Politik

„Flüchtlings-Krise wird genutzt, um Mindestlohn auszuhebeln“

Der Ökonom Heiner Flassbeck sieht in den Versuchen, Flüchtlinge vom Mindestlohn auszunehmen, den klaren Versuch des Lohn-Dumpings. Tatsächlich müsste Deutschland längst alle Löhne deutlich erhöhen - und den Mindestlohn auf bis zu 13 Euro anheben.
24.11.2015 01:19
Lesezeit: 3 min

Werbung+++

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Wirtschaftsweisen und Hans-Werner Sinn haben vorgeschlagen, die Flüchtlinge vom Mindestlohn vorübergehend auszunehmen, vorgeblich, um sie schneller und einfacher in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Könnte das nicht ein Versuch sein, den flächendeckenden Mindestlohn in Deutschland generell zu unterlaufen?

Heiner Flassbeck: Natürlich - und zwar ohne jeden Grund. Die Flüchtlingskrise wird dazu genutzt, um den Mindestlohn auszuhebeln, weil man nicht nachweisen kann, dass er Schaden angerichtet hat. Es gibt keinen einzigen empirischen Beweis dafür, dass ein Mindestlohn oder die Erhöhung des Mindestlohns zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führt und die Theorie hinter der Ablehnung des Mindestlohnes ist lächerlich.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist es nicht auffallend, dass ausgerechnet Deutschland so lang gebraucht hat, um den Mindestlohn einzuführen?

Heiner Flassbeck: Das ist vollkommen richtig. In Deutschland halten sich ökonomische Dogmen ziemlich lang. Weil der Mindestlohn gezahlt wurde, hatte das einen positiven Nachfrageeffekt. Doch ein Mindestlohn von 8,50 Euro ist zu niedrig angesetzt. Eigentlich bräuchten wir einen Mindestlohn von zwölf bis dreizehn Euro.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Es gibt die These, dass der Zuzug vieler Flüchtlinge und Migranten auch zu einer Belebung der Wirtschaft führen werde. Was ist dran an dieser These?

Heiner Flassbeck: Zwangsläufig nicht, aber man kann dafür sorgen, dass zusätzliche Nachfrage entsteht. Das steigert wiederum die Produktion und schafft Arbeitsplätze. Die Flüchtlinge müssen in diesem Fall eine Anfangsausstattung an Einkommen bekommen und diese werden sie in den Konsum stecken. Dieses Geld muss der Staat leihen, weil es nur dann eine starke Anregung der Wirtschaft gibt. Er muss sich folglich durch die Begebung von Staatsanleihen Geld am Kapitalmarkt leihen. Die aktuellen Bedingungen dafür sind ja sehr günstig und eine andere Möglichkeit gibt es nicht, um einen positiven Nachfrage- und Arbeitsmarkteffekt für die Flüchtlinge zu erzeugen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie sehen Sie die Lohnentwicklung hinsichtlich der zunehmenden Digitalisierung der Industrie und der Arbeit allgemein?

Heiner Flassbeck: Wenn Digitalisierung die Produktivität steigert, müsste es auch zu einer Steigerung der Löhne kommen. Doch die Digitalisierung hat bisher keine positiven Produktivitätseffekte gehabt, zumindest steigt die Produktivität nicht stärker als vorher, sondern schwächer.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Kann man mit dem Mindestlohn Lohndumping bekämpfen?

Heiner Flassbeck: Einzelwirtschaftlich schon, aber viel wichtiger ist ein anderer Ansatz. Die Löhne in Deutschland insgesamt müssen für die kommenden fünf bis zehn Jahre um mindestens fünf Prozent pro Jahr steigen. Nur das schafft positive Nachfrageeffekte und hilft die Ungleichgewichte in der Eurozone abzubauen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was bedeutet TTIP für die deutsche Arbeitswelt und vor allem für die Lohnentwicklung?

Heiner Flassbeck: TTIP ist eine Fiktion. Der Gedanke, dass durch die TTIP mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, stimmt nicht. Die USA werden sogar darauf setzen, dass die Außenhandelsüberschüsse Deutschlands sinken. TTIP würde dann dazu führen, dass der Freihandel negative Effekte für das deutsche Wachstum hat. Deshalb wird es meiner Meinung nach auch nicht zum Abschluss des TTIP-Abkommens kommen. Der US-Kongress ist ohnehin gegen Freihandelsabkommen mit Staaten, deren Währungen unterbewertet sind. Der Euro ist deutlich unterbewertet.

Deutsche Wirtschafts NachrichtenWie würden sie das Phänomen der Leiharbeit einstufen?

Heiner Flassbeck: Nur negativ. Wenn die Firmen das Instrument der Leiharbeit nicht gehabt hätten, hätten sie die Leute trotzdem eingestellt. Leiharbeit ist eine grandiose Fehlentwicklung, die lediglich dazu dient, Unternehmen zu subventionieren. Schauen wir uns die vergangenen 15 Jahre an. Die Reallöhne sind gesunken und die Binnennachfrage ist kaum angestiegen. Ohne den Export von Arbeitslosigkeit in den Rest der Welt wäre es offensichtlich, dass diese Politik gescheitert ist.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Können Sie uns eine Vorausschau bezüglich der wirtschaftlichen Situation geben?

