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Studie beweist: Riester-Rente war ein großer Flop

Lesezeit: 7 min
13.09.2012 15:58
Eine Studie zeigt: Die Riester-Rente war ein gutes Geschäft für Banken und Versicherungen. Gegen die Altersarmut bringt sie überhaupt nichts. Nun muss wohl wieder der Staat ran, um die nächste Generation von Rentnern zu finanzieren.
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Ohne eine deutliche Anhebung des gesetzlichen Rentenniveaus und einer steuerfinanzierten Aufstockung niedriger Renten drohen jüngeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland erhebliche Rentenlücken. Diese Lücken können bei den meisten Versicherten durch eine kapitalgedeckte Zusatzvorsorge nicht ausgeglichen werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.

Angesichts eines guten Jahrzehnts empirischer Erfahrung mit der Riester-Rente haben die Forscher keinen Zweifel daran, dass sich die teilweise Umstellung der Alterssicherung auf Kapitaldeckung "als Fehlentscheidung erwiesen hat". Die kapitalgedeckte Rente sei "keinesfalls geeignet, den Menschen ein sicheres Auskommen im Alter in Ergänzung zur gesetzlichen Rente zu garantieren. Bleiben die Reformen unverändert in Kraft, werden erhebliche Teile der Erwerbsbevölkerung in Altersarmut gleiten", warnen Rudolf Zwiener und Katja Rietzler vom IMK und die Berliner Wirtschaftswissenschaftler Heike Joebges und Volker Meinhardt.

Die Forscher empfehlen daher, die Subventionierung von Riester-Renten auslaufen zu lassen, den Riester-Faktor rasch aus der Rentenformel zu entfernen und das Niveau der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) mittelfristig an den - deutlich höheren - Durchschnitt der OECD-Länder anzupassen. "Das gesetzliche Rentensystem muss wieder zu einer Lebensstandardsicherung zurückfinden mit einer paritätischen Finanzierung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber, schreiben die Wissenschaftler in ihrer Untersuchung, die heute auf einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt wurde.

"Leider haben die Rentenreformen um die Jahrtausendwende das Problem des demographischen Wandels nicht gelöst, sondern nur in die Zukunft verschoben", sagt Gustav A. Horn, der Wissenschaftliche Direktor des IMK. "Hohe Kosten, magere Renditen und erhebliche Risiken bei der Kapitaldeckung gehen zu Lasten von Millionen Menschen, die darauf hoffen, das im Zuge der Reformen deutlich abgesenkte Niveau der gesetzlichen Rente durch Vorsorgesparen ausgleichen zu können. Doch nach allem, was wir heute absehen können, wird das nur relativ wenigen gelingen. Noch schlechter wird es für all jene aussehen, die sich eine zusätzliche Absicherung gar nicht leisten können."

Die Wissenschaftler arbeiten in ihrer Studie eigene Untersuchungen und die vorliegende Forschungsliteratur auf und identifizieren so zentrale Schwachstellen des aktuellen Alterssicherungssystems.

Erklärtes Ziel der Rentenreformen der Jahre 2001 bis 2004 war es, die Beitragssätze zur GRV auch bei einer wachsenden Zahl von Rentnern bis 2030 nicht über 22 Prozent steigen zu lassen. Dazu wurde das Rentenniveau gesenkt und die Formel zur Rentenberechnung geändert.

Die Folgen dieser Modifikationen zeigt der Daten-Überblick der Forscher: Das Versorgungsniveau, das die GRV Beschäftigten mit durchschnittlichem oder niedrigem Einkommen bietet, liegt in Deutschland deutlich unter dem Niveau in anderen OECD-Ländern. So beträgt die Bruttoersatzrate, die von der OECD für internationale Vergleiche berechnet wird, bei deutschen Durchschnittsverdienern derzeit lediglich 42 Prozent, gemessen am durchschnittlichen Einkommen. Im OECD-Durchschnitt erreichen vergleichbare Versicherte hingegen eine Ersatzrate von gut 57 Prozent.

Beim Alterssicherungsniveau von Geringverdienern (50 Prozent des nationalen Durchschnitteinkommens) rangiert Deutschland unter den 34 OECD-Mitgliedern sogar an letzter Stelle. Nach den bisherigen Weichenstellungen der Rentenpolitik soll das Rentenniveau weiter deutlich sinken, brutto und netto. So lag das Brutto-Rentenniveau 2003 bei 48 Prozent. Nach Berechnungen des Sachverständigenrates wird es bis 2030 für selbst für einen Standardrentner mit 45 Versicherungsjahren auf nur noch rund 40 Prozent sinken. Das entspricht - kaufkraftbereinigt bei konstanten Reallöhnen - einer Reduzierung der Durchschnittsrente für langjährig versicherte Männer um knapp 200 Euro auf nur noch auf 973 Euro im Jahr 2030. Das Nettorentenniveau - nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge, vor Steuern - beträgt derzeit 50,4 Prozent. Nach amtlichen Schätzungen sinkt es bis zum Jahr 2025 auf 46,2 Prozent, und es soll bis 2030 "nicht unter 43 Prozent" fallen.

