Immobilien

Betongold in der Krise: Immobilienmarkt zwischen Zinsschock, Baukrise und Inflation

„Jeder Mensch bezahlt im Laufe seines Lebens mindestens eine Immobilie. Und meistens ist es nicht die eigene.“ Dieser Spruch kursiert seit Jahren als Bonmot in der Immobilienbranche und fasst augenzwinkernd zusammen: Wohnen ist nie kostenlos. Entweder finanziert man über Jahrzehnte das Objekt eines Vermieters oder stemmt die eigene Finanzierung. In Deutschland entscheiden sich die meisten für den ersten Weg, nicht selten unfreiwillig.
23.10.2025 12:17
Aktualisiert: 01.01.2030 11:30
Lesezeit: 6 min
Betongold in der Krise: Immobilienmarkt zwischen Zinsschock, Baukrise und Inflation
Der deutsche Immobilienmarkt steckt im Umbruch (Foto: dpa).

Deutschland, Land der Mieter

Laut der Studie „Wohnen in Deutschland 2025“, die der Sparda-Bank-Verband gemeinsam mit dem Institut der deutschen Wirtschaft veröffentlicht hat, wünschen sich 74 Prozent der Bevölkerung ein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung. Die Realität sieht jedoch anders aus: Lediglich 45 Prozent leben tatsächlich in Wohneigentum. Damit ist Deutschland europäisches Schlusslicht hinter Spanien (76 Prozent), Italien (74 Prozent), Frankreich (63 Prozent) und Österreich (54 Prozent). Die Bundesrepublik bleibt ein Land, dessen Bewohner mehrheitlich Miete zahlen, obwohl die Mieten seit Jahren unaufhaltsam steigen.

Ein Blick auf die Preisrelationen zeigt, warum das so ist. So kostet ein Quadratmeter Wohnfläche in München im Durchschnitt 8.461 Euro, im Kyffhäuserkreis in Thüringen dagegen nur 800 Euro. Für eine sogenannte Standardwohnung – in der Sparda-Studie definiert als eine Eigentumswohnung mit 117 Quadratmetern – müssen Käufer bundesweit 6,4 Jahresnettoeinkommen aufbringen, in Berlin mehr als 13 und in München fast 15. Einkommen und Vermögen reichen schlicht nicht aus, um die hohen Kaufpreise und gestiegenen Finanzierungskosten zu stemmen.

Von der Nullzins-Euphorie in die 4-Prozent-Realität

Zwischen 2009 und 2021 galt Betongold als Synonym für Stabilität. In dieser Zeit bewegten sich die Bauzinsen für zehnjährige Kredite um die Marke von ein bis anderthalb Prozent. Eigentum war so günstig finanzierbar wie nie, und stetig steigende Preise verstärkten das Gefühl von Sicherheit. Mit dem historischen Preisrückgang im Jahr 2023, dem stärksten seit sechs Jahrzehnten, ist diese Euphorie verflogen. Eine Analyse von Deutsche Bank Research verdeutlicht die starken Veränderungen der Rahmenbedingungen. So stiegen die Preise für Wohnimmobilien zwischen 2010 und 2021 bundesweit im Schnitt um mehr als 60 Prozent, während die Zinsen auf historische Tiefstände fielen. In dieser Phase galten Immobilien als sicherer Hafen und Schutz vor Inflation. Mit der Zinswende ab 2022 hat sich dieses Bild jedoch grundlegend gewandelt.

DB Research erwartet, dass die Finanzierungskosten langfristig über dem Vorkrisenniveau bleiben und sich die Preissteigerungen nicht einfach fortsetzen lassen. „Die Niedrigzinsära ist vorbei, Immobilien müssen sich als Assetklasse in einem normalisierten Zinsumfeld neu beweisen“, heißt es in der Studie. Tatsächlich hatten sich die Bauzinsen in der Spitze auf über vier Prozent verteuert, aktuell bewegen sie sich zwischen 3,1 und 3,7 Prozent. Das liegt weiterhin deutlich über den Niveaus der Nullzinspolitik, wird von Marktbeobachtern jedoch bereits als erste Stabilisierung gedeutet. Wie aus dem IW-Wohnindex 2025 hervorgeht, hat der drastische Einbruch seinen Tiefpunkt überschritten. „Langsam steigen die Preise wieder, weil sich die Zinsen leicht gesenkt haben und die Mieten stärker zulegen als in den Boomjahren“, sagt Michael Voigtländer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW).

