Jean-Claude Junckers neue EU-Kommission wird für einen EU-Gesamthaushalt von jährlich ungefähr 150 Milliarden Euro verantwortlich sein. Wer dabei genau für wie viel gerade zu stehen hat, ist allerdings nicht transparent; denn auf viele Posten des EU-Haushalts gibt es eine geteilte Verantwortung mehrerer Kommissare. Das ist völlig im Gegensatz zu etwa den Haushaltsgrundsätzen der Bundesrepublik Deutschland. In Berlin hat jedes Ministerium seinen eigenen Haushalt.
Die Kommissare im Einzelcheck:
Jean-Claude Juncker, Präsident:
Der Luxembuger gibt die Richtung vor. Er gilt als nicht besonders fleißig, weshalb seine wichtigste Maßnahme die Ernennung eines geschäftsführenden Präsidenten war. In seiner Amtszeit hat er Luxemburg zu einer der wichtigsten Steueroasen ausgebaut. Nachdem er wegen einer undurchsichtigen Schnüffel-Affäre zurücktreten musste, herrschte bei den Bank-Bossen eine gedrückte Stimmung. Sein politisches Programm ist dagegen einfach und prophetisch: Wichtige Entscheidungen sollen in dunklen Zimmern erfolgen; wenn es ernst wird, muss man lügen; die Macht hat keine erotische Dimension mehr; nur Krisen können die EU-Integration erzwingen; wir stellen etwas in den Raum, warten, ob es einen Aufstand gibt, und ziehen das Ding dann durch, bis es kein Zurück mehr gibt. Alle Sprüche sind belegt und bestechen wegen ihrer Ehrlichkeit.
Frans Timmermans, zuständig für Bessere Rechtssetzung und interinstitutionelle Beziehungen, Erster Vizepräsident, Niederlande, SPE:
Der 53-jährige Timmermans war zuvor niederländischer Außenminister und hat langjährige Erfahrung in der Außenpolitik. In der neuen EU-Kommission soll er sich allerdings um den Bürokratieabbau kümmern. Auf diesem Feld ist er Neuling. In der Parlamentsanhörung meinte er, es werde eine harte Aufgabe werden, ein verbindliches Lobbyregister für Brüssel aufzubauen, denn „es wird einen Wandel alter Gepflogenheiten bedeuten.“
Federica Mogherini, zuständig für Außen- und Sicherheitspolitik, Vizepräsidentin, Italien, SPE:
Mogherini hat ihre Karriere über Parteiämter bei den italienischen Linksdemokraten gemacht. Erst seit ein paar Monaten ist sie italienische Außenministerin und gilt daher noch als unerfahren. Trotzdem wird sie nun anstelle des Favoriten Timmermans „Hohe Vertreterin“ der EU. Zu Russland äußerte sie sich im Europäischen Parlament sybillinisch. Russland könne zwar nicht mehr als strategischer Partner gesehen werden, sei aber dennoch ein strategisches Land und Nachbar.
Kristalina Georgiewa, zuständig für Haushalt und Personal, Vizepräsidentin, Bulgarien, EVP:
2010 rutschte Georgiewa nur als Ersatzkandidat für Rumjana Schelewa, die über falsche Angaben bei ihren Nebeneinkünften gestolpert war, in die EU-Kommission. In der Parlamentsanhörung sagte Georgiewa: „Mein Job ist, den EU-Haushalt umzusetzen, nicht ihn zu kürzen.“ Georgiewa gehörte zu den wenigen Kandidaten, die von den Parlamentariern nach ihrer Anhörung Applaus bekam.
Andrus Ansip, zuständig für den digitalen Binnenmarkt, Vizepräsident, Estland, ALDE:
Als estnischer Premierminister betrieb Ansip 2007 höchstpersönlich die Verlegung eines Denkmals für die gefallenen sowjetischen Soldaten im zweiten Weltkrieg aus dem Stadtzentrum Tallinns auf einen Soldatenfriedhof. Dadurch provozierte er schwere Krawalle und Plünderungen in Tallinn durch russischstämmige Jugendliche.
Vor dem EU-Parlament musste Ansip zugeben: „Safe Harbor ist nicht sicher.“ Safe Harbor bezeichnet dabei die Anforderungen der EU an den Datenschutz, die US-Unternehmen wie Google, Amazon und Facebook erfüllen müssen, damit sie weiterhin Daten aus Europa in die USA übermitteln dürfen.