Das niedrige Rentenniveau stelle ein besonders großes Problem dar, weil parallel zu den Rentenreformen der Niedriglohnsektor in Deutschland deutlich wuchs, betonen die Forscher - auch durch die Arbeitsmarktreformen der 2000er Jahre. Zudem erlebten mehr Menschen Unterbrechungen in ihren Erwerbsbiographien, insbesondere in Ostdeutschland. Unter ostdeutschen Männern der Geburtsjahrgänge 1956 bis 1965 werde etwa jeder zweite am Ende seines Erwerbslebens nur Rentenansprüche haben, die unterhalb der Bedarfsgrenzen für die Grundsicherung im Alter liegen. Auch unter westdeutschen Männern ließen sich die Niveaureduzierungen längst deutlich beobachten: Wer von ihnen 2010 in Rente ging, erhielt im Mittel 130 Euro weniger Rente ausbezahlt als ein durchschnittlicher Bestandsrentner. "

Altersarmut sei damit in Deutschland vorprogrammiert", schreiben die Wissenschaftler. Zwar sollte das geringere Rentenniveau in der Theorie der Rentenreformen durch staatlich geförderte, selbst finanzierte Altersvorsorge, etwa ein Riester-Rentenprodukt, ausgeglichen werden. In der Praxis gelinge das aber nur selten. Denn erstens sei die freiwillige Vorsorge für Arbeitnehmer vergleichsweise teuer und auch deshalb zehn Jahre nach ihrer Einführung nicht weit genug verbreitet. Zum zweiten fielen die Renditen kapitalgedeckter Produkte tendenziell geringer als die der umlagefinanzierten Rente.

Mit Einführung der kapitalgedeckten Zusatzvorsorge steigen die finanziellen Aufwendungen, die Arbeitnehmer für die Altersvorsorge tragen sollen, markant, rechnen die Wissenschaftler vor. Denn Riester-Sparer erhalten zwar einen moderaten staatlichen Zuschuss, anders als im gesetzlichen Alterssicherungssystem leisten die Arbeitgeber aber keinen Beitrag. So müssen Beschäftigte längerfristig 15 Prozent ihres Bruttoeinkommens für ihre Altersvorsorge aufwenden: 11 Prozent als hälftigen Beitragssatz zur GRV und 4 Prozent für die private Vorsorge. Ohne Riester-Reform wäre der GRV-Beitragssatz nach wissenschaftlichen Prognosen bis 2030 auf rund 26 Prozent gestiegen. Die - hälftige - Belastung für die Arbeitnehmer läge also bei nur 13 Prozent. "Das trifft gerade jüngere Arbeitnehmer. Sie müssen für die ergänzende private Vorsorge mindestens doppelt so viel selbst ansparen, wie sie durch die Rentenreformen bei den Beiträgen zur GRV entlastet werden", erklärt IMK-Rentenexperte Zwiener.

Auch wenn die Datenlage bislang schwach sei, deute viel darauf hin, dass vor allem Durchschnitts- und Geringverdiener den zusätzlichen Aufwand scheuen, resümieren die Forscher - obwohl gerade ihnen Altersarmut droht. So hätten nicht einmal 50 Prozent der potenziell Riester-Zuschuss-Berechtigten bislang einen Vorsorgevertrag abgeschlossen. Bei Menschen mit Brüchen im Erwerbsverlauf liege die Quote noch deutlich niedriger. Und selbst unter den Riester-Sparern lege nur ein Teil wirklich zusätzliches Geld fürs Alter zurück. Gerade unter Normal- und Geringverdienern seien hingegen oft bloße Umschichtungen und Mitnahmeeffekte zu beobachten: Bereits bestehende Sparformen werden aufgelöst zugunsten von Anlagen, für die es die staatliche Förderung gibt.

