Politik

Katalanische Regierung: Wir wollen mit eigener Stimme in Europa handeln

Der Ausgang der Regionalwahlen am Sonntag ist für Kataloniens Zukunft entscheidend. Gewinnt die derzeitige Regierung um Artur Mas erneut, wird es ein Referendum über die Unabhängigkeit von Spanien geben. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten sprachen mit dem internationalen Pressesprecher der katalanischen Regierung über das Verhältnis zur Zentralregierung, den unbedingten Wunsch in der EU zu bleiben und die wirtschaftlichen Perspektiven Kataloniens.
24.11.2012 23:47
Lesezeit: 3 min

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Herr Estruch Axmacher, was sind die Gründe für die gewollte Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien?

Martí Estruch Axmacher: Die Gründe sind viele und verschiedene: Es gibt natürlich beispielsweise die wirtschaftlichen Gründe, die die internationalen Medien jetzt betonen. Katalonien versucht seit Jahren, ein neues Finanzmodell mit Spanien abzustimmen, aber die spanische Regierung hat es immer abgelehnt. Diese Ablehnung hat die Unabhängigkeitbewegung natürlich sehr verstärkt. Aber ausschlaggebend sind auch eine tausendjährige Geschichte und eine eigene Identität mit Sprache und Kultur, die von Spanien nicht genug und nicht offiziell anerkannt werden. Außerdem will Katalonien mit eigener Stimme in Europa handeln, und das ist nur als unabhängiger Staat möglich.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Hat die zentrale Regierung Spaniens die Menschen in Katalonien vielleicht auch schlecht behandelt?

Martí Estruch Axmacher: Schlecht behandelt klingt sehr hart, aber klar ist auch, dass Spanien sehr oft die kalte Schultern gezeigt hat. Spanien ist ein sehr zentralistisches Land, in der Tradition Frankreichs, und die Differenzen innerhalb des Staates werden nicht als positiv empfunden. Die Spanische Regierung lehnt die Verbreitung der Kompetenzen dauernd ab. Und dann die definitive Ohrfeige: Im Jahr 2010 hat das spanische Verfassungsgericht die katalanischen Forderungen nach einer Ausweitung des Autonomiestatus mit einem Urteilsspruch endgültig abgewiesen. Das hat schon damals hunderttausende Katalanen auf der Straße gebracht. Und zum Nationalfeiertag im September haben mehr als 1.5 Millionen Menschen auf der Straße demonstriert - die Bevölkerung Kataloniens liegt bei ca 7.5 Millionen.  Das zeigt ganz deutlich, dass sehr viele Katalanen nicht mit der aktuelle Beziehung zu Spanien zufrieden sind.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In der EU will Katalonien jedoch verbleiben – inwiefern sind die EU und der Euro wichtig für die Region?

Martí Estruch Axmacher: Katalonien will auf jeden Fall in der EU bleiben. Die Vorteile der Europäischen Union sind in Katalonien klar und anerkannt, was in anderen Ländern nicht immer der Fall ist. Als wirtschaftlich starkes Land sind natürlich die EU und der Euro sehr wichtig für Katalonien.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie weit sind die Vorbereitungen zum Referendum?

Martí Estruch Axmacher: Viel mehr als der klare Wille ist noch nicht da. Nach der Wahl am Sonntag wird der Prozess beginnen. Die neue katalanische Regierung wird mit der spanische Regierung verhandeln, so dass das Referendum in der nächsten Legislaturperiode stattfinden kann. Bisher hat die spanische Regierung eher abweisend reagiert, aber es wird schwierig sein, ein demokratisches Prinzip wie eine Volksabstimmung auf Dauer abzulehnen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie schätzen Sie die Erfolgschancen eines Referendums ein?