Alenka Bratušek, zurückgetreten, Slowenien, ALDE:
Als schon abgewählte, aber noch im Amt befindliche Ministerpräsidentin schlug Bratušek sich selbst für die EU-Kommission vor. In der Parlamentsanhörung gab sie lediglich Allgemeinplätze von sich und musste sich öfter selbst dafür entschuldigen, sich zu wiederholen. Im Nachhinein gab sie Junckers Beratern die Schuld an ihrem missglückten Auftritt. Die hätten ihr geraten, vage zu bleiben und so keine Gruppe zu enttäuschen. Dass die Parlamentarier den Daumen über sie senkten, lag aber auch daran, dass sie nicht einer der beiden großen europäischen Parteien angehörte, der SPE oder der EVP.
Maroš Šefčovič, zuständig für Energie, Vizepräsident, Slowakei, SPE:
Durch den Rücktritt Bratušek bekam Šefčovič die Chance den Vizepräsidentenposten, den er unter Barroso innehatte, zu behalten. In seiner ersten Anhörung vor dem Europäischen Parlament betonte er vor allem die Bedeutung seines neuen Ressorts. Da war er allerdings noch für Verkehr vorgesehen.
Violeta Bulc, zuständig für Verkehr und Weltraum, Slowenien, ALDE:
Bulc wurde für Bratušek nachnominiert. Sie ist erst seit ein paar Wochen Entwicklungshilfeministerin in Slowenien und hat ansonsten keine politische Erfahrung; dafür ist sie ausgebildete Schamanin, wie die Presse berichtet. In einem Video plädiert sie dafür, die Welt durch die „Dichte des Bewusstseins“ zu fühlen. In einem anderen Video erklärt sie die Zukunft von "Leadership" (beide Videos am Anfang des Artikels). Nach der Parlamentsanhörung meinte der EVP-Abgeordnete Wim van de Camp, dass das von Bulc präsentierte Vier-Tage-Wissen völlig unzureichend sei.
Valdis Dombrovskis, Euro und sozialer Dialog, Vizepräsident, Lettland, EVP:
Während seiner Zeit als lettischer Ministerpräsident setzte Dombrovskis harte Reform- und Sparmaßnahmen sowie Lohnkürzungen durch. Als Folge brach die Wirtschaft ein, die Arbeitslosigkeit stieg enorm und viele junge Letten verließen das Land. Auf seinem neuen Posten kann Dombrovski nun den „sozialen Dialog“ nachholen.
Die lettische Wirtschaftsmisere hatte allerdings einen guten Zweck. Der feste Wechselkurs zum Euro wurde beibehalten, was eine Voraussetzung dafür war, dass Lettland 2014 den Euro einführen konnte und Dombrovski nun als Belohnung Vizepräsident der EU-Kommission wird.
Dombrovskis war als lettischer Ministerpräsident zurückgetreten, als nach dem Einsturz eines Supermarkts im November letzten Jahres mit 54 Todesopfern Schlampigkeiten in der lettischen Verwaltung zutage traten. In Lettland läuft noch eine Untersuchung gegen ihn wegen einer undurchsichtigen Geschäftsbeziehung.
Jyrki Katainen, zuständig für Arbeitsplätze, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit, Finnland, EVP:
Jyrki Katainen forderte als finnischer Ministerpräsident harte Sparmaßnahmen der Südländer in der Krise. Während der Parlamentsanhörung überraschte er dagegen damit, dass er ein 300-Milliarden-Euro-Investitionspaket verteidigte. Das Geld dafür soll von Steuerzahlern und Unternehmen kommen.
Phil Hogan, zuständig für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung und damit für den größten Einzeletat der EU mit 55 Milliarden Euro jährlich, Irland, EVP:
Hogan hat sich in Irland durch die Einführung einer Haushaltsabgabe in Höhe von 100 Euro im Jahr unbeliebt gemacht. Für die Bauern hat er aber ein Herz behalten. Die Folgen des russischen Importbanns sollen durch „angemessene Maßnahmen“ gemildert werden, sagte er in seiner Anhörung.
Miguel Arias Cañete, zuständig für Klimaschutz und Energie, Spanien, EVP:
Cañete besaß Anteile an zwei Ölfirmen. Nach Kritik wegen der Interessenkonflikte, die dies für einen Klimaschutzkommissar birgt, hat er sie verkauft. An wen sagte er nicht. Er betonte lediglich, dass weder seine Frau noch seine Kinder die Anteile halten. Über Treuhänder oder eine weitergehende Verwandschaft äußerte er sich nicht. Weitere kritische Fragen während seiner Anhörung umging Cañete allerdings. So gab er keine Antwort auf die Frage, ob er Verbindungen zu Firmen in Steueroasen hatte.