Rentner und rentennahe Arbeitnehmer, die einen Vertrag nicht mehr abschließen können, "würden voll von den Rentenniveaukürzungen getroffen" - ohne Möglichkeit des Ausgleichs, schreiben die Wissenschaftler. Doch auch Vorsorgesparer gerieten in ein - unbewusstes - Dilemma: Da ihre zusätzlichen Sparanstrengungen auf Kosten des privaten Konsums und der Binnennachfrage gingen, "reduzieren sie das Wirtschaftswachstum und damit auch ihre Einkommen". Diesen Effekt hat das IMK bereits im Jahre 2009 in einer Studie mit umfangreichen Simulationsrechnungen dargestellt. Er wirke sich auch negativ auf all jene Unternehmen aus, die ihre Umsätze vor allem auf dem Inlandsmarkt erzielen und relativiere für sie die Senkung der Lohnnebenkosten, die ebenfalls Ziel der Rentenreformen war. Von den Rentenreformen hätten daher vor allem die Versicherungswirtschaft und die - zu diesem Zeitpunkt ohnehin bereits international hoch wettbewerbsfähige - Exportwirtschaft profitiert, "während gleichzeitig der Anstieg der Sparquote die Binnennachfrage dämpfte. Ein positiver Wachstumsimpuls konnte so nicht entstehen."

Den gravierenden Nachteilen, die die Einführung der Kapitaldeckung für Arbeitnehmer und Gesamtwirtschaft brachte, stünden keine überzeugenden Vorzüge gegenüber, analysieren die Wissenschaftler. Anders als noch in den 1990er Jahren oft behauptet, wiesen kapitalgedeckte Vorsorgeformen keine überlegenen Renditen auf. Die systematischen Renditevergleiche, die Wissenschaftler bislang zwischen GRV und kapitalgedeckten Zusatzversicherungen anstellten, prognostizierten langfristig ähnliche oder sogar etwas höhere GRV-Renditen. Lediglich Riester-Verträge, die bereits unmittelbar nach der Rentenreform von 2001 abgeschlossen wurden, können etwas besser abschneiden als die gesetzliche Rente.

Aktuell sei für alle Formen von kapitalgedeckten Lebens- und Rentenversicherungen ein deutlicher Renditerückgang zu beobachten. Seit 1994 senkte das Bundesfinanzministerium den Garantiezins auf die Sparbeiträge für neu abgeschlossene Lebensversicherungen von 4 Prozent auf jetzt nur noch 1,75 Prozent. Bei Riester-Rentenverträgen sank der Garantiezins zwischen 2002 und 2012 von 3,25 auf 1,75 Prozent. Eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) gelangte zu dem Ergebnis, dass bei 2011 neu abgeschlossenen Verträgen die Versicherten mindestens 87 Jahre alt werden müssten, um wenigstens ihre eigenen Einzahlungen und die staatlichen Zulagen wieder ausgezahlt zu bekommen - ohne jegliche Rendite. Hinzu komme, dass Risiken wie Erwerbsunfähigkeit, die früher über die GRV abgesichert waren, nun zusätzlich versichert werden müssten.

Auch eine höhere Nachhaltigkeit der Kapitaldeckung sei empirisch nicht zu beobachten, so die Forscher. Im Gegenteil: Auf dem Höhepunkt der Finanzmarktkrise im Jahr 2008 betrugen die Verluste kapitalgedeckter Rentenversicherungen im Durchschnitt der OECD-Länder 23 Prozent. Auch Versicherungen in Deutschland verzeichneten, trotz vergleichsweise strenger Regulierung, ein Minus von über acht Prozent. Zwar seien die Verluste in den Folgejahren teilweise wieder ausgeglichen worden, erkennen die Forscher an. "Doch dürfte die zukünftige Entwicklung für kapitalgedeckte Rentenversicherungen in Europa angesichts der Eurokrise und den damit verbundenen Kursverlusten von Staatsanleihen der Peripherieländer schwierig werden." Insgesamt sei aufgrund der Schwankungen und Krisen auf den Finanzmärkten "eine langfristig verlässliche Abschätzung zukünftig zu erwartender Leistungen im Kapitaldeckungsverfahren nicht möglich."

Unsicherheit und Renditeschwäche ließen sich auch durch Anlagen in Ländern mit "günstigerer" demographischer Struktur außerhalb Europas nicht beheben, so die Forscher. Für derartige Investments kämen nicht viele Länder in Frage. Denn neben einer vergleichsweise jungen Bevölkerung und aktuell kräftigem Wachstum zählten auch die Nachhaltigkeit der Wirtschaftsentwicklung und politische Stabilität zu den unverzichtbaren Voraussetzungen. Vor allem aber müsse der Kapitalmarkt des Landes so groß sein, dass massive ausländische Kapitalzuflüsse nicht zu wirtschaftlichen Verwerfungen führten, beispielsweise zu Blasen auf dem Aktien- oder Immobilienmarkt.

