FT über deutsche Rentenkrise: Kann ein Zehner im Monat das Sparverhalten revolutionieren?
Bundeskanzler Friedrich Merz will mit einer Börsensubvention für Kinder den Kapitalmarktzugang fördern. Doch der Widerstand gegen den Bruch mit dem Bismarck-Modell ist groß.
Mit einem überraschenden Aufruf wandte sich Bundeskanzler Friedrich Merz kürzlich auf YouTube an junge Deutsche: Sie sollten sich nicht allein auf die gesetzliche Rente verlassen, sondern regelmäßig kleine Beträge an der Börse investieren. Die Reaktion kam prompt – und heftig. Der einflussreiche Metallarbeitersyndikat IG Metall warf Merz vor, „realitätsfern und gefährlich“ zu argumentieren. Statt privatwirtschaftliche Anlageformen zu fördern, müsse die Politik den staatlichen Rentenpfeiler stärken, zitiert die Financial Times.
Das deutsche Umlagesystem, 1889 von Otto von Bismarck eingeführt und weltweit zum Vorbild geworden, steht unter massivem Druck: Eine alternde Bevölkerung, sinkende Geburtenraten und schrumpfende Erwerbsbevölkerung bedrohen seine Tragfähigkeit. Und auch die traditionell vorsichtigen deutschen Sparer erkennen zunehmend, dass ohne Kapitalmarkt kaum noch Vorsorge möglich ist. Merz’ Vorschlag: Ab 2026 sollen Eltern für jedes Kind zwischen sechs und 18 Jahren monatlich zehn Euro vom Staat erhalten, wenn sie dieses Geld in einen Aktien-Sparplan investieren. Die Ersparnisse sollen bis zur Rente unangetastet bleiben.
Demografische Schieflage als tickende Zeitbombe
Laut dem Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) werden bis 2036 rund 19,5 Millionen Babyboomer in Rente gehen – gleichzeitig strömen lediglich 12,5 Millionen junge Menschen in den Arbeitsmarkt. Das bedeutet einen Rückgang der Erwerbsbevölkerung um neun Prozent. Bis 2040 müssten dann 100 Arbeitnehmer rund 41 Rentner finanzieren – heute sind es noch 30.
Hinzu kommt die Haushaltsbelastung: Bereits 2024 wird rund ein Viertel des Bundeshaushalts – rund 118 Milliarden Euro – zur Deckung der Rentenlücke verwendet. Und der Bundesrechnungshof warnt, dass diese Summe weiter steigen wird, sollte es keine tiefgreifenden Reformen geben.
Die Merz-Regierung scheut jedoch bisher vor einer grundlegenden Systemerneuerung zurück. Stattdessen sollen individuelle, kapitalgedeckte und privat verwaltete Sparpläne das Umlagesystem ergänzen – so die Linie der Finanzpolitik.
Was würde das für Deutschland bedeuten?
Die Einführung der „Frühstart-Rente“ zielt auf einen Paradigmenwechsel: weg von der kollektiven, steuerfinanzierten Alterssicherung hin zu einer individuellen Eigenverantwortung über den Kapitalmarkt. Während Großbritannien mit einer Aktienquote von 39 Prozent und die USA mit 62 Prozent der Haushalte deutlich aktienaffiner sind, investieren in Deutschland derzeit nur 17 Prozent der Erwachsenen in Aktien, Fonds oder ETFs.
Ein Grund für diese Zurückhaltung liegt in jahrzehntelangen Versprechungen der Politik: Die gesetzliche Rente sei „sicher“. Erst jetzt beginnt ein schleichendes Umdenken. Laut Bundesbank verfügen deutsche Haushalte über ein Finanzvermögen von rund neun Billionen Euro – davon liegen aber 37 Prozent in bar oder auf zinslosen Konten. Von diesem Kapitalmarktpotenzial will die Bundesregierung nun gezielt etwas mobilisieren.
Kritik und offene Fragen
Ob zehn Euro im Monat ausreichen, um langfristig Vermögen aufzubauen, ist umstritten. Auch die Initiative selbst steckt noch in der Konzeptphase. Das Finanzministerium beziffert die jährlichen Kosten der geplanten Förderung auf rund 1,5 Milliarden Euro. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erklärte gegenüber der FT, Ziel sei es, „die nächste Generation frühzeitig mit dem Kapitalmarkt vertraut zu machen“.
Ob sich die Deutschen von ihrer Skepsis gegenüber Aktien lösen und private Altersvorsorge in Form von Kapitalmarktinvestments annehmen, wird entscheidend dafür sein, wie die Rentensysteme der Zukunft aussehen – nicht nur in Deutschland. Der Bismarck’sche Generationenvertrag steht auf dem Prüfstand. Und das nicht nur symbolisch: Es geht um die finanzielle Stabilität ganzer Gesellschaften im demografischen Umbruch.