Für Haushalte bedeutet diese Entwicklung allerdings keine Entlastung. „Wohnraum bleibt Mangelware, Mieter müssen sich auf steigende Belastungen einstellen“, warnt Moritz Raabe, Leiter des ImmobilienCenters der Sparkasse zu Lübeck. In seiner Region sieht er zwar klare Vorteile wie die Nähe zur Ostsee, hohe Lebensqualität und eine gute Infrastruktur. Die Preise seien im Vergleich zu Hamburg noch moderat, was Chancen eröffne. Doch auch in Lübeck und Ostholstein scheitern viele Interessenten an der Eigenkapitalhürde. Damit decken sich Raabes Beobachtungen mit denen von IW-Experte Voigtländer. Dieser verweist zwar auf verbesserte Rahmenbedingungen durch sinkende Zinsen und steigende Mieten, betont jedoch zugleich, dass der Zugang zu Wohneigentum für Durchschnittshaushalte nach wie vor versperrt bleibt.

400.000 versprochen und nur 250.000 gebaut

Mehr als zehn Jahre lang hatten sich Käufer und Investoren an ein Umfeld fast kostenloser Baufinanzierung gewöhnt. Kredite für zehn Jahre waren bereits für gut ein Prozent zu haben, Kapital floss in Strömen in den Immobilienmarkt und steigende Preise galten als selbstverständlich. Als die Europäische Zentralbank (EZB) ab 2022 die Zinsen in kurzer Folge anhob, änderte sich dieses Bild abrupt. Während der durchschnittliche Bauzins 2021 noch bei 1,1 Prozent lag, bewegen sich zehnjährige Kredite heute zwischen 3,1 und 3,7 Prozent. Für Eigentümer mit auslaufenden Finanzierungen bedeutet das eine Verdoppelung oder gar Verdreifachung der Kosten. Nach Berechnungen des Analysehauses Argetra müssen Kreditnehmer derzeit mit rund 50 Prozent höheren Raten rechnen.

Mit der Zinsfrage eng verbunden ist die Baukrise. Das politisch formulierte Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr blieb unerreichbar. Das Wirtschaftsprüfungsunternehmen Ernst & Young (EY) prognostiziert frühestens ab dem Jahr 2029 eine Trendwende. Die DZ HYP spricht von einem Defizit von über 500.000 Wohnungen. „Selbst weniger attraktive Standorte lassen sich problemlos vermieten“, heißt es in deren Marktbericht. Politisch bleibt die Lage deshalb angespannt. Die Ampel-Regierung verfehlte ihre Ziele deutlich, die neue Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) hat zwar Neubau als Priorität benannt, aber bislang keine wirksamen Maßnahmen auf den Weg gebracht.

Zwischen Homeoffice-Leerstand und Logistik-Boom

Während der Wohnungsmarkt aufgrund der Knappheit relativ stabil bleibt, zeigen Gewerbeimmobilien deutliche Schwächen. Insbesondere Büroflächen stehen unter Druck. Einerseits hat Homeoffice die Nachfrage nach klassischen Arbeitsplätzen strukturell verändert, andererseits erzwingen ESG-Vorgaben teure Investitionen in Energieeffizienz und Gebäudetechnik. Laut einer Bankenbefragung von EY aus dem Jahr 2024 rechnen 70 Prozent der 36 befragten deutschen Institute mit weiter sinkenden Preisen bei Büroimmobilien. Wer hier nicht modernisiert, riskiert Leerstand und Wertberichtigungen im Portfolio.

Noch angespannter ist die Lage im Einzelhandel. Der Vormarsch des Onlinehandels verschiebt die Umsatzbasis. Zwei Drittel der Banken erwarten laut der EY-Studie weiter fallende Bewertungen. Nur Highstreet-Lagen in Metropolen können sich behaupten, während B- und C-Lagen kaum noch nachgefragt werden. Robuster präsentieren sich dagegen Logistik- und Gesundheitsimmobilien. EY hebt hervor, dass Banken diese Segmente als vergleichsweise stabil einschätzen, da sie von struktureller Nachfrage getragen werden. Einen zusätzlichen Schub für Logistik- und Datacenter-Immobilien durch E-Commerce, Cloud-Dienste und KI-Infrastrukturen prognostiziert der „Emerging Trends Report 2025”, eine gemeinsame Analyse der Beratungsgesellschaft PwC und des „Urban Land Institute”, eines internationalen Branchenverbands für Immobilienwirtschaft. Pflegeheime und Ärztezentren wiederum profitieren vom demografischen Wandel und gelten in beiden Studien als defensive Investments.

