Vom Dotcom-Crash bis zur Ukraine-Krise: Ein Investor zieht Bilanz
Der jüngste Anstieg des Goldpreises, die Turbulenzen am Kryptomarkt und ein schwacher Start in die aktuelle Berichtssaison haben viele Anleger nervös gemacht. Sie suchen nach Parallelen zu früheren Krisen. Auch die Kollegen der Wirtschaftspublikation Äripäev erkennen in ihrer eigenen Handelsgeschichte ein Muster und sagen: Der nächste große Crash ist oft nur eine Entscheidung entfernt. Die Investmentreise von Investor Toomas begann kurz nach dem Platzen der Dotcom-Blase. Seitdem hat er alle großen Markteinbrüche der vergangenen 24 Jahre miterlebt – und dabei gelernt, dass der Versuch, Risiken durch Verkäufe zu begrenzen, paradoxerweise oft das größte Risiko selbst ist. Der Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 führte zu einem Rückgang seines Portfolios um 11,9 Prozent. Damals schien die einzig logische Entscheidung, Bargeld zu halten. Doch das Warten auf den "richtigen" Zeitpunkt kostete Rendite. Drei Jahre später brachte die europäische Schuldenkrise erneut einen Rückschlag von rund zehn Prozent. In beiden Fällen hielt der Anleger einen großen Teil seines Kapitals in bar – während andere längst wieder kauften. Spätere Krisen wie die Corona-Pandemie 2020 oder der Ukraine-Krieg 2022 trafen das Depot noch stärker: 17 Prozent Verlust im ersten Kriegsjahr. Doch der größte Einbruch, so stellt sich heute heraus, war keiner, der tatsächlich eintrat.
Der verpasste Boom: Wie falsches Timing mehr kostet als jede Krise
Im Jahr 2017, nach der Amtseinführung von US-Präsident Donald Trump, entschieden sich viele Investoren zur Gewinnmitnahme – so auch der Autor. Er verkaufte große Teile seiner Microsoft-, Apple- und Berkshire-Hathaway-Aktien, überzeugt davon, dass der Markt bald einbrechen würde. Die Medien waren voller Crash-Warnungen: steigende Staatsschulden, Tech-Blase, Brexit, Handelskonflikte, globale Rezessionsängste. Es schien vernünftig zu verkaufen. Doch der erwartete Absturz kam nicht. Stattdessen legte der US-Leitindex S&P 500 im selben Jahr um 22 Prozent zu. Der eigene, auf Sicherheit getrimmte Fonds erzielte lediglich 1,7 Prozent. Die eigentliche Katastrophe war also die verpasste Rally. Microsoft stieg im selben Jahr um 80 Prozent, Apple um 40 Prozent und Berkshire Hathaway um 22 Prozent – Gewinne, die ihm entgingen. Heute, acht Jahre später, haben diese Aktien seitdem um 1.001, 790 beziehungsweise 203 Prozent zugelegt. Ein späterer Wiedereinstieg gelang nur teilweise. 2019 kaufte er Berkshire-Aktien zu 22 Prozent höheren Preisen zurück, Apple gar nicht mehr. Microsoft erwarb er erst fünf Jahre später wieder – sechsmal teurer als beim Verkauf. Die "Lehman-Momente" seines Portfolios, so sein Fazit, waren nicht die globalen Krisen, sondern die selbst ausgelösten Fehlentscheidungen.
Lehre für Anleger: Timing ist kein Schutz, sondern Versuchung
Das Ergebnis seiner Fehleinschätzungen lässt sich beziffern: Allein durch den Verkauf im Jahr 2017 entging ihm ein Gewinn von über 121.000 Euro – fast das Doppelte seines ursprünglichen Startkapitals. Kein Bankencrash, keine Pandemie und kein Krieg richteten je so großen Schaden an wie der eigene Versuch, klüger zu sein als der Markt. Die Geschichte erinnert Anleger in Europa und auch in Deutschland daran, dass Marktpsychologie oft gefährlicher ist als geopolitische Risiken. Viele deutsche Privatinvestoren neigen in unsicheren Zeiten dazu, aus Angst vor Verlusten auszusteigen – und verpassen die anschließende Erholung. Wer langfristig investiert bleibt, übersteht nicht nur Krisen besser, sondern profitiert auch vom Zinseszinseffekt.

