Politik

Stunde der Wahrheit: Große Koalition spricht von Milliarden-Verlusten

Lesezeit: 2 min
29.06.2015 12:54
Erstmals haben sich führende Koalitions-Politiker aus der Deckung gewagt und den Schaden benannt, der dem deutschen Steuerzahler aus dem Euro-Desaster erwächst. Langsam versteht man, warum Angela Merkel auf Tauchstation gegangen ist.
Stunde der Wahrheit: Große Koalition spricht von Milliarden-Verlusten

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Nach der Eskalation der Griechenland-Krise rückt die Frage nach den Folgen für die deutschen Steuerzahler in den Vordergrund.

Angela Merkel hat sich bisher auffällig bedeckt gehalten - bislang ist nur durchgesickert, dass sie mit US-Präsident Barack Obama telefoniert habe. Erst am Nachmittag will sich Merkel öffentlich zum Thema äußern. Wenn man ihren Abgesandten zuhört, beginnt man zu verstehen warum.

Sie drucksen herum, fühlen sich sichtlich unwohl - und können doch nicht länger verstecken, dass sich die deutschen Steuerzahler auf sehr unerfreuliche Nachrichten einstellen müssen.

Man spürt: Die Stunde der Wahrheit ist gekommen.

„Dass das was kostet, ist vollkommen klar“, sagte der Vizechef der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, am Montag der ARD. Das maximale Ausfallrisiko aus Kreditbürgschaften und anderen Posten bezifferte er auf etwa 80 Milliarden Euro. EU-Kommissar Günther Oettinger sagte, es werde nicht der gesamte Betrag verloren gehen: „Es wird sich zeigen, was der Schuldner begleichen kann.“ Insgesamt sehen Ökonomen den Schaden für Deutschland begrenzt - ganz anders als in Griechenland, das auf einen Grexit zusteuert.

Die Bundesregierung haftet für Hilfskredite an Griechenland von rund 53 Milliarden Euro. Mit Sicherheit kommen noch andere Posten wie die deutschen Anteile an den Forderungen des IWF und der EZB hinzu.

Nicht eingerechnet ist bisher die Höhe der ELA-Notfallkredite: Sie belaufen sich mittlerweile auf mindestens 100 Milliarden Euro, woraus sich für Deutschland ein Risiko von knapp 30 Milliarden ergibt.

Unterm Strich kommen die Volkswirte des Münchner Ifo-Instituts auf ein maximales Risiko von 87 Milliarden Euro.

Die EU-Kommission versucht zu beruhigen: Dass alle Kredite und Forderungen auf einen Schlag platzen, ist allerdings nicht zu erwarten. „Mit Sicherheit wird ein Schaden entstehen, aber nicht der, der durch das Addieren der Einzelposten entsteht“, sagte Oettinger.

So hatte auch Bundesfinanzminister Schäuble in seinem eher besorgniserregenden ZDF-Auftritt behauptet, dass ein eventueller Zahlungsstopp der Griechen nicht sofort und nicht in voller Höhe auf den Bundeshaushalt durchschlagen würde. So seien die ersten Kreditrückzahlungen erst ab 2020 fällig und bis weit in die 50er-Jahre gestreckt. Außerdem würden mögliche Zahlungsausfälle in den einzelnen „Jahresscheiben“ im Bundeshaushalt verrechnet.

Allerdings war Schäuble anzumerken, dass er im Gründe nicht genau sagen kann, welcher Schaden auf den Steuerzahler zukommt.

„Ganz weg ist es nicht“, sagte SPD-Mann Schneider mit Blick auf die Gesamtsumme. Griechenland werde aber nicht alles zurückzahlen können, wenn es den Euro-Währungsraum verlassen sollte. Tragen müssten das dann in Deutschland die „starken Schultern“. Die Griechen sollen am Sonntag über die Auflagen für weitere Hilfen abstimmen. Allerdings läuft das Kreditpaket bereits am (morgigen) Dienstag aus - und damit das aktuelle Angebot der Gläubiger.

Die Schuld an der Krise gaben deutsche Politiker je nach eigener politischer Färbung den Griechen oder den Geldgebern. So sagte Linken-Chef Bernd Riexinger, die griechische Regierung treffe am wenigsten Schuld. „Sie haben diese ganzen Schulden geerbt von korrupten Vorgänger-Regierungen“, sagte er n-tv. CDU-Parteivize Julia Klöckner zeigte sich dagegen von der „Dreistigkeit“ der griechischen Regierung überrascht, die sich verkalkuliert habe: „Nicht der Regierungschef in Griechenland leidet, sondern sein Volk (...) Europa hat das Ansinnen, Griechenland nicht fallen zu lassen, aber nicht um jeden Preis.“

Der Präsident des Handelsverbands BGA, Anton Börner, sieht die Entwicklung gelassen: „Besorgt bin ich gar nicht“, sagte er Reuters. Was den Kursrückgang an der Frankfurter Börse von anfangs knapp vier Prozent am Montag angehe, so habe er deutlichere Abschläge befürchtet: „Ein Chaos sieht anders aus“.

Wirtschaftliche Folgen für Deutschland erwarten Experten nicht, wie Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer: „Das ist ein verlorenes Jahr für Griechenland. Für Deutschland spielt das keine Rolle. Nicht einmal ein Prozent der deutschen Exporte gehen dorthin.“ Sein Kollege von der Berenberg Bank, Holger Schmieding, verwies auf die Möglichkeiten der EZB, größeren Marktturbulenzen entgegenzusteuern: „Es dürfte deshalb so schlimm nicht werden“.

 


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Technologie
Technologie Der Chefredakteur kommentiert: Kleiner Blackout - kein neuer Strom mehr in Oranienburg! Echt jetzt?
19.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Städtereisen neu entdeckt: Easyjet läutet Renaissance der Rollkoffer ein
19.04.2024

Vor genau 20 Jahren eroberte Easyjet mit seinen günstigen Flügen das Festland der EU. Der Start in Berlin-Schönefeld begann...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft G7-Außenministertreffen: Israel-Iran Konflikt überschattet Agenda
19.04.2024

Nach israelischem Angriff auf Iran: G7-Außenministertreffen auf Capri ändert Agenda. Diskussionen zu China und Cyber-Sicherheit werden...

DWN
Politik
Politik Forsa-Zahlen: Die Grünen unterliegen den Fliehkräften der Abwärtsspirale
19.04.2024

Und schon wieder eine Etage tiefer. Der Sog verstärkt sich und zieht die Partei Bündnis 90/Grüne immer weiter hinab in der Wählergunst....

DWN
Technologie
Technologie Sehnsuchtsort Mond – Wettlauf um Macht und Rohstoffe
19.04.2024

Forscher, Technologiefirmen und ganze Staaten streben nach neuen galaktischen Ufern. Der Mond lockt mit wertvollen Rohstoffen und dient...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Trotz Exportbeschränkungen: Deutsche Ausfuhren in den Iran gestiegen
19.04.2024

Deutsche Exporte in den Iran trotzen geopolitischen Spannungen: Anstieg trotz EU- und US-Sanktionen. Welche Kritikpunkte gibt es in diesem...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Krieg: So ist die Lage
19.04.2024

Nach neuen Angriffen: USA und NATO erhöhen Unterstützung für Ukraine, während Russland seinen Machtanspruch verstärkt.

DWN
Immobilien
Immobilien Wie viel Immobilie kann ich mir 2024 leisten?
19.04.2024

Wie günstig ist die aktuelle Marktsituation für den Erwerb einer Immobilie? Auf welche Haupt-Faktoren sollten Kaufinteressenten momentan...