Auch Immobilien-Fonds im Stresstest

Die Unsicherheit macht auch vor den Vehikeln nicht halt, über die Millionen Deutsche indirekt in Immobilien investieren. So verzeichneten offene Fonds zuletzt Abflüsse in Milliardenhöhe und einzelne Anbieter mussten Objekte abgeben, um ihre Liquidität zu sichern. Das weckt Erinnerungen an die Schließungen während der Finanzkrise. Zwar verzeichnen große Fonds wie hausInvest noch Zuflüsse, doch das Anlegerverhalten hat sich verändert. Institutionelle Investoren selektieren stärker und Versicherer sowie Pensionskassen weichen in alternative Nischen wie Micro-Living oder Spezialfonds aus. „Die Zinswende und die Krise am Büromarkt haben offene Fonds unter Druck gesetzt. Anleger ziehen beträchtliche Summen ab“, schreibt der Finanzjournalist Hannes Breustedt, der die Branche seit Jahren beobachtet, in der „WirtschaftsWoche“.

Die Verschiebungen auf Anlageseite spiegeln sich auch im Unternehmensalltag wider. Für Firmen sind Immobilien schon lange kein bloßer Kostenfaktor mehr, sondern ein strategisches Asset. Laut einer EY-Studie sehen zwei Drittel der befragten Unternehmen Handlungsbedarf im Bereich Corporate Real Estate Management. Im Vordergrund stehen Energieeffizienz, flexible Nutzungskonzepte und die Reduzierung der Kapitalbindung. Viele Firmen setzen auf Sale-and-Lease-back-Strukturen, nutzen Umwidmungen oder konsolidieren ihre Flächen. Ein Blick nach Österreich zeigt, wie fragil Immobilienmärkte sein können. Zwischen 2010 und 2022 stiegen die Preise dort um mehr als 120 Prozent. Mit der Zinswende brach der Markt jedoch abrupt ein: Projekte blieben halbfertig stehen und Käufer sprangen ab. Gleichzeitig verdeutlicht die Entwicklung in der Alpenrepublik, dass Immobilienmärkte nicht nur von Zinsen und Baukosten, sondern auch von Erwartungen und gesellschaftlichen Prägungen abhängen. Denn ob Immobilien als sicherer Hafen gelten, hängt unter anderem davon ab, wie Gesellschaften mit Eigentum umgehen.

Zwischen Betongold und Kulturfrage

Immobilien sind und bleiben Sachwerte. Doch das Bild vom krisensicheren Hafen ist beschädigt. Studien von Deutsche Bank Research oder dem IW zeigen, dass die Zeiten niedriger Zinsen und stetiger Preissteigerungen vorbei sind. Chancen gibt es weiterhin in Segmenten wie Logistik, Gesundheitsimmobilien oder innerstädtischem Wohnraum, während periphere Standorte und ältere Büroflächen als riskant gelten. Doch über Zinsen, Preise und Förderpolitik hinaus drängt sich eine kulturelle Frage auf. Während in Deutschland viele erst spät oder gar nicht kaufen, ist es in Ländern wie Norwegen oder Dänemark selbstverständlich, dass junge Menschen mit Unterstützung der Eltern früh eine Immobilie erwerben. Dort fließt das elterliche Geld somit nicht nur ins erste Auto, sondern auch in die Finanzierung der ersten Wohnung. Nach zehn Jahren ist die Finanzierung abgeschlossen und die Eigentümer sind Anfang dreißig.

In Deutschland fehlt dieser Reflex. Die Finanzierung von Wohneigentum wird entweder ins hohe Alter verschoben oder gar nicht erst in Angriff genommen. Vielleicht liegt genau darin eine Leerstelle in der Debatte um das Für und Wider von Betongold als sicherer Hafen in Krisenzeiten. Wer Wohneigentum will, muss früh damit anfangen, es zu finanzieren. Wäre es daher nicht angebracht, wenn Eltern künftig nicht nur den Führerschein und das Auto, sondern auch die Eigentumsbildung ihrer Kinder mitdenken würden?

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