Politik

Krise verstärkt Spaltungs-Tendenzen in Europa

Lesezeit: 2 min
17.09.2012 00:14
Bisher hat die Finanzkrise rein wirtschaftliche Konsequenzen gezeitigt. Allerdings wird durch die drohenden Staatspleiten einzelner Staaten auch ein Wohlstands-Separatismus gefördert.
Krise verstärkt Spaltungs-Tendenzen in Europa

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Ein Beispiel ist dafür die Entwicklung Italien. Dort hat seit Beginn der 1990er Jahre im Zuge der chaotischen politischen Verhältnisse in Rom – unser Guido weiß diesbezüglich ja Bescheid (Stichwort: spätrömische Dekadenz) – die Lega Nord (mehr hier) immer mehr Anhänger gewonnen, die letztendlich eine Landespaltung der Nordprovinzen in einen Staat Padanien zum Ziel hat (mehr hier). Jetzt regen sich zusätzlich Kräfte in Südtirol, die für einen Freistaat Südtirol sich im Zuge der Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker aussprechen (mehr hier). Dieser könnte sich womöglich wieder an Österreich anschließen wollen. Die Grenzen der Mitgliedsstaaten der EU könnten dadurch ins Wanken geraten.

Belgien ein Land am Rande der Spaltung

Ein weiterer Fall für die zunehmenden Sezessionstendenzen innerhalb Europas liefert Belgien. Dort stehen sich die französischen sprachigen Wallonen und die niederländisch sprachigen Flamen immer unversöhnlich gegenüber. Auch hier spielt das Wohlstandsgefälle eine entscheidende Rolle. Wegen der abnehmenden Bereitschaft der Flamen dauerhaft in einer Transferunion mit dem ärmeren Wallonien zu leben, sinkt die Bereitschaft eine gemeinsame Staatlichkeit aufrechtzuerhalten. Das führte zuletzt dazu, dass rund eineinhalb Jahre keine Regierungsbildung zustande kam.

Erst zu Beginn diesen Monats gelang es eine belgische Regierung durch Parlament zu bringen (mehr dazu). Die flämische Separatistenpartei N-VA (mehr hier) bleibt in der neuen Regierung außen vor – obwohl sie im Parlament die meisten Sitze hat (mehr hier). Da Belgien neben Italien und Griechenland eines das am höchsten verschuldeten EU-Länder ist, könnte sich dieser Konflikt weiter zuspitzen. Der greise König Albert kann wenig ausrichten, um sein Reich noch zusammenzuhalten (mehr dazu). Der Konflikt dürfte sich weiter zuspitzen, wenn die Finanzkrise Belgiens an Fahrt aufnimmt. Schließlich ist Belgien geradeerst von Moody’s und Fitch herabgestuft bzw. unter verschärfte Beobachtung gestellt worden (mehr hier). Was passiert, wenn Belgien sich am Kapitalmarkt nicht mehr günstig seine hohe Staatsverschuldung refinanzieren kann, ist völlig offen.

Spanien und der Separatismus der Katalanen und Basken

Spanien lebt ebenfalls seit Jahrzehnten mit starken separatistischen Strömungen, die auch durch ein Wohlstandsgefälle zwischen den wohlhabenderen Regionen der Basken (mehr dazu) und Katalanen (mehr dazu) wesentlich mit beeinflusst worden ist. Auch hier spielt die Frage, ob man dauerhaft eine Transferunion mit den ärmeren Regionen Spaniens aufrechterhalten will, eine zentrale Rolle. Im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise brechen diese alten Wunden wieder auf.

Europa ist voll von solchen Krisenherden

Die Liste lässt sich ohne große Schwierigkeiten erweitern (mehr hier). Wie der Zerfall der ehemaligen Sowjetunion eindrucksvoll vorgeführt hat (mehr hier), führte der wirtschaftliche und politische Kollaps der Sowjetunion unter Michael Gorbatschow dazu, dass zahlreiche Landesteile mit einer eigenen kulturellen und historischen Geschichte sich von Russland lösten. Insgesamt dreizehn Abspaltungen fanden sukzessive statt (mehr hier).

