den Chinesen gesagt, dass sie faireren Handel verlangen und es nicht akzeptieren, dass chinesische Firmen ihre gigantische Überproduktion zu Dumpingpreisen nach Europa bringen. Aber wenn die Chinesen dann fragen ‚Und was passiert sonst?‘, bleibt die Antwort aus.“ Und das liege nicht, sagt Janka Oertel, daran, dass „China keine harte europäische Haltung verstehen würde. Würde Europa Widerstand zeigen, würden die Chinesen reagieren. Aber wenn ihnen niemand entgegentritt, machen sie natürlich weiter wie bisher“.

Sie verweist darauf, dass „Bundeskanzler Friedrich Merz kürzlich eine über 20-minütige außenpolitische Rede hielt, ohne China ein einziges Mal zu erwähnen. Wenn er dann nach Peking reist, wird es – wie immer – mit einer großen Wirtschaftsdelegation sein. Aber es sind deutsche Unternehmen, die immer stärker in China investieren und dort für den chinesischen Markt produzieren. Unter chinesischer Führung. Alle Arbeitsplätze und Steuern bleiben in China – Europa profitiert wirtschaftlich null“, so Janka Oertel. Sie ist überzeugt, dass die massiven Investitionen der deutschen Autoindustrie in China scheitern werden.

Chinesische Fließbänder in Europa

Seit 2022 ist der Marktanteil deutscher Autobauer in China massiv gefallen. Als Oliver Blume, bis März VW-Chef, damals sagte, man peile 15 Prozent Marktanteil an, war das extrem gewagt – angesichts des harten Wettbewerbs und sinkender Marktanteile ausländischer Hersteller insgesamt. Umgekehrt haben chinesische Firmen längst begonnen, Produktionsstätten innerhalb Europas aufzubauen, um den EU-Zöllen und Anti-Dumping-Maßnahmen gegen Billigimporte zu entgehen. „Große Teile von Europas industrieller Basis drohen sich in eine Ansammlung chinesischer Fließbänder zu verwandeln“, warnt Janka Oertel. Ihr Rezept, das zu stoppen, ist die Abkehr von „veralteten Vorstellungen von Wettbewerbsfähigkeit“, wonach langfristig das beste Produkt gewinne.

Sie fordert von den europäischen Führungen eine gemeinsame Industriepolitik, um „attraktive Bedingungen für Unternehmen zu schaffen, damit diese das industrielle Netz verdoppeln können“. Oertel spricht von einem neuen „China-Schock“. Der erste kam mit Chinas WTO-Beitritt, der es ermöglichte, „die Weltmärkte mit Billigwaren zu fluten und Jobs in der verarbeitenden Industrie, vor allem in den USA, abzuziehen“. Deutschland und andere EU-Staaten kamen glimpflich davon, da die deutsche Industrie Teile ihrer Produktion bereits in neue EU-Länder mit niedrigen Löhnen verlagert hatte – während die deutsche Industrieproduktion technologisch und qualitativ höher angesiedelt war als Chinas. Doch diesmal wird Europa nicht so glimpflich davonkommen. Die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft nutzt ihre „massive Überkapazität an hochtechnologisch gefertigten Gütern“ gezielt für einen Frontalangriff. Oertel sieht darin „das Potenzial, Deutschlands industrielle Rückgrat zu brechen – allen voran die Autoindustrie“. Denn chinesische Exporte seien „nicht länger billige Elektronik, Waschmaschinen und Textilien wie vor 25 Jahren. Chinas Produkte konkurrieren direkt mit den Kernbranchen der deutschen Industrie“, so Oertel in einer Analyse für den European Council on Foreign Relations. Sie betont, dass diese düstere Diagnose zwar auf die deutsche Autoindustrie fokussiert, aber viele andere Branchen betrifft. Für Dänemark etwa die Windkraft, wo chinesische Anbieter vergleichbare Produkte wie Vestas liefern – zu Preisen, die europäische Hersteller nicht halten können.

China will alles selbst produzieren

„Chinas Wirtschaft wächst kaum, und sie versuchen, sich mit noch mehr Produktion aus der Flaute zu kämpfen – Produktion, die sie im Inland nicht absetzen können. Jeder Marktanteil in Europa, jedes Stück europäischer Produktion, das sie übernehmen können, ist für China überlebenswichtig“, so Oertel. China und die Kommunistische Partei haben sich entschieden, nie mehr vom Westen abhängig zu sein – sie wollen alles selbst herstellen, auch die komplexesten Produkte. Bereits heute ist China die Produktions-Supermacht der Welt, zeigt eine Analyse von Ökonom Richard Baldwin für das Center for European Policy Reform. China steht für über ein Drittel der weltweiten Produktion – dreimal so viel wie die USA, sechsmal so viel wie Japan, neunmal so viel wie Deutschland. Das gilt auch für Spitzentechnologien. Laut Daten des Australian Strategic Policy Institute für 2019–2023 führt China global in 57 von 64 Schlüsseltechnologien – darunter Hochleistungs-Chips, Mikrochips, Gravitationssensoren, Supercomputer, Quantensensoren und Raumfahrt.