Heiner Flassbeck: Die gesamtwirtschaftliche Situation ist schlecht. Deutschland und Europa befinden sich in einer Rezession. Da die Geldpolitik am Ende ihres Lateins ist, gibt es nur noch die Möglichkeit, im Rahmen einer expansiven Fiskalpolitik positive Nachfrageeffekte zu schaffen und damit die Wirtschaft anzukurbeln. Das heißt ganz explizit, der Staat muss neue Schulden machen, anders geht es nicht.

Der Kern der gesamten Krise in Europa liegt doch darin, dass wir im Gegensatz zu anderen EU-Staaten mehr exportieren als importieren und damit auf die Verschuldung anderer Länder setzen. Das geht jetzt nicht mehr.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Können Sie das genauer beschreiben?

Heiner Flassbeck: Die Krisenländer der EU weisen schon ein hohes Volumen an Auslandsschulden auf. Die sind entstanden, weil Deutschland mit niedrigen Löhnen die Wettbewerbsfähigkeit dieser Staaten zunichte gemacht hat. In der Vergangenheit konnten Krisenländer dagegen vorgehen, indem sie ihre nationalen Währungen abwerteten. Doch innerhalb der Währungsunion ist das nicht mehr möglich.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Warum senken die Krisenländer die Löhne nicht? Dann wären sie doch wieder wettbewerbsfähig...

Heiner Flassbeck: Das geht nicht, weil es katastrophale Folgen hat, wie wir es in Südeuropa gesehen haben. Sie können keine weiteren Lohnsenkungen von 20 bis 30 Prozent durchsetzen. Was am Ende einer solchen Politik stehen würde, ist eine Deflation innerhalb der gesamten Union. Dann würden wir über eine lange Zeit hinweg kein Wachstum mehr haben. Folglich müssen in Deutschland die Löhne steigen. Passiert das nicht, wird der Euro irgendwann wegbrechen und in Deutschland kommt es in ganz kurzer Zeit zum Verlust von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen, weil die Krisenländern eine drastische Abwertung ihrer nationalen Währungen vornehmen würden, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Unsere Wirtschaft würde klar den größten Schaden bei einem Scheitern des Euro erleiden.

Der Ökonom Heiner Flassbeck, geboren 1950 in Birkenfeld/Nahe, ist ehemaliger Chefökonom der Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD) und war zuvor Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen Börsenkrisen: Warum Volatilität kein Risiko ist
11.05.2025

Wenn die Börsen Achterbahn fahren, zittern viele Anleger. Doch Panik ist oft der schlechteste Berater – denn was aussieht wie ein...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Strategien für Krisenzeiten: Wie Sie jetzt Ihre Unternehmensleistung steigern
11.05.2025

Steigende Kosten, Fachkräftemangel, Finanzierungsdruck – viele KMU kämpfen ums Überleben. Doch mit den richtigen Strategien lässt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft USA vor Energieumbruch: Strom wird zum neuen Öl – und zur nächsten geopolitischen Baustelle
11.05.2025

Ein fundamentaler Wandel zeichnet sich in der US-Wirtschaft ab: Elektrizität verdrängt Öl als Rückgrat der nationalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bill Gates verschenkt Vermögen – Symbol einer neuen Weltordnung oder letzter Akt der alten Eliten?
11.05.2025

Bill Gates verschenkt sein Vermögen – ein historischer Akt der Großzügigkeit oder ein strategischer Schachzug globaler Machtpolitik?...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft „Made in America“ wird zur Hypothek: US-Marken in Europa auf dem Rückzug
11.05.2025

Eine neue Studie der Europäischen Zentralbank legt nahe: Der Handelskrieg zwischen den USA und der EU hat tiefgreifende Spuren im...

DWN
Finanzen
Finanzen Tech-Börsengänge unter Druck: Trumps Handelskrieg lässt Startup-Träume platzen
10.05.2025

Schockwellen aus Washington stürzen IPO-Pläne weltweit ins Chaos – Klarna, StubHub und andere Unternehmen treten den Rückzug an.

DWN
Finanzen
Finanzen Warren Buffett: Was wir von seinem Rückzug wirklich lernen müssen
10.05.2025

Nach sechs Jahrzehnten an der Spitze von Berkshire Hathaway verabschiedet sich Warren Buffett aus dem aktiven Management – und mit ihm...

DWN
Finanzen
Finanzen Silber kaufen: Was Sie über Silber als Geldanlage wissen sollten
10.05.2025

Als Sachwert ist Silber nicht beliebig vermehrbar, kann nicht entwertet werden und verfügt über einen realen Gegenwert. Warum Silber als...