Politik

USA greifen ein: Letzter Versuch, den Euro zu retten

Lesezeit: 4 min
15.07.2015 19:00
Showdown für die Euro-Zone: Finanzminister Jack Lew soll in einer überraschend anberaumten Visite versuchen, den Euro-Crash noch zu verhindern. Lews Treffen am Donnerstag in Berlin mit Wolfgang Schäuble wird für die Zukunft des Euro wichtiger als alle bisherigen EU-Rettungsgipfel.

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Reuters meldet:

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble wird am Donnerstag mit seinem US-Kollegen Jack Lew über den weiteren Weg Griechenlands in der Euro-Zone sprechen. Nach dem Treffen in Berlin werde Lew noch am selben Tag nach Paris zu Gesprächen mit dem französischen Finanzminister Michel Sapin reisen, teilte das US-Finanzministerium am Dienstag mit. Bereits am Mittwoch komme Lew mit EZB-Präsident Mario Draghi in Frankfurt zusammen. Neben Griechenland werde es auch um den Zustand der Weltwirtschaft gehen.

Diese überraschende Krisen-Intervention der Amerikaner dürfte wichtiger sein als alle bisherigen Rettungsgipfel der EU zusammen. Denn die Amerikaner sind alarmiert über die Entwicklung in Europa. Sie sehen ganz klar, was bei einem Crash in Griechenland passiert: Die Zukunft der Nato in Europa ist gefährdet. Der Flächenbrand, der sich politisch gerade rasend schnell von Griechenland aus über andere Euro-Länder verbreitet, könnte dem Militär-Bündnis weit mehr schaden als gedacht. Es geht nicht mehr nur um die Südflanke in Griechenland. Es geht darum, dass rechtsextreme Parteien, Euro-Skeptiker, EU-Gegner und linke Protestparteien die Machtverhältnisse in der EU kippen könnten. Sie alle eint der Antiamerikanismus und eine teils militante Ablehnung der Nato.

Die Amerikaner haben offenbar erkannt, dass der Schlüssel zu dem Problem bei einer ganz neuen Linie in Berlin liegt: Wolfgang Schäuble ist nach wie vor überzeugt, dass der Grexit die beste Variante für Griechenland ist. Das Wall Street Journal berichtet, dass Schäuble nach dem EU-Deal zu Journalisten gesagt haben soll: „Es gibt viele Leute in der Bundesregierung, die glauben, dass dies (der Grexit) die bessere Lösung für Griechenland und die griechische Bevölkerung wäre oder sein könnte.“ Das war nach dem Gipfel, an dem der Grexit angeblich in letzter Minute abgewendet wurde.

Angesichts des drakonischen Austeritätsprogramms ist diese Einschätzung sogar zutreffend: Wenn die griechische Regierung wirklich tut, wie ihr von den Euro-Rettern befohlen wurde, kollabiert das Land. Schulden-Experten aus Großbritannien haben ermittelt, dass die Leidenszeit für Griechenland mit einem solchen Programm 20 Jahre oder länger dauern könnte. Ähnlich Erfahrungen hat man etwa in der Sub-Sahara gemacht. Welch ein Vergleich für das einst stolze Europa.

Man muss die Amerikaner für ihre geopolitische Aggressivität kritisieren, keine Frage. Ohne die sinnlosen Bombardements von Libyen und die Zersetzung Syriens gäbe es das dramatische Flüchtlings-Problem nicht, welches in den europäischen Staaten derzeit die moralische Integrität erodieren lässt. Doch im Fall Griechenlands geht es den Amerikanern auch darum, dass sie wissen: Liquiditätskrisen im Banken-System sind das Gefährlichste für eine vernetzte Wirtschaft. Lew selbst hat vor wenigen Tagen gesagt, dass ein Crash in Griechenland hunderte Milliarden Euro kosten werde. Die Fondsgesellschaft Fidelity hat in einer Analyse festgestellt, dass die Wirtschaft in der Euro-Zone insgesamt auf der Liquiditätsseite in einem soliden Zustand ist. Doch Fidelity-Analystin Anna Stupnytska schreibt in einer Analyse: „Auch wenn wir jetzt noch wenige Zeichen einer Ansteckung sehen – ein voller Grexit würde, zumindest kurzfristig, zu einem massiven Bruch in der Erholung der Euro-Zone führen (very disruptive)“.

Die Amerikaner wissen, dass der Grexit nur mit einem Schuldenschnitt zu lösen ist. Die US-Regierung hatte versucht, diese Botschaft bereits vor dem Referendum in Griechenland und dem EU-Gipfel zu lancieren: Der IWF, den die Amerikaner beherrschen, teilte aus dem Nichts heraus mit, dass Griechenland viel mehr Geld und einen Schuldenschnitt brauchen werde.