Margrethe Vestager, zuständig für Wettbewerb, Dänemark, ALDE:
Dänemark setzte auf die Frauenkarte, nachdem Juncker angekündigt hatte, die Nominierung von Frauen durch Zuweisen wichtiger Ressorts zu belohnen. Mit dem einflussreichen Bereich Wettbewerb für Vestager scheint die Rechnung aufgegangen zu sein. Während ihrer Anhörung warb Vestagar dann aber mit eher „männlichen“ Eigenschaften wie Härte und Durchsetzungskraft.
Günther Oettinger, zuständig für die digitale Wirtschaft, Deutschland, EVP:
Für Oettinger bedeutet das neue Ressort einen Abstieg, zumal er auch den Vizepräsidentenposten verliert, den er seit Juli innehatte.
Oettinger machte sich in seiner vergangenen Amtsperiode vor allem einen Namen durch weniger konstruktive Ideen, wie die, die Flagge von Defizitstaaten zur Abschreckung auf Halbmast zu hängen. Passenderweise lieferte er sich in seiner Anhörung dann ein Duell mit dem Satiriker und Parlamentsmitglied Martin Sonneborn.
Pierre Moscovici, zuständig für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten sowie Steuern, Frankreich, SPE:
Als französischer Finanzminister hat Moscovici regelmäßig die Budgetziele verfehlt. Zudem hat er Empfehlungen der EU-Kommission zu Reformen des französischen Steuerrechts missachtet. Das hinderte ihn aber nicht daran, während seiner Anhörung laut zu fordern: „Ein Land, auch Frankreich, muss den Regeln folgen. Meine Rolle wird es sein, sicherzustellen, dass diese Regeln respektiert werden.“
Tibor Navracsics, zuständig für Bildung, Kultur und Jugend, Ungarn, EVP:
Navrasics war in Ungarn in der von der Partei Fidesz gestellten Regierung Minister für Justiz und Verwaltung. Durch eine Justizreform schränkte er die Unabhängigkeit der Justiz ein. Auch für ein Mediengesetz, das tief in die Freiheit der Presse eingriff, zeichnete er verantwortlich. Vor dem Europäischen Parlament schien er aber vom Saulus zum Paulus gewandelt, distanzierte sich von seinem Mediengesetz und betonte die Bedeutung einer freien Presse. Sollte Navracsics in Brüssel tatsächlich das Gegenteil dessen machen, was er in Ungarn vertreten hat, werden für Bildung und Kultur in der EU goldene Zeiten anbrechen. Zu Hause führte seine Fidesz-Regierung führte harte Kürzungen im Bildungsbereich durch und schränkte die Selbständigkeit der Universitäten ein.
Marianne Thyssen, zuständig für Beschäftigung, Soziales, Qualifikation und Mobilität der Arbeitnehmer, Belgien, EVP:
Nach ihrem Jurastudium war Thyssen zunächst als Lobbyisten tätig und ist nun seit bereits 23 Jahren Mitglied des Europaparlaments. Während ihrer Anhörung wurde sie von ihren Kollegen im Europaparlament nicht mit unbequemen Fragen belästigt.
Karmenu Vella, zuständig für Umwelt, Maritimes und Fischerei, Malta, SPE:
Vella war zuletzt Tourismusminister in Malta. Der Inselstaat ist berüchtigt dafür, dass die illegale Jagd auf Zugvögel kaum bekämpft wird. Umso mehr bemühte Vella in seiner Anhörung eine extensive, aber wenig konkrete Nachhaltigkeitslyrik. Vella ist bereits seit 1978 in der Politik des Kleinstaates tätig und konnte sich in dieser Zeit umfangreichen Immobilienbesitz zulegen.
Johannes Hahn, zuständig für Nachbarschaftspolitik und Erweiterungen, Österreich, EVP:
In einem Gutachten zu Hahns Doktorarbeit heißt es: „Es handelt sich um eine Arbeit minderer Qualität, die stellenweise an das Banale und sogar Peinliche grenzt. In ihrer Abfassung sind elementare Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens vielfach mißachtet worden. Die Schlamperei grenzt an Fahrlässigkeit. Mit Wissenschaft hat das nur als abschreckendes Beispiel zu tun.“
In seiner Anhörung sagte Johannes Hahn: „Dezentralisierung ist grundsätzlich etwas Gutes.“ Dies war allerdings in Hinblick auf die Ukraine gemeint, nicht auf die EU.
