Politik

Euro-Retter rudern zurück: Tür für Griechenland wieder offen

Lesezeit: 5 min
27.06.2015 22:56
Die Finanzminister der Eurozone haben offenbar Angst vor der eigenen Courage bekommen. Hatten sie am Nachmittag noch erklärt, dass die Tür für Griechenland geschlossen sei, so erklärten sie am Abend feierlich: Die Tür für Griechenland ist weit offen.
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Die 18 Euro-Finanzminister wollen Griechenland nach Angaben des französischen Finanzministers Michel Sapin im Euro halten. "Die 18 Länder haben alle klar gesagt, dass Griechenland im Euro ist und bleiben soll, egal wie groß die Schwierigkeiten jetzt sind", sagte der französische Sozialist am Samstagabend nach der Sondersitzung der 18 Euro-Partner ohne ihren griechischen Kollegen.

Sapin sagte, aus einer griechischen Zahlungsunfähigkeit sei keine Ansteckungsgefahr auf die übrige Euro-Zone zu befürchten. "Die heutige Lage ist überhaupt nicht wie vor vier Jahren", sagte er in Anspielung auf den Höhepunkt der Finanz- und Schuldenkrise. Es gebe heute Mechanismen in der Euro-Zone, um jedem Staat in Problemen zu helfen. Zudem seien die europäischen Banken heute nicht mehr in Gefahr. Auch der deutsche Bankenverband (BdB) hält die Auswirkungen einer Staatspleite Griechenlands für beherrschbar. "Ein Zahlungsausfall Griechenlands könnte die Finanzmärkte zwar kurzfristig belasten, die zu Beginn der Staatsschuldenkrise möglichen Ansteckungseffekte auf andere Euro-Staaten sind heute aber nicht mehr zu befürchten", sagt BdB-Hauptgeschäftsführer Michael Kemmer.

Die Tür für die griechische Regierung zur Rückkehr an den Verhandlungstisch steht nach Angaben von Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem weiter offen. "Der Prozess ist nicht vorbei und wird es wahrscheinlich nie sein", sagte Dijsselbloem am Samstagabend. Zugleich machte der niederländische Finanzminister mit Hinweis auf das von Athen angekündigte Referendum über das Reformpaket klar: "Wenn die griechische Regierung den Weg mit Hilfe des griechischen Parlaments weiter beschreitet, wird das Hilfsprogramm enden."

Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), hofft auch nach dem Scheitern der Griechenland-Verhandlungen auf eine Rettung des Euro-Krisenlandes. Er gehe davon aus, dass die Regierungschefs der Eurozone in der kommenden Woche ein starkes Signal an Griechenland geben werden, sagte Schulz am Samstagabend im ARD-«Brennpunkt». Man werde die Kompromissbereitschaft gegenüber der griechischen Seite bei Renten und Steuern deutlich machen. «Wir haben die Chance, dass das griechische Volk am kommenden Sonntag zu diesen Vorschlägen "Ja" sagt. Die Tür ist jetzt offen und sie ist auch dann offen», betonte Schulz. Er sei keinesfalls überzeugt davon, dass die Mehrheit der Griechen so denkt wie Regierungschef Alexis Tsipras.

EU-Kommissar Pierre Moscovici sagte bereits am frühen Nachmittag, die Differenzen zwischen der Regierung in Athen und den Gläubigern seien nicht sehr groß. "Wo ein Wille für eine Lösung ist, ist auch ein Weg."

Die Volksabstimmung in Griechenland soll nach den Worten von Tsipras ungeachtet der gescheiterten Verhandlungen über weitere Finanzhilfen am kommenden Sonntag stattfinden, so Reuters. Griechenland werde überleben, unabhängig von der Entscheidung der Eurogruppe, das bestehende Hilfsprogramm zu verlängern oder nicht, sagte Tsipras laut griechischen Regierungskreisen am Samstag an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsidenten François Hollande gerichtet. «Demokratie ist in Griechenland von überragendem Wert.»