Angesichts dessen haben die USA unter Donald Trump und seinen Vorgängern China zu ihrem „größten Gegner“ erklärt – technologisch, militärisch und wirtschaftlich. Vor diesem Hintergrund fordert Oertel, dass die EU die Bedrohung durch China als „Frage der nationalen Sicherheit“ begreift – ähnlich wie Trump, der Importe mit Hinweis auf Sicherheit stoppt oder hohe Zölle verhängt. So erklärte das Weiße Haus im April, es gebe „weitere Zölle, die ich für notwendig halte, um diese außergewöhnliche Bedrohung für Amerikas Sicherheit und Wirtschaft zu adressieren, die ganz oder überwiegend von außerhalb stammt“. Ebenso will Oertel die europäischen Politiker aus der Illusion holen, man lebe in einer Welt „gleicher Spielregeln“, in der bessere Rahmenbedingungen reichen, um in den Schlüsselsektoren mit China mitzuhalten.

Europa bekämpft sich selbst

„Doch das haben wir in den letzten 15 Jahren nicht gesehen. Die Europäer treten nicht gegen chinesische Unternehmen an – sie treten an gegen die strategischen Ambitionen der KP Chinas, die die kollektive Wirtschaftskraft der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt bündelt“, so Oertel. Umso unverständlicher sei es für sie, dass Europa sich weiterhin vor allem intern bekämpft. Wenn Deutschland Frankreich schlägt, gilt das als Erfolg, wenn eine deutsche Firma einen französischen Rivalen schlägt, ist das noch besser. Diese Mentalität und die Regeln müssten sich ändern. Wie andere Experten verweist Oertel auf den Bericht von Ex-EZB-Chef Mario Draghi, wonach EU-interne Barrieren und Auflagen das Unternehmertum noch immer mit Kosten belasten, die faktisch einer Zollschranke von rund 40 Prozent entsprechen. Bis das gelöst ist, werden „die Vorteile chinesischer Unternehmen in Europa nur noch größer, je mehr diese Firmen Teile der europäischen Wirtschaft verschlingen. Lebenswichtige Sektoren drohen ausgehöhlt, ausgelöscht oder übernommen zu werden“. Ähnlich wie in den USA unter Trump erklärt Oertel: Europa steht einem „systemischen Rivalen“ gegenüber, bei dem die Fähigkeit zur industriellen Produktion entscheidend ist. Die EU brauche daher neue Industriestrategien. Ihr konkreter Vorschlag: grenzüberschreitende Industrie-Sonderzonen nach chinesischem Vorbild – mit Staatsförderung, koordinierter Forschung, Entwicklung und Sondergesetzen für mehr Flexibilität. Und ohne Zugang für chinesische Firmen. Wenn nichts geschieht – und das müsse schnell passieren – bleiben laut Dr. Oertel nur zwei Szenarien: Im ersten trifft Europas Industrie Muskelschwund – wie bei der Solarbranche, die China übernahm, was das Ende für Tausende europäische Zulieferer bedeutete. Im zweiten übernehmen chinesische Konzerne zentraleuropäische Industrien oder bauen eigene Fabriken. Sie sind dann kein Teil der europäischen Wirtschaft, sondern integrieren chinesische Technologien – mit chinesischem Personal. In beiden Fällen wird Europas Wachstum und Wohlstand untergraben.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Technologie
Technologie Lieferroboter im Test: Helsinki zeigt, wie die Zukunft der Essenszustellung aussieht
10.09.2025

In Helsinki liefern Roboter bereits Bestellungen für Wolt, in Slowenien testet McDonald’s Service-Roboter. Tempo-Limits und rechtliche...

DWN
Politik
Politik AfD-Verbot: CSU im Bundestag will nicht über AfD-Verbotsantrag sprechen
10.09.2025

AfD-Chef Tino Chrupalla sieht seine Partei unaufhaltsam auf dem Weg zur Regierungsübernahme. Grüne, SPD und Linke wollen jetzt...

DWN
Politik
Politik Corona Kommission soll „verstehen, nicht verurteilen“ - Aufarbeitung der Pandemie beginnt
10.09.2025

Masken, Tests und Schließungen: Die Einschnitte während der Corona-Pandemie waren hart und übergriffig. Nun soll eine Enquetekommission...

DWN
Politik
Politik Arbeitszeit-Debatte: Mehr arbeiten - aber wofür? Mehr als die Hälfte der Deutschen wünscht kürzere Arbeitszeiten
10.09.2025

Um Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, sollten die Menschen in Deutschland mehr arbeiten, argumentieren führende Politiker....

DWN
Politik
Politik Polestar-Aktie: Elektroautobauer fordern Festhalten am EU-Ziel für null Emissionen
10.09.2025

Polestar und Volvo Cars fordern von der EU ein Festhalten am Nullemissionsziel bis 2035. Während Mercedes-Benz unter Druck gerät, stärkt...

DWN
Politik
Politik Nach Drohnenabschuss in Polen: keine Beweise für russische Drohnen - Tusk beantragt Nato-Konsultationen
10.09.2025

Nach dem Eindringen von mehreren Drohnen in den polnischen Luftraum hat die Regierung in Warschau Konsultationen nach Artikel 4 des...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wirtschaftswunder Griechenland: Steuersenkungen dank guter Wirtschaftslage
10.09.2025

2010 kurz vor der Pleite - heute zählt Griechenland zu den wachstumsstärksten Ländern in der EU. Jetzt will Ministerpräsident...

DWN
Politik
Politik Höhere Beitragsbemessungsgrenzen: Sozialbeiträge werden für Beschäftigte 2026 spürbar steigen
10.09.2025

Die schwarzrote Koalition will die Beitragsbemessungsgrenzen für Rente, Pflege und Krankenversicherung anheben – mit der Begründung,...