Technologie

Lothar Schupet: Warum ich nach 23 Jahren BMW für ein chinesisches Startup verlassen habe

Ein deutscher Topmanager verlässt nach 23 Jahren einen der mächtigsten Autokonzerne Europas und geht ausgerechnet zu einem chinesischen Elektroautohersteller. Lothar Schupet sagt, es sei keine Flucht gewesen, sondern eine bewusste Entscheidung für Tempo, Produktfokus und unternehmerische Klarheit. Sein Wechsel zu Zeekr zeigt, warum Europas Autoindustrie sich schneller verändern muss, als viele bisher wahrhaben wollen.
19.12.2025 06:01
Lesezeit: 3 min
Lothar Schupet: Warum ich nach 23 Jahren BMW für ein chinesisches Startup verlassen habe
Zeekr ist die Elektro-Automarke des chinesischen Autobauers Geely, der den europäischen Markt angeht. (Foto: dpa) Foto: Andreas Landwehr

Vom BMW-Konzern in die Startup-Welt

„Ein Gespräch wie dieses wäre zu meiner Zeit bei BMW nicht möglich gewesen“, sagt Lothar Schupet. „Damals wäre alles deutlich formeller abgelaufen. Neben mir hätte ein PR-Vertreter gesessen, exakt festgelegt, was gesagt werden darf und in welchem Kontext.“ Heute spricht Schupet offen. Er ist Europa-Chef der Elektromarke Zeekr, die zur chinesischen Geely-Gruppe gehört.

Schupet verbrachte 23 Jahre in der BMW Group und bekleidete zahlreiche Führungspositionen auf europäischen Märkten. Unter anderem leitete er BMW Group Slowenien, zuletzt verantwortete er weltweit Vertrieb und Marketing von BMW M. Im Jahr 2023 verließ er den Münchner Konzern und wechselte zu Zeekr. Dort baute er die europäische Organisation praktisch von Grund auf mit auf.

Als er im Januar 2023 bei Zeekr startete, war er nach eigenen Worten erst der zweite Mitarbeiter der Europa-Organisation. Der Sitz befand sich damals in Göteborg. „Wir standen vor der Frage, wie man eine neue Marke in Europa überhaupt startet“, sagt Schupet. IT-Systeme, Prozesse, Organisationsstruktur, Vertriebsnetz und Strategie entstanden auf einem leeren Blatt. Bereits im November desselben Jahres eröffnete Zeekr die ersten eigenen Stores in Stockholm und Göteborg und startete den Verkauf in zwei Ländern.

Der schnelle Markteintritt war kein Zufall. Schweden wurde bewusst als erster Markt gewählt. Die Akzeptanz für Elektrofahrzeuge ist hoch, die Offenheit für neue Technologien groß. Hinzu kommt ein strategischer Faktor: Entwicklung und globales Design von Zeekr sind in Göteborg angesiedelt. Die Marke versteht sich daher nicht als rein chinesischer Anbieter, sondern als europäisch geprägter chinesischer Elektroautohersteller.

Direktvertrieb, Tempo und chinesische Entscheidungslogik

Zeekr setzt in Europa auf unterschiedliche Vertriebsmodelle. In einigen Ländern verkauft das Unternehmen direkt über eigene Showrooms, in anderen arbeitet es mit starken lokalen Partnern zusammen. Der Direktvertrieb ermöglicht unmittelbaren Kundenkontakt, schnelle Rückmeldungen und ein besseres Verständnis für Schwächen und Stärken der Produkte. Gleichzeitig gilt er nicht als Dogma.

Schupet beschreibt Zeekr als „junge Marke mit der Kraft eines Großkonzerns“. Auf der einen Seite steht die Agilität eines Startups, auf der anderen die industrielle Basis der Geely-Gruppe mit ihren Plattformen, Produktionskapazitäten und Lieferketten. Diese Kombination verschafft Stabilität und Geschwindigkeit zugleich.

