Finanzen

Banken in den USA: Whistleblowerin kämpft gegen ein Kartell des Schweigens

Lesezeit: 6 min
23.11.2014 23:24
Nach der Finanzkrise kauften sich die Banken mit hohen Strafzahlungen von allen Anschuldigungen frei. Die US-Justiz nutzte die Gelegenheit, um die Staatskassen zu füllen und sich als Sieger im Kampf gegen die Banken zu präsentieren. Doch tatsächlich ging es nur darum, den größten Fall von Wirtschaftskriminalität zu vertuschen, wie eine Whistlerblowerin nun berichtet. Ihr Zeugnis wurde bei der Wahrheitsfindung nicht gehört - wegen angeblicher Befangenheit.

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Die größte Bank der USA, JPMorgan Chase, hat viel Geld ausgegeben, um die Aussage einer einzigen Frau zu unterdrücken. Denn sie ist Zeugin eines der größten Fälle von Wirtschaftskriminalität in der Geschichte der USA. Acht Jahre lang behielt Alayne Fleischmann ihr Geheimnis für sich. 13 Milliarden Dollar zahlte JPMorgan-CEO Jamie Dimon an die US-Regierung , um den Rechtsstreit um verbriefte Hypothekenpapiere beizulegen und zu verhindern, das ihre Aussage jemals öffentlich wird.

„Es war, als ob man dabei zusieht, wie eine alte Frau auf der Straße überfallen wird“, sagte Alayne Fleischmann dem investigativen Journalist Matt Taibbi vom Rolling Stone Magazine. Fleischmann ist Anwältin für Banken- und Kapitalmarktrecht und arbeitete jahrelang für JPMorgan Chase im Bereich Vertragsmanagement. Im Jahr 2006 wurde sie Zeuge eines „massiven kriminellen Wertpapierbetruges“, wie sie selbst sagt. Sie hat eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnet und ist deshalb bis jetzt nicht an die Öffentlichkeit gegangen. Doch nun, wo die Täter dank eines auf schnelle Deals ausgerichteten US-Justizsystems wohl straffrei ausgehen, kann Fleischmann ihr Wissen nicht länger für sich behalten.

„Ich konnte nicht länger rumsitzen. Ich habe versucht, einfach weiterzumachen wie bisher, aber ich konnte nicht mehr schlafen oder essen. Es fühlte sich an, als ob ich versuchte dieses Geheimnis für mich zu behalten und mein Körper es buchstäblich abstieß“, so Fleischmann.

Die Geschichte von Alayne Fleischmann ist deshalb hoch interessant, weil sowohl die Bank als auch das US-Justizministerium alles daran gesetzt haben, sie zum Schweigen zu bringen. Eine zentrale Rolle dabei spielte Justizminister Eric Holder. Seine Behörde erzielte im letzten Jahr eine Reihe von außergerichtlichen Einigungen mit Großbanken wie JPMorgan Chase, Citigroup und Bank of America.

Diese Einigungen waren das Ergebnis von geheimen Absprachen ohne Richter und ohne eine Gerichtsverhandlung. Im Endeffekt zahlten die Banken hohe Strafen an die US-Regierung und der Streit wurde still und heimlich beigelegt. Der Öffentlichkeit wurden lediglich knappe Stellungnahmen präsentiert, die sich vor allem durch vage Formulierungen und die Abwesenheit von Fakten auszeichneten.

Als Alayne Fleischmann im Jahr 2006 bei JPMorgan Chase landete, war der Markt für verbriefte Hypotheken gerade auf dem Höhepunkt. Die großen Banken kauften die Hypothekenkredite auf und verschnürten sie zu Schuldpaketen, die sie dann weiterverkauften. Fleischmans Aufgabe war es, zu prüfen, ob die aufgekauften Hypotheken die Bank in finanzielle oder rechtliche Schwierigkeiten bringen konnten.

Schon nach wenigen Monaten fand sie die Unternehmenspolitik sehr befremdlich. So bestand ihr Vorgesetzter darauf, dass die Angestellten ihm keine E-Mails mehr schreiben. Es schien so, als ob die Abteilung keine Spuren in Schriftform hinterlassen wollte, wenn es um Hypothekengeschäfte ging.

„Ich würde mein Eröffnungsplädoyer damit beginnen und abschließen. Es zeigt, dass diese Leute wussten, was sie taten und versuchten, dabei nichts erwischt zu werden“, zitiert das Rolling Stone Magazine einen ehemaligen Staatsanwalt zu dieser Enthüllung.

