Politik

Grexit: Die Euro-Retter zittern vor der Stunde der Wahrheit

Lesezeit: 2 min
22.06.2015 02:05
Die Euro-Retter sind in der Falle: Wenn Griechenland pleitegeht, verlieren die europäischen Steuerzahler etwa 340 Milliarden Euro. Die EZB verliert ihre Autorität. Und Griechenland stürzt ins Chaos. Nur Schlafwandler können bei einer solchen Ausgangslage bis zum Äußersten gehen. Die Euro-Retter zittern vor der Stunde der Wahrheit.
Grexit: Die Euro-Retter zittern vor der Stunde der Wahrheit

Benachrichtigung über neue Artikel:  

Es wird hoch gepokert: Nachdem der EZB-Direktor Benoit Couré gesagt hat, dass er nicht mehr wisse, ob die griechischen Banken am Montag noch öffnen werden, hat der griechische Zentralbank-Chef nachgelegt und die Banken des Landes auf einen kritischen Dienstag eingestellt.

Ein flächendeckender Bank-Run wäre fatal. Er wäre der vielbeschworene Unfall, mit dem die Euro-Zone und damit die EU in den Zerfall taumeln.

Wie fahrlässig die Regierungen operieren, lässt sich an einigen einfachen Zahlen erklären, die David Stockman zusammengestellt hat: Demnach sind im Feuer:

Frankreich: 72, 32 Milliarden

Deutschland: 94,45 Milliarden

Italien: 63,24 Milliarden

Spanien: 43,41 Milliarden

Eurozone gesamt: 339,7 Milliarden

Diese historisch hohen Summen wären verloren, wenn der Grexit ausgelöst wird. Es handelt sich um Gelder der europäischen Steuerzahler. Man kann sich schwer vorstellen, wie Angela Merkel, Francois Hollande, Matteo Renzi und Mariano Rajoy vor ihre Völker treten, um ihnen mitzuteilen, dass das Geld weg ist.

Bisher haben sich die Euro-Retter keinen anderen Ansatz gefunden, als die Griechen kollektiv zu diffamieren und zu beschimpfen.

Sie haben nichts unternommen, um Einkommensgerechtigkeit in Griechenland herzustellen.

Sie haben sich nicht einmal mit den Zahlen beschäftigt: Es stellt sich heraus, dass die Annahmen bei Griechenland falsch sind und dass die Austeritätspolitik in Griechenland das Falscheste war, was man tun konnte. Dies gilt in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht.

Vor dem Hintergrund, dass es um unvorstellbar hohe Summen geht, ist die Ignoranz der europäischen Regierungen bemerkenswert, auf eine Lösung hinzuarbeiten.

Jede Lösung wird teuer für die Steuerzahler. Ein Grexit wäre allerdings noch teurer, weil er den Totalverlust nach sich ziehen und Griechenland jeder Zukunftsperspektive berauben würde. Die Steuerzahler würden dann nichts mehr von ihrem Geld sehen.

Der griechische Premier Alexis Tsipras hat angeblich einen Vorschlag unterbreitet, mit dem sich die Euro-Retter notgedrungen auseinandersetzen werden. Er enthält im wesentlichen vernünftige Punkte:

Umschuldung der EZB-Kredite auf den ESM

Deal mit der EZB

Rückzahlung des IWF-Kredits

EU-finanzierte Investitionen und Privatisierungen

Schuldenschnitt

Bad Bank

Bei jedem dieser Punkte werden die Euro-Retter aufheulen, weil sie öffentlich bisher den Eindruck erweckt haben, also könne man Verluste vermeiden. Hinter vorgehaltener Hand haben im Grund alle zugegeben: Das Geld ist weg, nun ist nur noch die Frage - ist alles weg, oder ein Teil noch zu retten? Keiner dieser Punkte ist ein Selbstläufer. In jedem Fall gibt es viele Unbekannte. Aber das Notprogramm könnte bei den Euro-Rettern zumindest die Hoffnung am Leben erhalten, dass Griechenland von den 340 Milliarden Euro wenigstens einen Teil zurückzahlen kann.