In Jugoslawien endete zuvor dessen Aufspaltung in einer Folge von Bürgerkriegen (mehr dazu). Die Tschechoslowakei zerbrach ebenfalls (mehr hier). Immer wieder spielte die Frage der unterschiedlichen Wohlstandsverhältnisse eine wichtige Rolle neben den sprachlichen, kulturellen und historischen Unterschieden. Mithin könnte ein Ende der Eurozone einen vergleichbaren Prozess der Neuordnung der Landkarte im Zuge eines grassierenden Wohlstandsseparatismus auslösen. Es steht mithin viel auf dem Spiel.

Vereinigte Staaten von Europa?

Statt der romantisch verklärten Vereinigten Staaten von Europa (mehr hier) könnte genau das Gegenteil im Zuge einer erzwungenen Transferunion die Folge sein. Es gibt sogar einen wirtschaftstheoretischen Erklärungsansatz dafür. So haben Alberto Alesina und Enrico Spolaore in ihrem Buch: The Size of Nations (mehr hier) die Frage untersucht, wann eine Integration oder Desintegration aufgrund ökonomischer Interessen auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker eintreten kann. Belsazar sah auch die Zeichen „mene, mene tequel ufarsin“ an der Wand und konnte sie nicht deuten (mehr hier). Hoffentlich begreifen die von einer Transferunion besoffenen deutschen Politiker was sie mit ihrem Gerede eigentlich anrichten (mehr hier). Sie legen die Lunte an eine tickende Bombe der Spaltung der Wirtschafts- und Währungsunion und nicht zu deren Erhalt. Die Politik in Europa ist viel zu schwach, um eine solche Entwicklung aufhalten zu können.


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik SPD-Kanzlerkandidat steht fest: Pistorius zieht zurück und ebnet Weg für Scholz
21.11.2024

Nach intensiven Diskussionen innerhalb der SPD hat Verteidigungsminister Boris Pistorius Olaf Scholz den Weg für die erneute...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Prognose: Kryptowährung mit Rekordhoch kurz vor 100.000 Dollar - wie geht's weiter?
21.11.2024

Neues Bitcoin-Rekordhoch am Mittwoch - und am Donnerstag hat die wichtigste Kryptowährung direkt nachgelegt. Seit dem Sieg von Donald...

DWN
Panorama
Panorama Merkel-Buch „Freiheit“: Wie die Ex-Kanzlerin ihre politischen Memoiren schönschreibt
21.11.2024

Biden geht, Trump kommt! Wer auf Scholz folgt, ist zwar noch unklar. Dafür steht das Polit-Comeback des Jahres auf der Tagesordnung: Ab...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
21.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Konjunkturflaute, Handelskonflikte, leere Büroimmobilien - Banken stehen vor akuten Herausforderungen
21.11.2024

Eigentlich stehen Deutschlands Finanzinstitute in Summe noch ganz gut da – so das Fazit der Bundesbank. Doch der Blick nach vorn ist...

DWN
Finanzen
Finanzen Von Dividenden leben? So erzielen Sie ein passives Einkommen an der Börse
21.11.2024

Dividenden-ETFs schütten jedes Jahr drei bis vier Prozent der angelegten Summe aus. Wäre das auch was für Ihre Anlagestrategie?...

DWN
Politik
Politik Weltstrafgericht erlässt auch Haftbefehle gegen Netanjahu und Galant - wegen Kriegsverbrechen im Gaza-Streifen
21.11.2024

Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, den früheren...

DWN
Politik
Politik US-Staatsapparat: Tech-Milliardär Elon Musk setzt auf Technologie statt Personal - Unterstützung bekommt er von Trump
21.11.2024

Elon Musk soll dem künftigen US-Präsidenten Trump dabei helfen, Behördenausgaben zu kürzen und Bürokratie abzubauen. Er gibt einen...