Auch jetzt – wieder vor entscheidenden Beratungen – meldet sich der IWF zu Wort: Nachdem die EU zumindest rudimentär und rechtlich in keiner Weise bindend eingeräumt hat, dass Griechenland mehr Geld braucht, bringt der IWF das Thema Schuldenschnitt wieder aufs Tapet. Die Warnung erfolgt in viel drastischeren Worten als der erste Hinweis: Der Schuldenschnitt müsse „weit über das hinausgehen, was die Euro-Zone bisher bereit war zu akzeptieren“.

Die Chronologie der Lew-Reise ist interessant: Zuerst trifft er sich mit EZB-Chef Mario Draghi. Ein offenes Zerwürfnis zwischen Draghi und Schäuble hatte zum Abbruch der Euro-Gruppe am Samstag geführt. Der Bruch kam aus einem grundsätzlichen Missverständnis: Für Schäuble sind Schulden zurückzuzahlen. Nicht zufällig entspringen die Worte „Schulden“ und „Schuld“ im Deutschen demselben Wortstamm. Draghi ist Investmentbanker: Schulden sind ein Geschäft. Man kann Schulden verkaufen, umwandeln und vieles mehr. Er denkt wie ein Broker: Er eine hat, dem anderen wird genommen. Man kann alles immer irgendwie hin- und herschieben.

Das sieht Wolfgang Schäuble ganz anders: Er misstraut den Südstaaten der EU seit Anbeginn. Schäuble weiß genau, dass die Schulden aus der Euro-Zone bei den Deutschen und den anderen Nord-Europäern hängenbleiben. Daher will er zwar die politische Union in Europa – aber nicht mit Nationen und deren Regierungen, die ihre Wirtschaften stets mit Abwertungen im internationalen Wettbewerb gehalten haben. Schäuble ist die schwäbische Hausfrau, die zwar von Keynes nichts weiß, aber jeden Abend das Haushaltsbuch so sorgenvoll studiert wie die Bundesbanker und Hans-Werner Sinn die Target2-Salden.

Deutschland hat – im Unterschied zu den USA und Großbritannien – nie starke Expertise in der Finanz- und Geldpolitik entwickelt. Die großen Player der Finanzindustrie sitzen in London und New York. Die historische Angst vor der Hyperinflation ist zur geldpolitischen DNA aller deutschen Bundesregierungen geworden. Die Vorstellung, eine Schulden-Krise durch massive Inflation zu beenden, ist den Deutschen zutiefst zuwider – aus gutem Grund: Das Volk der schwäbischen Hausfrauen hat immer noch die höchste Sparquote unter den entwickelten Volkswirtschaften. Daher haben die Deutschen real etwas zu verlieren. Als der IWF vor zwei Jahren mit einem Papier an die Öffentlichkeit trat, in dem stand, dass die Schuldenkrise in Europa am besten durch eine Vermögensabgabe von 10 Prozent auf alle Vermögen zu lösen sei, schrillten in Berlin die Alarmglocken: Das ist politisch genausowenig durchsetzbar wie der nun geforderte Schuldenschnitt. Wenn „Schuld“ und „Schulden“ eins werden, gibt es keine Vergebung.

Vor einigen Tagen hat der US-Historiker und Finanzwissenschaftler Jacob Soll bei einer Konferenz zu den griechischen Schulden genau diese Erfahrung gemacht. Er beschreibt in der New York Times die völlige Uneinsichtigkeit der deutschen Ökonomen, die, wie ihre Politiker, glauben, dass „die Griechen“ ihre Strafe verdient hätten. Keiner aus dem Umkreis des deutschen Schulden-Papstes Hans-Werner Sinn konnte Soll bestätigen, dass er in der jüngeren Vergangenheit in Griechenland gewesen sei, um sich über das Elend der Griechen zu überzeugen. Soll war über so viel Ignoranz bei den Ökonomen erstaunt.

Bei dem Treffen von Schäuble und Lew wird sich zeigen, ob die Bundesregierung dieses Sentiment für ein Dogma hält. Schäuble hat schon vor einigen Tagen klargemacht, dass er in dieser Frage unnachgiebig sein wird: Er hatte Lew vorgeschlagen, die USA sollten Griechenland in die Dollar-Zone aufnehmen, dann werde sich die Euro-Zone um Puerto Rico kümmern.

Am Freitag reist Jack Lew weiter zu Francois Hollande, der seinerseits schon die Alternative zum deutschen Programm intoniert hat: Hollande will eine Transferunion, in der die Südstaaten über ein Euro-Parlament Deutschland überstimmen können.

Der Ausgang der Auseinandersetzung, bei der mit Sicherheit Tacheles geredet wird, ist völlig offen. Entweder braucht Angela Merkel bald einen neuen Finanzminister. Oder Lew und Hollande müssen in Paris den Abgesang auf die Euro-Zone in ihrer bisherigen Form anstimmen. Ein politisches Erdbeben in Deutschland oder ein transatlantisches „Bonjour Tristesse“ – alles ist möglich.


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