Die Alternative für die Regierungen: Milliarden-Verluste, die vor allem Frankreich (Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen lauert), Spanien (Neuwahlen mit linker Podemos) und Italien (leidet extrem unter den Russland-Sanktionen) faktisch nicht verkraften können. Ähnlich kritisch ist die Lage für die kleineren Länder: Österreich ist mit 7,5 Milliarden Euro im Feuer und hat mit dem Hypo Alpe Adria-Desaster den Crash schon hinter sich – steht also mit dem Rücken zur Wand. Die Niederlande müssten 15 Milliarden Euro abschreiben, das dauerhaft kriselnde Belgien knapp 10 Milliarden Euro.

Diese Zahlen werden die Euro-Retter im Hinterkopf haben, wenn sie am Montag auf Alexis Tsipras treffen. Der griechische Premier hat allerdings auch viel zu verlieren: Wenn die Syriza-Regierung das Land in die Anarchie manövriert, werden die Rechtsextremen von der Goldenen Morgenröte gestärkt.

Die EZB wiederum muss sich in irgendeiner Weise bewegen: Sie hat sich im Jahr 2012 einem Schuldenschnitt widersetzt und trägt heute die größte Last – etwa 60 Prozent der Griechen-Kredite lagern bei der EZB. Auch der IWF kann nicht auf stur schalten: Im Grexit-Fall legt Christine Lagarde einen historischen Verlust hin. Kein Geringerer als Larry Summers hat Lagarde in der FT daran erinnert.

Selbst wenn man am Montag zu einem Deal kommt, müssten die Euro-Retter danach ihre gesamte Krisenpolitik in Frage stellen. Das traut ihnen eigentlich keiner zu. Sie sind schwach, schlecht informiert und denken nicht staatsmännisch, sondern als Opportunisten. Sie zittern vor der Stunde der Wahrheit, weil sie alle viel zu verlieren haben. Bezahlt wird das Versagen allerdings von den Steuerzahlern in Europa, die mit dem sich abzeichnenden Scheitern nicht nur die gute Idee einer Europäischen Union verabschieden, sondern früher oder später einen Verlust von wahrhaft historischer Dimension zu schultern haben werden.



Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Finanzen
Finanzen Teurer Anlegerfehler: Wie der Blick in den Rückspiegel fehlgeht
25.04.2024

Anleger orientieren sich an den Renditen der vergangenen drei bis zehn Jahre, um Aktien oder Fonds auszuwählen. Doch laut Finanzexperten...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Kommunikation im Wandel – Was es für Unternehmen in Zukunft bedeutet
25.04.2024

In einer Ära schneller Veränderungen wird die Analyse von Trends in der Unternehmenskommunikation immer entscheidender. Die Akademische...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Lieferdienste in Deutschland: Bei Flink, Wolt und anderen Lieferando-Konkurrenten geht es um alles oder nichts
25.04.2024

Getir, Lieferando, Wolt, UberEats - es fällt schwer, in deutschen Großstädten beim Angebot der Essenskuriere den Überblick zu...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Familienunternehmer in Sorge: Land verliert an Wettbewerbsfähigkeit
25.04.2024

In einer Umfrage kritisieren zahlreiche Familienunternehmer die Politik aufgrund von übermäßiger Bürokratie und Regulierung. Besonders...

DWN
Finanzen
Finanzen So wählt Warren Buffett seine Investments aus
25.04.2024

Warren Buffett, auch als „Orakel von Omaha“ bekannt, ist eine Ikone der Investment-Welt. Doch worauf basiert seine Investmentstrategie,...

DWN
Technologie
Technologie KI-Chips trotz Exportbeschränkungen: China sichert sich US-Technologie durch die Hintertür
25.04.2024

Trotz der US-Exportbeschränkungen für Hochleistungsprozessoren scheint China einen Weg gefunden zu haben, sich dennoch mit den neuesten...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Russlands Kriegswirtschaft: Putin geht das Geld nicht aus
25.04.2024

Russlands Wirtschaft wächst weiterhin, ist aber stark von der der Kriegsproduktion abhängig. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius...

DWN
Technologie
Technologie Petrochemie: Rettungsleine der Ölindustrie - und Dorn im Auge von Umweltschützern
24.04.2024

Auf den ersten Blick sieht die Zukunft des Erdölmarktes nicht rosig aus, angesichts der Abkehr von fossilen Treibstoffen wie Benzin und...