Die Entscheidung für Zeekr war für Schupet kein Bruch mit BMW, sondern eine bewusste Wahl. „Ich wollte Teil der Veränderung sein, nicht nur Beobachter.“ Als überzeugter Produktmensch hätte er den Schritt nicht vollzogen, wenn ihn die Fahrzeuge nicht überzeugt hätten. Am Ende entscheide nicht das Marketing, sondern das Fahrerlebnis.

Ein zentraler Unterschied zur klassischen Automobilindustrie liegt im Arbeitstempo. Entwicklung, Design und Vertrieb sind bei Zeekr eng verzahnt. Kunden werden früh eingebunden, testen neue Softwareversionen und geben Feedback. Fahrzeuge lassen sich mehrfach im Jahr per Over-the-Air-Update verbessern. Das verändert Entwicklungszyklen grundlegend.

Auch das Preismodell unterscheidet sich deutlich von etablierten Premiummarken. Statt günstiger Basismodelle mit teuren Extras bietet Zeekr klar definierte Ausstattungspakete mit umfangreicher Serienausstattung. Studien zufolge zahlen Kunden bei traditionellen Premiummarken noch immer zehn bis fünfzehn Prozent allein für den Markennamen. Zeekr setzt bewusst auf mehr Leistung für einen attraktiveren Preis. Die Folge sind laut Schupet deutlich höhere Abschlussquoten nach Probefahrten.

Zum Ökosystem gehören zudem Finanzdienstleistungen, Konnektivität, Ladeangebote und Service. Über „Zeekr Charge“ erhalten Kunden Zugang zu mehr als 700.000 Ladepunkten in 27 Ländern. Zusätzlich bietet das Unternehmen eine Garantie von zehn Jahren.

Die oft zitierte „chinesische Geschwindigkeit“ beschreibt Schupet als reale, aber missverstandene Größe. Entscheidungen werden pragmatisch getroffen, Präsentationen spielen eine untergeordnete Rolle. Der Fokus liegt auf Markt, Kunde und Umsetzung. Zeekr brachte in vier Jahren weltweit neun Modelle auf den Markt und verkaufte rund 550.000 Fahrzeuge. Europa ist bislang nur ein Teil dieser Entwicklung, gilt aber als strategisch wichtiger Wachstumsmarkt.

Europa, Deutschland und die strategische Herausforderung

Ein wesentlicher Unterschied zur europäischen Industrie liegt laut Schupet in der Haltung gegenüber Risiko. Während Europa häufig das Erreichte schützen wolle, richte sich der Blick in China stärker auf Chancen und Wachstum. Benchmarking, finanzielle Disziplin und die enge Verzahnung der Wertschöpfungskette spielten eine zentrale Rolle.

Zeekr betont dabei seine „europäische Seele“. Entwicklung, Fahrwerksabstimmung, Software-Anpassungen und Design entstehen in Europa. Das Management von Zeekr Europe ist europäisch geprägt, was für Themen wie Flottenmanagement, Leasingstrukturen und Restwertentwicklung entscheidend ist. Diese Faktoren bestimmen maßgeblich den Markterfolg auf dem Kontinent.

Für Deutschland ergibt sich daraus eine ambivalente Perspektive. Einerseits trifft der Markt auf zunehmende Konkurrenz durch chinesische Elektroautohersteller mit hoher Geschwindigkeit und klarer Kostenstruktur. Andererseits zeigt das Beispiel Zeekr, dass chinesische Anbieter gezielt europäische Kompetenzen integrieren, statt sie zu verdrängen. Ein direkter Markteintritt in Deutschland folgt dabei marktwirtschaftlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen, die über den Erfolg entscheiden werden.

Fest steht: Der Wettbewerb verschärft sich. Und er zwingt die europäische Automobilindustrie dazu, ihre Entwicklungszyklen, Kostenstrukturen und Entscheidungsprozesse neu zu bewerten – nicht ideologisch, sondern wirtschaftlich.

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