Das syrische Assad-Regime und der IS bekämpfen sich militärisch. Doch wenn es um die Kontrolle der Gasfelder und Elektrizitätswerke des Landes geht, sind sie gleichzeitig zu einem Pakt gezwungen. Der IS kontrolliert mindestens acht Kraftwerke des Landes, darunter drei Wasserkraftwerke und die größte Gasanlage des Landes. Das Regime hingegen verfügt über das benötigte Personal und die Erfahrung für der Instandhaltung der Kraftwerke. Westliche Kritiker werfen der Regierung seit geraumer Zeit vor, mit dem IS geheime Ölabkommen zu schließen. Was zunächst wie ein haltloser Vorwurf erscheint, könnte dennoch zutreffend sein, wenn man die gegenseitige Abhängigkeitsbeziehung des Regimes und des IS betrachtet. Die FT hat sich mit dem Thema vergleichsweise sachlich auseinandergesetzt.
Dabei geht es in erster Linie nicht um finanzielle Vorteile, sondern um die Bereitstellung von Dienstleistungen im Energiesektor. Die Geschäftsabschlüsse zwischen beiden Seiten haben bisher nicht zu einem Waffenstillstand geführt. Die energiepolitischen Mitarbeiter und die Infrastruktur beider Seiten sind durchgehend Ziele für Angriffe. Das Regime nimmt diese Tatsachen als Beweis dafür, dass es keine Vereinbarungen zwischen Damaskus und dem IS, dessen inoffizielle Hauptstadt Rakka ist, gibt. „Im Bereich der Energiepolitik gibt es keine Koordination mit den Terrorgruppen“, meldet das syrische Ministerium für Öl und Rohstoffe in einer Erklärung. Allerdings gibt Damaskus zu, dass einige Mitarbeiter des Ministeriums auch für den IS arbeiten, „um die Sicherheit der Kraftwerke zu gewährleisten“, zitiert die Financial Times das Ministerium.
Die anhaltenden Kämpfe werden von Kritikern als Mittel zum Zweck beurteilt, wonach es lediglich darum gehe, eine bessere energiepolitische Verhandlungsposition zu erringen und die Gegenseite auszustechen. „Betrachten sie es als taktisches Manöver, um den Leverage-Effekt zu verbessern (…) Das sind Verhandlungen nach Vorbild der Chicagoer Mafia der 1920er Jahre. Man kämpft und tötet, um den Deal zu beeinflussen, aber der Deal platzt nicht“, sagte ein anonymer syrischer Energieunternehmer der FT.
Die beiden Seiten teilen den Strom, der aus Methan (Trockengas) erzeugt wird. Der IS hingegen erhält die Kraftstoffprodukte, die in den Werken verarbeitet werden. Die Mitarbeiter am Öl- und Gasfeld von Tuweinan sagen, dass sie das erwirtschaftete Gas an das Wärmekraftwerk in Aleppo liefern, das wiederum vom IS kontrolliert wird. Gemäß des sogenannten Tuweinan-Deals erhält der IS 70 Megawatt und das Regime 50 Megawatt Elektrizität pro Tag.
Die Anzahl der Mitarbeiter am Gasfeld ist im Verlauf des Bürgerkriegs von 1.500 auf 300 zurückgegangen, weil viele geflohen sind. Die Befürworter des Regimes sind sich einig darüber, dass Deals mit dem IS notwendig seien, um die elektrische Versorgung des Landes zu garantieren. In diesem Zusammenhang geht es um eine „nötige Komplizenschaft“. Ein weiterer syrischer Öl-Unternehmer, der mit dem Regime kooperiert, sagte den Financial Times: „Vorher haben wir mit der Jabhat al-Nusra oder der Islamischen Front zusammengearbeitet. Heute sind es die Vertreter des IS.“
Während die Arbeiter in Tuweinan schlecht bezahlt werden, geht es den Arbeitern des Öl- und Gasfelds „Conoco“, das ebenfalls vom IS kontrolliert wird, wesentlich besser. Dort befinden sich die größten Gasvorkommen des Landes. Der „Emir“, also der Verantwortliche und Chef, des Gasfelds ist der Saudi-Araber Abu Abdulrahman al-Jazrawi. Er ist ein Energiespezialist, führt technische Fortbildungen für seine Mitarbeiter durch und gibt jedem einzelnen Mitarbeiter – zusätzlich zum Lohn – monatlich ein Barrel Öl. Ein Barrel kann auf dem Schwarzmarkt für 100 Dollar verkauft werden. Aktuell verkauft der IS täglich 40.000 Barrel Öl und macht einen täglichen Umsatz von einer Million Dollar. Die gesamte Region und insbesondere der Schwarzmarkt sind auf die Lieferungen der Terror-Miliz angewiesen. Es ist eine regelrechte inoffizielle „Erdöl-Nation“ entstanden.