Die Krisen in Mexiko, Argentinien und vor allem die Asienkrise von 1997 zeigten, dass nur wenige Länder diese Anforderungen erfüllten. Eine Studie aus dem Jahr 2011 kam am Beispiel von 18 Schwellenländern zu dem Ergebnis, dass die vermeintlich hohen Renditen von Anlagen in diesen Staaten lediglich das erhöhte Ausfallrisiko kompensieren. International hoch wettbewerbsfähige Länder wie China exportierten per Saldo selber Kapital. Die Nachfrage nach Anlagen aus Europa sei daher zu klein, um die Probleme der Alterssicherung anderer Länder zu lösen, so die Forscher.

Zudem ergäben sich bei Anlagen in Auslandswährungen erhebliche Wechselkursrisiken, die die Renditen schnell aufzehren könnten. Zum Teil seien diese Risiken systemisch und kaum zu vermeiden, wenn es etwa um Anlagen für die große Generation der "Babyboomer" gehe: In der Ansparphase fließe viel Kapital in das Zielland, was dessen Währung unter Aufwertungsdruck gegenüber dem Euro bringt. Das würde Anlagen in diesem Land verteuern. Wenn die Guthaben dann mit Fälligkeit der Altersvorsorge wieder abgezogen werden, ergeben sich umgekehrte Wechselkurseffekte: Da der Wert der Anlagewährung sinkt, werden die Renditen erneut geschmälert. "Ein optimales Anlageland kann es damit gar nicht geben: Sobald es von Anlegern als solches identifiziert werden würde, würden die dadurch ausgelösten Kapitalbewegungen die zu erwartenden Renditen in der Währung der Anleger wieder reduzieren", resümieren die Wissenschaftler.

Mittlerweile habe auch die Politik die Gefahr rapide wachsender Altersarmut in naher Zukunft erkannt, die Staat und Steuerzahler dann durch Sozialhilfe im Rahmen der Grundsicherung auffangen müssen, schreiben die Forscher. Die notwendige deutliche Korrektur der vergangenen Rentenreformen stehe aber noch aus. Die von der Bundesarbeitsministerin propagierte "Zuschussrente" löse das Problem nicht. Vielmehr müsse das gesetzliche Rentensystem "so ausgestaltet sein, dass Einkommensbezieher mit einem Einkommen von knapp unterhalb des Durchschnitts und 35 Beitragsjahren deutlich oberhalb des Grundsicherungsniveaus liegen und nicht auf einen "Zuschuss" angewiesen sein dürfen."

Um das zu erreichen, plädieren die Wissenschaftler dafür, das umlagefinanzierte Rentensystem zu stärken. In einem ersten Schritt solle die so genannte "Riester-Treppe" aus der Rentenformel entfernt werden, die den Anstieg der gesetzlichen Renten dämpft. Damit stehe auch die staatliche Förderung kapitalgedeckter Vorsorgeformen zur Disposition. Statt "dieser allgemeinen Subventionierung" sollten gezielt die Renten von Geringverdienern und Personen mit unterbrochenen Erwerbsbiografien steuerfinanziert aufgestockt werden.

Mittelfristig halten es die Forscher für notwendig, das Niveau der GRV auf das durchschnittliche Rentenniveau in den OECD-Ländern anzuheben, das um 15 Prozentpunkte höher liegt als das deutsche. Statt einer gegenwärtig durchschnittlichen gesetzlichen Altersrente für langjährig versicherte Männer von 1.152 Euro wären das immerhin 1.585 Euro. Zur Finanzierung könne der Beitragssatz über viele Jahre verteilt in kleinen Schritten angehoben werden. Die sehr gute internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen werde das nicht schädigen, sind die Ökonomen überzeugt.

Zudem solle die Beitragsbemessungsgrenze angehoben werden, "wobei oberhalb der bisherigen Bemessungsgrenze zusätzliche Rentenansprüche nur noch unterproportional erworben würden." Des Weiteren sind die Wissenschaftler dafür, die Entgeltumwandlung in der betrieblichen Alterssicherung zwar weiterhin steuerfrei zu halten, aber künftig - im Interesse aller Arbeitnehmer - mit Sozialbeiträgen zu belegen. Nur so lasse sich vermeiden, dass die Entgeltumwandlung den Rentenwert der GRV senke. Schließlich plädieren die Forscher dafür, im GRV-System wieder eine ausreichende Absicherung gegen Erwerbunfähigkeit zu bieten.


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