Politik

Schwarz-Rot im Herbst der Reformen: Versöhnliche Töne vor großen Entscheidungen

Vor den anstehenden Auseinandersetzungen um zentrale Reformprojekte zeigen sich führende Vertreter der schwarz-roten Koalition um Einigkeit bemüht. Trotz der jüngsten Forderungen von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) nach tiefgreifenden Sozialreformen bewertet die SPD dessen Aussagen eher als Signal an die eigene Parteibasis denn als Kampfansage. Auch Merz selbst rief am Wochenende auf einem CDU-Landesparteitag in Niedersachsen zu mehr Gemeinsamkeit auf – sowohl innerhalb seiner Partei als auch im Bündnis mit der SPD.
25.08.2025 09:58
Lesezeit: 3 min
Schwarz-Rot im Herbst der Reformen: Versöhnliche Töne vor großen Entscheidungen
Am Donnerstag kommen die geschäftsführenden Fraktionsvorstände beider Koalitionspartner zu einer Klausurtagung in Würzburg zusammen (Foto: dpa). Foto: Katharina Kausche

Sozialstaat durch Merz in Gefahr?

„Merz' Aussagen zum Sozialstaat scheinen mir mehr Pflichtelement einer CDU-Parteitagsrede zu sein als alles andere“, sagte SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“ (Montag). „In Wirklichkeit weiß auch er: Unser Sozialstaat ist eine zentrale Errungenschaft unserer Demokratie und das Fundament jener sozialen Marktwirtschaft, die Deutschland stark gemacht hat.“ Richtig sei, dass Deutschland wieder wirtschaftliches Wachstum brauche.

Ähnlich ordnet es der SPD-Vizefraktionsvorsitzende Dirk Wiese ein. Er berichtete beim Redaktionsnetzwerk Deutschland, Merz und er hätten bei einer Veranstaltung im Sauerland zusammen die Gemeinsamkeiten der Koalition betont. „Denn die außen- und innenpolitischen Aufgaben sind groß. Daran arbeiten wir permanent und wollen die Taktzahl in unserem Arbeitsmodus im Herbst noch weiter erhöhen.“

Andere in der SPD wie die Vizevorsitzenden Petra Köpping und Serpil Midyatli zeigen der Union in der „Bild“-Zeitung (Montag) eher den mahnenden Zeigefinger: „Sozialdemokraten haben in mehr als 160 Jahren einen starken Sozialstaat erkämpft. Das allein auf die Kassenlage zu reduzieren, wird es mit uns nicht geben“, sagte Midyatli.

Steuer für Überreiche?

Merz hatte am Samstag beim CDU-Landesparteitag in Osnabrück gesagt: „Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar.“ Und: „Ich werde mich durch Worte wie Sozialabbau und Kahlschlag und was da alles kommt nicht irritieren lassen.“ Er mache es den Sozialdemokraten bewusst nicht leicht. „Aber der Appell richtet sich an uns alle: Lasst uns zusammen zeigen, dass Veränderungen möglich sind, dass Reformen möglich sind.“

Auch der Parlamentsgeschäftsführer der CDU/CSU, Steffen Bilger (CDU), zeigt sich umgänglich und betont Übereinstimmungen stärker als Unterschiede. „Wir wissen in allen drei Koalitionsparteien, dass wir eine wichtige Aufgabe zu erfüllen haben und uns darum kümmern sollten, Probleme zu lösen und die richtigen Entscheidungen zu treffen“, sagte er im Politico-Podcast „Berlin Playbook“.

Zur SPD-Forderung nach Steuererhöhungen für Vielverdiener und Vermögende äußerte sich Merz in Osnabrück differenziert und schloss sie nur in einem Kernbereich aus: „Mit dieser Bundesregierung unter meiner Führung wird es eine Erhöhung der Einkommenssteuer für die mittelständischen Unternehmen in Deutschland nicht geben“, sagte er - was mindestens formal keine generelle Absage an jegliche Steuererhöhung ist.

Allerdings baute CSU-Chef Markus Söder etwaigen anderen Erwägungen vor. Mit der CSU werde es „definitiv keine Steuererhöhungen“ geben, sagte er im ARD-Sommerinterview. Das sei „erstens immer ein Rohrkrepierer, zweitens der falsche Weg, und würde doch jetzt, nachdem wir gerade Steuern gesenkt haben, alles wieder kaputt machen.“

Vorbereitungen in vollem Gange

Zur Vorbereitung des anstehenden Ringens mit den Sozialdemokraten will Merz am Nachmittag mit den Spitzen der Union über die weitere Aufstellung im angekündigten „Herbst der Reformen“ beraten. Dazu kommt er mit allen Unionsministern, dem Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn, CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und Spitzenleuten der CSU im Kanzleramt zusammen. Dies verlautete aus Regierungskreisen, nachdem zuerst der Chefredakteur bei Table.Media, Michael Bröcker, darüber berichtet hatte. Es gehe um die inhaltlichen Themen der Koalition mit der SPD und die Kommunikation, hieß es.

Was ansteht

Am Donnerstag kommen die geschäftsführenden Fraktionsvorstände beider Koalitionspartner zu einer Klausurtagung in Würzburg zusammen. Zwei Tage lang sollen dann Wege zu Lösungen der anstehenden Probleme gesucht werden.

Die Arbeit der Koalition war - anders als anfangs versprochen - zuletzt stark vom Streit geprägt: zunächst über die ausgebliebene Senkung der Stromsteuer für alle, dann die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts und aktuell vor allem die Steuer- und die Sozialpolitik. Hauptproblem ist, dass die Ausgaben des Bundes und der Sozialversicherungen immer weiter wachsen und größer sind als die realen Einnahmen.

Nach dem Ende der Sommerpause sollen daher wichtige Reformprojekte in Angriff genommen werden. Wie die teils gegensätzlichen Positionen von Union und SPD dabei zusammenkommen sollen, ist bisher unklar. „Das wird für uns im Herbst eine anstrengende Arbeit“, sagte Merz am Sonntag beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung.

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