Jonathan Hill, zuständig für Finanzstabilität und Finanzdienstleistungen, Vereinigtes Königreich, AECR:
Hill war von 1998 bis 2010 Direktor der PR-Agentur Quiller Consultants. Die Frage, für welche Finanzdienstleister Quiller Consultants tätig war, wollte Hill den Parlamentsmitgliedern in der Anhörung nicht beantworten. Der FDP-Abgeordnete Michael Theurer bescheinigte Hill auch sonst einen Auftritt „ohne Substanz in Detailfragen“.
Vytenis Andriukaitis, zuständig für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Litauen, SPE:
Andriukaitis nahm in seiner Parlamentsanhörung den Mund voll. Er versprach „allgemeinen Gesundheitsschutz, eine Stärkung der Vorsorge, Verbesserungen von Qualität und Sicherheit sowie die Förderung von digitaler Gesundheitsanwendungen.“
Christos Stylianides, zuständig für Humanitäre Hilfe und Krisenschutz, Zypern, EVP
Aufsehen erregte Stylianides auch in der Parlamentsanhörung hauptsächlich durch seine Ähnlichkeit mit Filmstar Omar Sharif.
Elżbieta Bieńkowska, zuständig für Binnenmarkt, Industrie und Mittelstand, Polen, EVP:
Bieńkowska folgt ihrem großen Förderer Donald Tusk, der nun Präsident des Europäischen Rates wird, von Warschau nach Brüssel. In ihrer Parlamentsanhörung konnte die zukünftig für den Mittelstand zuständige Kommissarin allerdings keine einzige Regulierung nennen, die man abschaffen sollte, um es kleinen und mittleren Unternehmen einfacher zu machen.
Neven Mimica, zuständig für Entwicklungszusammenarbeit, Kroatien, SPE:
Mimica war vorher Kommissar für Verbraucherschutz. In seiner Anhörung zog er eine positive Bilanz der Milleniumziele der Vereinten Nationen zur weltweiten Bekämpfung von Armut.
Věra Jourová, zuständig für Justiz, Verbraucher- und Gleichstellungsfragen, Tschechien, ALDE:
Jourová ist Mitglied der tschechischen Partei ANO des Oligarchen Babiš. Von 2006 bis 2013 war sie zusammen mit ihrem Sohn Miteigentümer von Primera Consulting, einem Unternehmen, das bei der Rekrutierung von EU-Regionalmitteln half. Zu ihrer Parlamentsanhörung vergaß sie das Manuskript mit ihrer Schlussrede. Ansonsten war sie wohl auch selbst mit ihrer Leistung unzufrieden: „In einigen Fällen war ich mir einiger Details nicht bewusst, aber ich habe versucht, so konkret wie möglich zu sein.“
Corina Crețu, zuständig für Regionalpolitik und damit für ein Budget von etwa 48 Milliarden jährlich, Rumänien, SPE:
Crețu gehörte in der vergangenen Wahlperiode zu den Europaabgeordneten mit der geringsten Anwesenheit (Rang 616 von 754). In der Parlamentsanhörung wandte sie sich gegen eine Kürzung der Mittel für Regionalpolitik. Die mangelhafte Kontrolle der Mittelverwendung nannte sie beschönigend eine „Schwäche der Verwaltungskapazität“.
Carlos Moedas, zuständig für Forschung, Wissenschaft und Innovation, Portugal, EVP:
Moedas arbeitete als Bauingenieur und Investmentberater mit umfangreichen geschäftlichen Aktivitäten. Als Staatssekräter geriet er in Verdacht, Aufträge an ehemalige Geschäftspartner begünstigt zu haben. Zu seinem neuen Fachgebiet Forschung und Wissenschaft hatte er bisher noch keine Verbindung.
Cecilia Malmström, zuständig für Handel, Schweden, ALDE:
Bisher war Malmström in der Kommission für Innenpolitik zuständig. Dabei engagierte sie sich besonders für das Projekt „Clean IT“. Provider sollen sich verpflichten, unliebsame Inhalte, auch legale, aus der Online-Kommunikation herauszufiltern. Zur Parlamentsanhörung agierte sie widersprüchlich. Während sie sich in der schriftlichen Stellungnahme gegen ein Sonderschiedsgericht für Investoren im Rahmen des TTIP-Abkommens aussprach, schwächte sie diese Aussage mündlich wieder ab.