Kurz nachdem das E-Mail-Verbot in ihrer Abteilung ergangen war, sollte Fleischmanns Abteilung ein 900-Millionen-Dollar-Paket von Hypothekenkrediten von einer Firma namens GreenPoint bewerten. Schnell merkte ihr Team, dass damit etwas faul war. Die Kredite waren bereits neun Monate alt, was als deutliches Warnsignal galt. Normalerweise wurden die Kredite von nach der Unterzeichnung binnen zwei oder drei Monate an einen Investor verkauft. Dass diese Kredite bereits neun Monate alt waren, bedeutete, dass sie bereits von einer anderen Bank abgelehnt wurden, weil sie als zu riskant galten.

Etwa 40 Prozent der darin enthaltenen Kredite waren akut ausfallgefährdet. Sie basierten auf überzogenen Einkommensangaben, wie Fleischmann und ihr Team herausfanden. JPMorgan akzeptierte dabei normalerweise nur eine Fehlerquote von 5 Prozent. Unter den Kreditnehmern war auch eine Nagel-Pflegerin, die angab, über ein Jahreseinkommen von 117.000 Dollar zu verfügen.

Alayne Fleischmann rechnete ihren Vorgesetzten vor, dass die Frau selbst bei einer 7-Tage-Woche und ohne Betriebskosten 488 Tage pro Jahr arbeiten müsste, um ein solches Einkommen zu erwirtschaften. Als sie und ihre Kollegen auf den drohenden Zahlungsausfall der Papiere hinwiesen, wurden sie unter enormen Druck gesetzt, damit sie ihre Meinung ändern.

„Der Abteilungsleiter schrie sein Team an, beschimpfte es und zwang sie dazu, die Berichte immer wieder und wieder zu verfassen, bis tief in die Nacht hinein. Danach erhielten die Kredite die Freigabe“, so Fleischmann. Unter den freigegebenen Krediten war auch die Nagel-Pflegerin mit dem Jahreseinkommen von 117.000 Dollar. JPMorgan Chase verkaufte die Schrottpapiere später für mehrere Hundert Millionen Dollar weiter.

Fleischmann versuchte vergeblich, ihre Vorgesetzten vor den juristischen Konsequenzen zu warnen. Sie verfasste einen Brief, in der Hoffnung, dass die dubiosen Praktiken dadurch gestoppt werden würden.

„Früher war es so, dass, wenn man ein Memo schrieb, sie damit aufhören mussten, weil es dann einen Beweis dafür gab, dass sie wussten, was sie taten. Aber wenn das Justizministerium nichts unternimmt, verliert auch das seine Abschreckungswirkung“, so die Anwältin.

Im Februar 2008 wurde Alayne Fleischmann entlassen. Wenige Monate später platzte die Subprime-Blase. In einem Artikel des Fortune Magazine rühmte sich Jamie Dimon damit, dass der Bankvorstand schon 2006 wusste, dass es zu gefährlich war, die Subprime-Kredite aufzukaufen. So sagte Dimon im Oktober 2006 zu einem seiner Abteilungsleiter:

„Ich will, dass du ein Auge auf Subprime hast. Wir müssen sehr viele unserer Positionen verkaufen. Ich habe das schon einmal gesehen. Das Zeug könnte in Rauch aufgehen!

Später behauptete Dimon vor dem Untersuchungsausschuss der US-Regierung das genaue Gegenteil. Die Führungskräfte der Bank seien von der Krise überrascht gewesen. „Bei den Hypothekenkrediten haben wir irgendwie einfach übersehen, dass Immobilienpreise nicht ewig steigen.“

Auf Druck der Occupy-Bewegung berief US-Präsident Obama eine Sonderermittlungseinheit, bestehend aus Beamten des Wohnministeriums HUD, der Börsenaufsicht SEC, der Bundespolizei FBI und der Steuerbehörde IRS, ein. Doch als die Gruppe ihre Arbeit aufnahm, waren bereits fast alle Verjährungsfristen abgelaufen.

„Eine verschwörerische Sicht auf die Dinge wäre es, zu sagen: Der Staat hat zu lange gebraucht, sich diese Fälle anzuschauen und nun lässt er sich alle Zeit der Welt bei der Untersuchung, bis auch die letzten Verjährungsfristen ablaufen“, zitiert der Rolling Stone den berühmte New Yorker Staatsanwalt Eliot Spitzer.

