Finanzen

Deutschland ist kein Musterschüler: Schulden-Staaten ohne Disziplin

Der Chef-Analyst der Baader Bank, Robert Halver, sagt, dass das Grundproblem der Euro-Zone der ständige Verstoß gegen die Stabilitätsregeln sei. Fünf Jahre in Folge hatte auch Deutschland gegen jene Regeln verstoßen und wurde dafür nicht abgestraft. Die Griechenland-Krise sei kein Ausnahmefall, sondern der Höhepunkt dieser allgemeinen Disziplinlosigkeit innerhalb der Euro-Zone.
09.08.2015 00:05
Lesezeit: 3 min

Erinnern Sie sich noch an die Anfänge des Europäischen Gemeinschaftswerks? Die Zustimmung zur Wiedervereinigung machte unser linksrheinischer Nachbar damals davon abhängig, dass in Europa eine gemeinsame Währung geschaffen wird. Nicht zuletzt erhoffte sich Frankreich davon die gleichen günstigen Renditen für Staatsschulden wie Deutschland, um seinen damals schon schuldengeplagten Staatshaushalt zu sanieren und seine Wirtschaft zu stimulieren. Hinzu kam, dass Frankreich von Beginn an eine große Währungsunion haben wollte. Die Absicht dabei war weniger, der Eurozone mehr geopolitisches Gewicht zu verleihen. Primär ging es Frankreich darum, mit möglichst vielen Gesinnungsgenossen des Club Méditerranée ein gehöriges Gegengewicht gegenüber Deutschland, Finnland, den Niederlanden und Österreich zu bilden. Von deren ungeliebter Stabilitätskultur wollte man sich nicht erdrücken lassen.

Unter der Bedingung und im Vertrauen darauf, dass sich die Euro-Politiker strikt für die Verfolgung der eisernen Stabilitätsregeln und bei Zuwiderhandlung ebenso streng für scharfe Sanktionen einsetzen, waren die Nordeuropäer und vor allem Deutschland bereit, ihre harten Währungen bzw. seine geliebte Deutsche Mark aufzugeben. Und die Kinderzeit der Eurozone verlief ja auch zunächst gar nicht schlecht. Insbesondere die südlichen Euro-Länder erfreuten sich aufgrund der gesunkenen Zinsen einer massiven Sonderkonjunktur, insbesondere durch die Immobilienhaussen. Leider haben die Euro-Staaten diese Happy Days nicht für wettbewerbsverbessernde Strukturreformen, sondern für noch mehr Staatsverschuldung genutzt. Dies sollte sich später noch bitter rächen.

2001, 2002, 2003, 2004 und 2005 verstieß aber ausgerechnet Stabilitätsmusterschüler Deutschland gleich fünfmal hintereinander gegen das Neuverschuldungskriterium. Und wurde Deutschland dafür – wie in den Euro-verträgen vorgesehen - bestraft? Nein, denn mit Hilfe von Frankreich, Italien und Griechenland (!) konnte die deutsche Bundesregierung Sanktionen vermeiden. Seitdem hatten diese bei uns stabilitätspolitisch einen gut.

Eigentlich machte damals ein stabilitätspolitisch disziplinloses Deutschland den Regelverstoß hoffähig. Und aus dieser Mücke wurde zügig ein Elefant. Im Jahre 2004 wies das Europäische Amt für Statistik nach, dass die griechischen Angaben zu ihren Haushaltsdefiziten 1997 bis 2000 wie bei Grimms Märchen frei erfunden waren. Tatsächlich lagen sie erheblich über dem Euro-Konvergenzkriterium von „3 Prozent der Wirtschaftsleistung“, was Griechenlands Beitritt in die Eurozone vereitelt hätte. Dennoch wurde das Verfahren gegen den griechischen Schuldenlügner eingestellt. Ebenso „verständnisvoll“ reagierten die Euro-Politiker, als bekannt wurde, dass Athens Haushaltsdefizit für 2009 nicht bei 3,7, sondern mehr als viermal so hoch bei 12,7 Prozent lag. Und schon wieder keine Sanktion.

2010 erhielt Griechenland aufgrund eines ansonsten drohenden Bankrotts ein Rettungspaket über 110 Mrd. Euro, obwohl zwischenstaatliche Kredithilfen in den EU-Verträgen ausdrücklich verboten sind. Und 2012 kam es zu einem mehr oder weniger erzwungenen Schuldenschnitt der privaten Gläubiger Griechenlands, bei dem Banken und Versicherer - und damit auch ihre Kunden - auf etwa 70 Prozent ihrer Forderungen verzichten mussten. Diese insofern künstlich verbesserte Bonität der griechischen Staatsfinanzen war aber Bedingung für die Vergabe eines zweiten Rettungspaktes über 130 Mrd.