Der griechische Finanzminister Varoufakis erinnerte seine Kollegen in der Euro-Zone unterdessen daran, dass es in den EU-Verträgen keine Möglichkeit zum Rauswurf eines Landes aus dem Euro gibt. Varoufakis betonte, das von der griechischen Regierung geplante Referendum sollte keine Abstimmung über die Euro-Mitgliedschaft Griechenlands sein. Es gebe eine "kristallklare Realität", sagte Varoufakis. "Es gibt keine Vorkehrungen über den Exit aus der Währungsunion. Es gibt im Lissaboner Vertrag (nur) Vorkehrungen, wie man die EU verlässt", sagte er. Wer Griechenland nun vorschlage, über diese Frage der Euro-Zugehörigkeit abzustimmen, müsse dazu erst die EU-Verträge ändern.

Varoufakis begründete das in der Nacht zum Samstag überraschend angekündigte Referendum damit, dass die griechische Regierung selbst nicht hatte entscheiden wollen, das von den internationalen Geldgebern vorgeschlagene Reformpaket anzunehmen oder abzustimmen. Dazu sei eine Mehrheit von mehr als 50 Prozent der Bevölkerung nötig.

Angesichts dieser Eskalation im Schuldenstreit mit Griechenland visiert jetzt auch die Europäische Zentralbank (EZB) weitere Beratungen an. Der EZB-Rat werde zu gegebener Zeit zusammenkommen, teilte die Notenbank am Samstagabend über den Kurznachrichtendienst Twitter mit. "Die EZB beobachtet die Entwicklungen genau", hieß es zudem.

Die EZB spielt in dem Schuldenstreit eine Schlüsselrolle, weil sie Nothilfen für die griechischen Banken (ELA) gewährt. Wegen des massiven Abflusses von Kundengeldern sind die griechischen Institute auf diese Hilfen angewiesen. Bundesbankchef und EZB-Ratsmitglied Jens Weidmann hat wiederholt dafür plädiert, die Nothilfen einzustellen. Andere EZB-Vertreter haben deutlich gemacht, dass die ELA-Hilfen so lange gewährt werden, wie die griechischen Banken Sicherheiten hinterlegen können.

Die EZB könnte mit der Aufkündigung der ELA-Hilfen auch bis zum 20. Juli warten, wenn eine Rückzahlung Griechenlands an die EZB in Höhe von 3,5 Milliarden Euro fällig wird. Sollte die Rechnung nicht beglichen werden, könnten der EZB die Argumente für eine Aufrechterhaltung von ELA bald ausgehen.

Dijsselbloem rechnet nun damit, dass sich wahrscheinlich in dem kommenden Tagen die Lage in dem EU-Land Griechenland schnell verschlechtern werde. Die Aussicht auf eine Staatspleite könnte bereits am Montag zu einem Ansturm auf die griechischen Banken führen, so Reuters. Die Regierung in Athen hat zwar beteuert, dass die Geldinstitute zu Wochenbeginn wie gewohnt öffnen würden. Sie könnte sich aber am Sonntag gezwungen sehen, Kapitalverkehrskontrollen einführen, um den massiven Abfluss von Kundengeldern einzudämmen. Anzeichen für eine Panik unter den griechischen Bankkunden gab es am Samstag nicht, aber von den Geldautomaten bildeten sich längere Schlangen als gewöhnlich.

Um den Geld- und Wirtschaftskreislauf in Gang zu halten, könnte sie zudem gezwungen sein, Schuldscheine auszugeben, mit denen Unternehmen und Privatleute untereinander Rechnungen begleichen könnten. Das wäre dann faktisch eine zweite Währung und der erste Schritt aus dem Euro. Der Wert dieser Parallelwährung dürfte deutlich unter dem des Euro liegen - und damit Rentner oder Arbeitslose vom Staat wesentlich weniger Geld erhalten als aktuell.

Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras hatte am frühen Samstagmorgen im Fernsehen die Volksabstimmung für den 5. Juli angekündigt. Das aktuelle Hilfsprogramm der Europäer für Griechenland läuft aber bereits an diesem Dienstag (30. Juni) ab. Dann muss Athen auch 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückzahlen. Der letzte Vorschlag der Troika ist ein Selbstmord-Programm für Griechenland. 