Zunächst sah alles danach aus, als ob das Justizministerium Anklage gegen die Bank erheben würde. Eric Holder hatte für den 23. September 2013 eine Pressekonferenz einberufen, um die Anklage wegen Betrugs öffentlich zu verkünden. Doch die Pressekonferenz wurde überraschend abgesagt. Angeblich hatte JPMorgan-CEO Jamie Dimon persönlich bei einem ranghohen Beamten des Ministeriums angerufen, um die Ermittlungen gegen seine Bank zu stoppen und eine außergerichtliche Einigung zu erbitten.

„Er hat nicht einfach den leitenden Staatsanwalt angerufen, sondern direkt den Chef vom Staatsanwalt“, so Alayne Fleischmann.

Die Pressekonferenz platzte und das Justizministerium entschied sich, nicht gegen JPMorgan Chase zu prozessieren. Stattdessen einigte man sich in geheimen Verhandlungen auf eine Strafzahlung von 13 Milliarden US-Dollar. Alle Beweise – darunter auch die Aussagen von Fleischmann – wurden begraben und die Beteiligten der Bank gingen straffrei aus. Jamie Dimon erhielt sogar einen Bonus für die erfolgreiche Beilegung der Rechtsstreitigkeiten.

Dazu kommt, dass JPMorgan fast unbeschadet aus der Einigung hervorging. Rund vier Milliarden Dollar der Strafe kamen lediglich einem Buchhaltungstrick gleich, so dass die eigentliche Strafe für die Bank nur 9 Milliarden betrug. Etwa 7 Milliarden Dollar davon konnte das Geldinstitut später steuerlich abschreiben. Zudem stieg die Aktie nach Bekanntmachung der außergerichtlichen Einigung um 6 Prozent, was etwa 12 Milliarden Dollar Wertsteigerung entspricht. Man könnte also behaupten, die Bank hat an der Einigung sogar noch Geld verdient.

Die Börsenaufsicht verhängte später noch eine Strafe von 293 Millionen Dollar in einem einzigen Fall gegen JPMorgan Chase, verfolgte aber keine der anderen Verfehlungen. „Der Samt-Handschuh-Ansatz, den das Justizministerium und die Börsenaufsicht bei den Wall-Street-Banken wählen, ist so unerklärlich wie unvertretbar“, zitiert das Rolling Stone Magazin Dennis Kelleher von der Finanzreformgruppe „Better Markets“. „Sie verurteilen meistens nur eine einzelne Straftat, obwohl es Dutzende gibt. Das ist in etwa so, als ob man einen Serienmörder wegen Körperverletzung anklagt und ihn dann auf Bewährung freilässt.“

Eric Holder sagte später, dass Ermittlungen gegen die größten Banken der Wall Street von den Behörden viel Fingerspitzengefühl erfordern würden, um die Weltwirtschaft nicht zu gefährden.

„Verantwortung ist dort so zerstreut und die Führungskräfte so abgeschirmt, dass jedes Fehlverhalten mehr ein Symptom der Unternehmenskultur als das Resultat böswilligen Verhaltens einzelner Individuen ist“, sagte Eric Holder vor Studenten der Universität von New York.

Matt Taibbi vom Rolling Stone sieht darin eine gefährliche Logik:

„Mit anderen Worten: Nicht Menschen begehen Verbrechen, sondern Unternehmenskulturen! Es ist vermutlich besser, dass Holder sein Amt niederlegt, bevor er dieselbe Logik auf Mafia-Verbrechen und Terrorismus anwenden kann.“

Kurz bevor Eric Holder tatsächlich abtrat, zurrte seine Behörde die letzten ausstehenden Deals mit den anderen Großbanken fest. Die Beweise einer ganzen Generation von Wall-Street-Korruption wurden dadurch unter den Teppich gekehrt.

Die Whistleblowerin Alayne Fleischmann, die nach ihrer Entlassung enorme Schwierigkeiten hatte, einen neuen Job zu finden, will dennoch weiter für die Wahrheit kämpfen. Sie glaubt nach wie vor fest daran, dass sie den flächendeckenden Betrug der Bank beweisen kann. Noch seien nicht alle Verjährungsfristen verstrichen. Dafür ist sie auch bereit, sich mit sehr einflussreichen Leuten anzulegen.

„Ich könnte bis zur Insolvenz verklagt werden. Ich könnte meine Zulassung verlieren, so dass ich nie wieder als Anwältin praktizieren darf. Ich könnte alles verlieren. Die nehmen vermutlich an, dass ich nicht bereit bin, mein Leben dafür zu zerstören. Aber da irren sie sich. Denn wenn wir den Mund jetzt nicht aufmachen, dann ist das wirklich alles, was wir bekommen: Die größte finanzielle Vertuschung der Geschichte.


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