Politik

Fehlkonstruktion: Warum der Euro Europa in den Abgrund reißen wird

Lesezeit: 4 min
08.09.2012 00:51
Mit der Leitzinssenkung vor 13 Jahren zwang die Regierung Schröder die EZB, Deutschland zu retten. Diese Entscheidung trieb die Südländer in die Katastrophe. Nun wiederholt die EU den Fehler, mit umgekehrten Voraussetzungen. Die Geschichte zeigt: Wegen der unterschiedlichen Volkswirtschaften wird der Euro niemals funktionieren. Wenn der Kurs von EZB und Euro-Gruppe beibehalten wird, ist die europäische Katastrophe unausweichlich.
Fehlkonstruktion: Warum der Euro Europa in den Abgrund reißen wird

Vor einigen Monaten hat der Volkswirt Richard Koo von der japanischen Nomura Bank in einer interessanten Notiz den Kernfehler der Euro-Zone ausgemacht. Er beschrieb, wie Deutschland zwischen 2001 und 2003 die Europäische Zentralbank (EZB) dazu zwang, die Zinsen zu senken. Deutschland stand im Gefolge von Wiedervereinigung und Blasen der Neuen-Markt-Blase vor einer Deflation. Nicht die vielgepriesenen Schröder-Reformen (Hartz IV), sondern der Druck auf die EZB, die Zinsen auf ein dauerhaft niedriges Niveau zu senken, rettete Deutschland. Der unweigerliche Nebeneffekt war jedoch, wie Mark Dittli in einer aufschlussreichen Zusammenfassung (hier) der Ereignisse zeigt, dass Irland, Portugal, Spanien und Italien durch die niedrigen Zinsen in die Falle getrieben wurden: Angestachelt vom billigen Geld – und getrieben von den Investoren, die stets hohe Renditen erwarten – bauten sich in den eigentlich stabilen Ländern Blasen auf und führten zu regional höheren Inflationsraten.

So stiegen die Immobilienpreise in Spanien zwischen 2000 und 2005 um 107 Prozent, in Irland schossen sie 76 Prozent in die Höhe. In Deutschland fielen sie dagegen um 8 Prozent. Diese Gift kennen wir aus den USA: Der Beginn der amerikanischen Katastrophe liegt bei Bill Clinton und Alan Greenspan: Auch hier stand eine radikale Leitzinssenkungen am Beginn von immer neuen Blasen, die früher oder später platzen mussten.

Durch die höhere Inflation in den Südstaaten stiegen in den Jahren nach der EZB-Zinssenkung auch die Arbeitskosten in diesen Staaten – und die gerade erst mühsam erreichte Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Länder war dahin. (Griechenland ist ein ganz anderer Fall: hier sind sich alle einig, dass die Lage aus den bekannten Gründen völlig hoffnungslos ist.)

Deutschland aber konnte seine Exporte steigern – und tat dies vor allem in die Euro-Staaten. Im Grunde kann man sagen, dass Deutschland die Inflation in die nun von Deutschland heftig gescholtenen Euro-Staaten exportiert hat, um sich von der Internet-Blase zu erholen. Dittli und sein Kollege Martin Biswanger haben dazu zwei vielsagende Studien aufgetrieben: Der heutige Target 2-Papst Hans-Werner Sinn und der EZB-Rebell Axel Weber (damals noch Bundesbank), hatten Studien angefertigt: In diesen legen sie Berechnungen vor, dass es in der Euro-Zone unterschiedliche Inflationsraten geben könne – solange die Inflationsrate in Deutschland niedrig bleibt. Sie gingen sogar so weit, der EZB vorzuschreiben, dass sie zu verhindern habe, dass ein Land – Deutschland - in die Deflation abgleite. Sinns und Werbers Heldenstatus ist im Lichte ihrer damaligen Ausführungen (hier und hier) nicht zu rechtfertigen. Schröders Hartz IV-Reformen trugen wesentlich dazu bei, dass die Profite des Export-Booms bei den Unternehmen verblieben. Diese „Reformen“ erklären neben anderen Faktoren, warum das verfügbare Haushaltseinkommen in Deutschland im Vergleich zu den anderen Staaten nicht wesentlich gestiegen ist.