Martí Estruch Axmacher: Die letzte Umfragen zeigen, dass 60 Prozent der Katalanen die Unabhängigkeit Kataloniens befürworten und ungefähr 27 Prozent dagegen sind. In jeden Fall sind 74,1 Prozent der Befragten für eine Volksabstimmung darüber, ob Katalonien ein neuer, unabhängiger Staat in Europa werden soll.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Hermann Van Rompuy sagte jüngst mit Blick auf Schottlands Unabhängigkeitsbestrebungen: „In der Welt von heute kann niemand etwas bei Seperatismus-Bewegungen gewinnen, weil die Welt globalisiert ist, ob es uns passt oder nicht.“ Was halten Sie von dieser Aussage?

Martí Estruch Axmacher: Katalonien möchte gerne an dieser globalisierten Welt teilnehmen und das ist nur als unabhängiger Staat möglich. Wir möchten genau so abhängig oder unabhängig sein wie Finnland, Belgien oder Spanien. Die meisten der europäischen Länder sind im 20. Jahrhundert unabhängig geworden und keiner hat den Weg zur Abhängigkeit zurück gemacht. Die Katalanen wollen bei den Themen, die in der EU besprochen werden, selbst entscheiden.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: EU-Justizkommissarin Viviane Reding sieht keine automatische Mitgliedschaft Kataloniens in der EU – Wie groß ist Ihre Chance, dennoch in der EU zu verbleiben?

Martí Estruch Axmacher: Wenn Katalonien, Schottland oder Flandern unabhängig werden, ist das für die EU eine Neuheit, die natürlich diskutiert werden muss. Es wäre dennoch etwas Merkwürdiges, ein Land, das schon zur EU gehört und alle EU-Angehörigkeitsbedingungen erfüllt hat, aus der EU auszuschließen. Dass Katalonien ein Netto-Zahler der EU wäre, ist vielleicht auch kein unwichtiger Aspekt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sollte auch im französischen Baskenland über die Unabhängigkeit von Frankreich abgestimmt werden?

Martí Estruch Axmacher: Das sollen natürlich die Basken dort entscheiden. Katalonien unterstützt das universal anerkannte Recht auf Selbstbestimmung überall in der Welt. Es gibt auch einen Teil Kataloniens, der heutzutage Frankreich gehört. Aber dort gibt es keine Mehrheit, die die Rückkehr nach Katalonien befürwortet.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Der derzeitige Präsident der Region Kataloniens, Artur Mas, hat gesagt: „Die Zeit ist gekommen, unser Recht auf Selbstbestimmung auszuüben.“ Wenn sich beim Referendum die Mehrheit für einen Verbleib Kataloniens in Spanien ausspräche, würden Sie dann Ihr „Recht auf Selbstbestimmung“ aufgeben?

Martí Estruch Axmacher: Das Recht auf Selbstbestimmung kann nie aufgegeben werden: Es besteht und ist überall in der zivilisierten Welt als Menschenrecht anerkannt. In Quebec zum Beispiel haben sie es schon zweimal in den letzten Jahren ausgeübt. Natürlich würde die katalanische Regierung das Ergebnis dieses Referendums respektieren, auch wenn es einen Verbleib in Spanien bedeuten würde.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Zwar ist Katalonien die stärkste Wirtschaftskraft Spaniens, aber der Schuldenberg liegt bei über 40 Milliarden Euro. Katalonien erwägt derzeit, Finanzhilfen Spaniens in Anspruch zu nehmen, wie soll dies im Falle einer Unabhängigkeit gelingen? Ist die Region nicht zu stark auf Spanien angewiesen?

Martí Estruch Axmacher: Katalonien nimmt nur Finanzhilfe von Spanien in Anspruch, weil nach dem jetzigen Finanzmodell Katalonien jährlich 8 bis 10 Prozent seines Bruttoinlandproduktes an den spanischen Staat abgeben muss, was in Katalonien zu einem jährlichen Verlust von rund 22 Milliarden Euro führt und einer wirtschaftlichen Erstickung des Landes gleichkommt. Mit der Unabhängigkeit wäre das natürlich anders. Die Experten schätzen, dass Katalonien in wenigen Jahren seine Schulden abbauen und zu den reichsten Ländern Europas gehören würde.

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