Tsipras kündigte an, eine kurzfristige Verlängerung des laufenden Kreditprogramms zu beantragen. Die Frage sei, ob die Euro-Finanzminister da mitmachten, sagte ein EU-Diplomat. Die Eurogruppe kommt um 14.00 Uhr in Brüssel zusammen. Bei dem Krisentreffen geht es um die Rettung Griechenlands vor der drohenden Staatspleite. Die Minister wollen sich mit der griechischen Regierung auf ein neues Austeritäts-Paket einigen. Dies ist Voraussetzung dafür, dass Griechenland bisher blockierte, weitere Kredite bekommt.

Griechenland lehnt die dramatischen Steuererhöhungen völlig zu Recht ab – weil sie die griechische Wirtschaft endgültig ruinieren würden: Der Tourismus würde zusammenbrechen, die auf dem Papier schön errechneten Primärüberschüsse würden niemals Realität.

Tsipras hat mit dem Referendum völlig recht – er muss eine Allianz finden. Die über Jahre gescheiterten Parteien Pasok und Nea Dimokratia fallen bereits über ihn her oder locken ihn mit dem vergifteten Angebot einer Einheitsregierung. Zugleich schmieden sie Pläne zu seinem Sturz. Sie wollen zurück an die Macht – koste es, was es wolle. Wie Tsipras allerdings seinem Volk erklären will, dass sowohl die Annahme des Troika-Ultimatums als auch der Crash in Griechenland für das griechische Volk verheerende Folgen haben würde, ist schwer vorstellbar. Er kann beim Referendum im Grunde keine Alternativen aufzeigen, weil jede Entscheidung neues Leid über die griechische Bevölkerung bringen wird.

Tatsächlich haben die Euro-Retter wenig in der Hand, und es wird sogar noch schlimmer: Ein Austritt Griechenlands aus dem Euro-System würde die Steuerzahler der Euro-Staaten schlagartig um 340 Milliarden Euro erleichtern (eine detaillierte Analyse der Verluste hier).

Die anderen Euro-Staaten können Griechenland gar nicht aus dem Euro werfen, weil das nach den Verträgen nicht vorgesehen ist. In der EU herrscht das strenge Einstimmigkeitsprinzip: Griechenland kann also ein Veto gegen seinen Rauswurf einlegen. Es ist gut denkbar, dass Varoufakis genau aus diesem Grund dem Meeting am Abend ferngeblieben ist - wäre er nämlich in der Sitzung geblieben, hätte er ein Veto einlegen müssen.

Allenfalls könnte Griechenland selbst austreten, was aber die EZB konterkarieren würde: Mario Draghi hatte die Euro-Zone 2012 mit der Erklärung gerettet, dass der Euro unwiderruflich sei. Treten die Griechen aus, wäre die Überzeugungskraft der EZB an den Finanzmärkten dramatisch beschädigt.

Eine Erklärung für die Aufregung der Euro-Finanzminister kann in ihrer seltsamen Rolle gefunden werden: Die Euro-Gruppe ist kein Verfassungsorgan der EU. Sie muss den politischen Anordnungen folgen. Wenn aber die Anordnungen so wie in der Griechenland-Krise völlig konfus sind, können sie nicht handeln.

Es ist daher denkbar, dass der originelle Fall eintritt, dass Griechenland seine Schulden bei der EZB und beim IWF einfach nicht bezahlt. Eine Staatspleite tritt erst ein, wenn die griechische Regierung Zahlungen an die privaten Bond-Holder versäumt. Das haben übereinstimmend alle drei großen Rating-Agenturen erklärt.

Das Risiko für Griechenland besteht allerdings darin, dass dann die EZB die ELA-Kredite stoppen müsste. Dies würde vermutlich zum Zusammenbruch des griechischen Banken-Systems führen. Das hätte verheerende Folgen für die griechische Wirtschaft und die Menschen in Griechenland.

Beobachter halten das Verhalten der Euro-Retter für in höchstem Maß verantwortungslos. Sie gehen davon aus, dass der Zusammenbruch Griechenlands der Anfang vom Ende der Euro-Zone bedeutet.


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