Richard Koo sieht den programmierten Untergang des Euro in den nun eintretenden „Bilanzrezessionen“, wie er das Phänomen nennt (gut erklärt in Finanz und Wirtschaft - hier): Wenn einer Volkswirtschaft die Überschuldung droht, beginnen private Haushalte und Unternehmen zu sparen. Diese eigentlich natürliche und vernünftige Reaktion treibt die rezessive Wirtschaft jedoch weiter in den Abgrund, die Spirale zur Depression wird durch jedes neue Sparpaket angekurbelt. Daher ist es nur logisch, wenn wir jeden zweiten Tag von den Spaniern hören, dass sie ihre Defizitziele verfehlen werden. Dies liegt nicht daran, dass die Spanier faul sind: Wegen der hohen Arbeitslosigkeit und wegen der vernünftigen Neigung, in der Krise zu sparen, nimmt der Staat weniger an Steuern ein – und kann daher seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen.

Der Sündenfall der EZB war, dass sie vor 13 Jahren dem Drängen Deutschlands nachgegeben hat: Damals bereits, und nicht erst diese Woche, hat sie ihre Unabhängigkeit verloren. Die teils hysterischen Kommentare der Zeitungen nach der EZB-Sitzung zeigen, dass das Gedächtnis der Vierten Gewalt nicht einmal einige wenige Jahre in Erinnerung hat.

Dass sich nun die in wirtschaftlichen Fragen komplett ahnungslosen Politiker wie Van Rompuy und Juncker erneut in die Geldpolitik einschalten, ist nur eine logische Folge der seinerzeitigen knallharten deutschen Industriepolitik von Gerhard Schröder. Denn das Problem für Europa wird nicht die Frage sein, ob und wie viele Staatsanleihen die EZB kauft. Man muss kein strenger Keynesianer sein, um zu verstehen, dass der externe Terror der Troika mit stets neuen Sparauflagen die gesamte Euro-Zone ins Verderben führt. Denn die Erkenntnis von Koo, dass Bilanzrezessionen durch radikales Sparen zwangsläufig zu Depressionen führen, ist von der Realität Japans belegt: Bei den Japanern hat genau diese Politik zum verlorenen Jahrzehnt geführt.

Für die Euro-Zone sind die Folgen leicht vorhersehbar: Van Rompuy und Barroso fordern den Sparkurs, weil sie den größten Nettozahler – Deutschland – nicht verärgern wollen. Jean-Claude Juncker ist als Vorsitzender der Euro-Gruppe die denkbar falsche Besetzung: Nicht, weil er die Lüge zum notwenigen politischen Mittel erklärt hat, sondern weil er als Luxemburger Regierungschef knallhart die industriepolitischen Interessen seines Landes vertritt. Luxemburg lebt so gut wie ausschließlich von der Finanzindustrie – die dort ansässigen Banken haben erhebliche Bilanzrisiken. Die EZB ist keine echte Notenbank wie die US Federal Reserve, sondern in ihrer Struktur genauso unvollkommen wie der Euro: Sie kann den Ansprüchen, die an sie gestellt werden, nicht gerecht werden.

Denn die von Koo aufgezeigte Problematik der nationalen Bilanzrezessionen ist mit einer gemeinsamen Währung nicht nur nicht zu lösen: Mit einer aufgezwungenen Vereinheitlichung der Währung treibt sie alle Beteiligten in den Untergang: Die Südstaaten werden zu Tode gespart, wofür die Bürger zahlen. Den Deutschen wird ihr Erspartes weggenommen, wofür die Bürger zahlen. Die Banken gewinnen immer, weil sie sich über nicht regulierte Wetten (Derivate) immer absichern können. Als finale Absicherung haben die Banken das Bail-Out-Geschäftsmodell durchgesetzt: Den von ihnen komplett abhängigen Regierungen wurde eingeredet, dass vor allem besonders risikoreiche Banken nicht pleitegehen dürfen („Systemrelevanz“).

Dabei übersehen alle, dass der Kernfehler der Euro ist. Die Banken lieben Missverhältnisse: Wie schon bei der Subprime-Krise gesehen, werden faule Papiere so lange zusammengepackt, bis keiner mehr weiß, was drinnen ist (CDO). Wenn dann einer das stinkende Paket eines Tages öffnet, haben die Banken schon längst ihren Schnitt gemacht.

Die realen Volkswirtschaften dagegen können nicht zu einem CDO verschleiert werden. Eine künstliche Währung, die zusammenbindet, was wirtschaftlich nicht zusammengehört, schnürt allen Euro-Staaten die Luft zum Atmen ab. Auf der Strecke bleiben reale Menschen, die zu spät erkennen werden, dass sie sich statt mit der Bundesliga und Germany’s Next Top Model mal besser mit ihrem eigenen wirtschaftlichen Überleben beschäftigt hätten.

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