Werden dividendenstarke Aktien mit hohen Ausschüttungen überbewertet?
Viele Privatanleger bevorzugen dividendenstarke Aktien, die regelmäßige Ausschüttungen versprechen. Martynas Karčiauskas, IT-Unternehmer und Investor, hält solche Titel zwar im Portfolio – verfolgt aber eine grundsätzlich andere Strategie. „Ich orientiere mich nicht an der Dividendenrendite, sondern an der Kapitalrendite, weil sie die reale Wachstumsfähigkeit und die langfristige Wertschöpfung für den Aktionär zeigt“, so Karčiauskas gegenüber „Mano pinigams“.
Seit 2006 investiert Karčiauskas an den Märkten, mit teils schmerzhaften Erfahrungen. Die Finanzkrise traf ihn unvorbereitet, er musste mit Verlust verkaufen. Nach einer Phase mit Fokus auf Immobilien begann er 2019 erneut, Aktien ernsthaft zu analysieren – als Diversifikation zur Immobilie.
Heute verwaltet Karčiauskas zwei Portfolios: ein liquides Aktienportfolio und ein Immobilienportfolio in Vilnius. Das Aktienportfolio ist dreigeteilt: etwa 45 Prozent fließen in ETFs, ebenso viel in Einzelaktien, der Rest wird in Geldmarktfonds geparkt – als Reserve für Kaufgelegenheiten.
ETF-Schwerpunkt, aber aktiv gesteuert
Im ETF-Teil liegt der Fokus auf vier Hauptfonds: dem S&P 500 („iShares Core S&P 500 UCITS ETF“), einem globalen Fonds ohne US-Anteil („Vanguard FTSE All World ex US ETF“), dem EuroStoxx 50 und einem Rüstungsfonds für europäische Verteidigung („WisdomTree Europe Defense UCITS ETF“). Ergänzend investiert Karčiauskas kleinere Summen in Fonds mit Fokus auf Indien, China und Brasilien. Einzelaktien unterteilt er in zwei Gruppen. Die erste Gruppe bilden „Compounder“ – Unternehmen mit hoher Kapitalrendite (mindestens 13 Prozent), wenig Schulden und langfristiger Wachstumsstrategie. Zudem achtet Karčiauskas darauf, dass das Management selbst substanzielle Aktienanteile hält.
Besonderes Augenmerk gilt der Kapitalrendite (ROIC), da sie zeigt, wie effizient Unternehmen investieren – unabhängig davon, ob Dividenden ausgeschüttet werden. „Viele Anleger bevorzugen Dividendenaktien, doch für mich sind hohe Ausschüttungen oft ein Hinweis auf fehlende Expansionsmöglichkeiten“, so der Investor. Unternehmen, die Gewinne ausschütten, hätten oft keinen besseren Plan, als Geld zurückzugeben.
Karčiauskas’ Favoritenliste umfasst Unternehmen wie Meta, Dino Polska, Evolution AB, das australische Bauunternehmen Duratec und Teqnion – ein schwedischer Industriekonzern mit Beteiligungsstrategie à la Berkshire Hathaway.
Deutschland als Schlüsselmarkt für Qualitätsaktien
Für langfristige Investoren spielt Deutschland eine bedeutende Rolle – nicht nur wegen seiner soliden Unternehmen, sondern auch als ETF-Schwerpunktregion. Zahlreiche im EuroStoxx-50 enthaltene Titel, in die Karčiauskas über ETFs investiert, kommen aus Deutschland. Zudem gelten deutsche Mittelständler weltweit als Beispiele für nachhaltiges Wachstum. Investoren mit Fokus auf Kapitalrendite, wie Karčiauskas, sehen in gut geführten, innovationsstarken deutschen Unternehmen eine stabile Säule für ihr Portfolio.
Unterbewertung als taktische Chance
Die zweite Gruppe im Einzelaktienbereich sind unterbewertete Titel. Diese Positionen hält Karčiauskas kurzfristiger, meist für opportunistische Käufe. Aktuell sind darunter Burberry, Alibaba sowie Alphabet. Letztere kaufte er, als das KGV bei 18 lag – deutlich unter dem Niveau anderer Tech-Schwergewichte. Trotz pessimistischer Marktmeinungen über Google glaubt Karčiauskas an die langfristige Stärke der Alphabet-Beteiligungen, etwa YouTube oder Waymo.
Dass Alphabet nun erstmals in sein Portfolio aufgenommen wurde, liegt an der verbesserten Bewertung und weiterhin starken Fundamentaldaten. Mit einer ROIC von 18 Prozent über zehn Jahre, wenig Schulden und robuster Bilanz erfüllt Alphabet alle Kriterien des Anlegers.
2022 nutzte Karčiauskas die Marktkorrekturen für den Kauf weiterer Technologietitel. Im Juli stockte er zudem seine Position in Evolution AB auf, nachdem der CEO Aktien nachgekauft hatte – ein positives Signal. Trotz Kursrückgängen seien Margen, Kapitalrendite und Rückkäufe weiterhin überzeugend. Daneben reduzierte er seine Reddit-Position und baute das Engagement im globalen ETF ohne US-Anteil (Vanguard FTSE All-World ex-US) aus.
Geduld, Disziplin und das Aushalten der Langeweile
Obwohl Karčiauskas regelmäßig einzelne Aktien kauft, sieht er sich als typischen Langfrist-Investor. Sein Anlagehorizont beträgt mehrere Jahrzehnte – denn nur so könne man vom Zinseszinseffekt profitieren. Er investiert regelmäßig – meist quartalsweise – und erwartet langfristige Renditen von rund 10 bis 12 Prozent. In den vergangenen fünf Jahren lag die Performance seines Portfolios bei 13,4 Prozent (ohne Dividenden).
Sein Kapital verwaltet Karčiauskas über die Saxo Bank. Seine Philosophie orientiert sich an drei Prinzipien, die Howard Marks formuliert hat: Informationsvorsprung, Analysefähigkeit und Verhaltensüberlegenheit. Letztere ist für ihn entscheidend. „Ich versuche 99 Prozent der Zeit, nichts zu tun, wenn sich keine Gelegenheit bietet“, sagt er. Er vergleicht sich mit einem Fischer, der am Fluss sitzt und auf den großen Fang wartet. Manchmal gehe es schnell, manchmal dauere es Jahre – entscheidend sei, nicht in Aktionismus zu verfallen.
Neue Anlageklassen interessieren ihn nicht, doch einige Titel stehen auf seiner Wunschliste: etwa LVMH, Nubank, AppFolio und Intel. Doch auch hier gilt: kaufen nur bei Gelegenheit – nicht aus Ungeduld. „Ich bin das Gegenteil eines Traders“, sagt Karčiauskas. „Ein langweiliger Investor – aber ein geduldiger.“