In diesem Jahr feiert die stabilitätspolitische Disziplinlosigkeit ihren Höhepunkt. Der griechische Regierungschef spielte mit den Euro-Politikern und EZB-Direktoren Katz und Maus. Obwohl dieser die Reformen seiner Vorgänger rückgängig machte und die Gläubiger gemeinsam mit seinem spielfreudigen Finanzminister wie Gegner im Boxring behandelte, hatten die Gläubigervertreter - allen voran Herr Juncker - nichts Besseres zu tun, als das Matthäus-Evangelium anzuwenden: Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die linke hin.

Zu einem Crash kommt es nicht, denn es fehlen die Zutaten: Die Griechen-Pleite und der Grexit kämen im Vergleich zur damaligen Lehman-Pleite und dem damit verbundenen Beginn der Immobilienkrise nicht über Nacht, sondern mit Ansage. Da zudem die Banken nicht wie damals in Immobilien heute in Griechenland übermäßig investiert sind, ist ebenso eine Bankenkrise 2.0 nicht zu befürchten. Und außerdem sind die Rettungsinstitutionen präsent. Rettungsschirme und EZB sind gewappnet, das Überschwappen des griechischen Krisenvirus auf andere Euro-Länder zu verhindern. Da brennt nichts an. Dieses entspannte Bild vermittelt nicht zuletzt ein stabil gebliebener Euro.

Der Euro scheitert nicht, wenn die Griechen austreten. Denn die Euro-Kette wird nicht schwächer, wenn das schwächste Glied entfernt wird. Nur wenn weiter undisziplinierte Verstöße gegen Stabilitätsregeln geduldet werden, hat die Eurozone längerfristig keine Chance.

Der Grexit täte der Eurozone, ihren Finanzmärkten und auch den Griechen selbst gut.

Robert Halver ist Leiter der Kapitalmarktanalyse der Baader Bank.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Technologie
Technologie KI im Jobmarkt: Die große Lüge von der Objektivität
04.07.2025

Algorithmen sollen neutral entscheiden – doch KI entlarvt sich im Personalbereich als versteckter Türsteher: Diskriminierung,...

DWN
Panorama
Panorama Grillmarkt in der Krise? Holzkohle wird teurer
03.07.2025

Grills verkaufen sich längst nicht mehr von selbst. Nach Jahren des Booms mit Rekordumsätzen schwächelt die Nachfrage. Händler und...

DWN
Finanzen
Finanzen Milliarden für Dänemark – Deutschland geht leer aus
03.07.2025

Dänemark holt 1,7 Milliarden DKK aus Deutschland zurück – ohne die deutsche Seite zu beteiligen. Ein heikler Deal im Skandal um...

DWN
Finanzen
Finanzen Vermögen im Visier: Schweiz plant Enteignung durch Erbschaftssteuer für Superreiche
03.07.2025

Die Schweiz steht vor einem Tabubruch: Kommt die 50-Prozent-Steuer auf große Erbschaften? Die Eidgenossen debattieren über ein riskantes...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Drogeriehandel: Wie dm, Rossmann und Müller den Lebensmittelmarkt verändern
03.07.2025

Drogeriemärkte verkaufen längst nicht mehr nur Shampoo und Zahnpasta. Sie werden für Millionen Deutsche zur Einkaufsquelle für...

DWN
Technologie
Technologie KI-Gesetz: Bundesnetzagentur startet Beratungsservice für Unternehmen
03.07.2025

Die neuen EU-Regeln zur Künstlichen Intelligenz verunsichern viele Firmen. Die Bundesnetzagentur will mit einem Beratungsangebot...

DWN
Panorama
Panorama Sprit ist 40 Cent teurer an der Autobahn
03.07.2025

Tanken an der Autobahn kann teuer werden – und das oft völlig unnötig. Eine aktuelle ADAC-Stichprobe deckt auf, wie groß die...

DWN
Politik
Politik Brüssel kapituliert? Warum die USA bei den Zöllen am längeren Hebel sitzen
03.07.2025

Die EU will bei den anstehenden Zollverhandlungen mit den USA Stärke zeigen – doch hinter den Kulissen bröckelt die Fassade. Experten...