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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Versäumnisse hat die Bundesregierung in Bezug auf die Renten gemacht?
Oliver Holtemöller: Man muss zuerst zwei Ebenen unterscheiden: Welche Leistung wird angehoben oder gesenkt – das ist eine politische Entscheidung – und, wie finanziert man das – das ist eine wirtschaftliche Entscheidung. Die beschlossene Rentenausweitung, also die abschlagfreie Rente ab 63 sowie die Mütterrente, waren politische Entscheidungen. Der Fehler ist hier, dass für die Mehrkosten die Beitragszahler der Gesetzlichen Rentenversicherung aufkommen müssen. Auf diese Weise findet eine Umverteilung innerhalb der Gruppe der gesetzlich Versicherten statt. Nehmen wir als Beispiel die Rente mit 63, auf die Anspruch hat, wer 45 Jahre Beitragszahler war. Diese Rentner haben ohnehin relative hohe Renten aufgrund der vielen Beitragsjahre. Finanziert wird diese Begünstigung durch einen geringeren durchschnittlichen Rentenanstieg, also von allen Rentnern – auch von solchen mit sehr geringen Renten.
Wer also Rentenleistungen anheben möchte, sollte auch offenlegen, wie und durch wen sie finanziert werden sollen. Dabei muss man auch berücksichtigen, dass zum Beispiel eine Absenkung des Renteneintrittsalters negative Effekte auf das Verhältnis von Rentenempfängern zu Beitragszahlern hat.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Maßnahmen können getroffen werden, um die Renten abzusichern?
Oliver Holtemöller: Die eleganteste Lösung ist die Anhebung der Lebensarbeitszeit. Wir werden alle älter und es gibt immer weniger Kinder. Diese Zahlen werden sich nicht sprunghaft ändern. Es müssen drei Fragen geklärt werden: Wie hoch soll die Rente sein, wie lange soll die Rente ausgezahlt werden und wie hoch sollen die Beiträge sein. Das sind allesamt politische Fragen. Mit Leistungsausweitungen findet eine Umverteilung von den Arbeitenden zu den Rentnern statt. Wenn das der politische Wille ist, soll man den transparent machen.
Mit den drei Parametern lässt es sich dann relativ einfach rechnen: Aktuell beträgt die Durchschnittsrente gut 47 Prozent des Durchschnittlohns, und der Rentenversicherungsbeitrag beläuft sich auf 18,7 Prozent. Es ist vorgesehen, die Durchschnittsrente bis zum Jahr 2030 auf etwa 44 Prozent abzusenken, um den demografiebedingten Anstieg der Beiträge abzumildern; gerechnet wird hier mit gut 21 Prozent Beitrag im Jahr 2030. Wenn die Rente auf 47 Prozent des Durchschnittlohns bleiben soll, wie jüngst von der SPD gefordert, werden die Beiträge auf um die 25 Prozent steigen müssen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie wirkt sich der demografische Wandel in dieser Berechnung aus?
Oliver Holtemöller: Ab 2030 – bis dahin gehen die gängigen Berechnungen – wird es noch schlimmer. Als Berechnungsgrundlage kann man die Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes bis 2060 heranziehen. Durch den demografischen Wandel ergeben sich folgende Beiträge: Wenn das Rentenniveau auf 44 Prozent gesenkt wird, dann werden etwa 30 Prozent Beiträge fällig, bei einem konstanten Rentenniveau 35 Prozent und sollten die Renten steigen, werden um die 40 Prozent des Lohns in die Rentenversicherung gehen müssen. Das ist dann natürlich nicht mehr machbar.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Auf wie viele Jahre sollte das Rentenalter angehoben werden?
Oliver Holtemöller: Das kann ich so pauschal nicht sagen. Die Menschen werden älter und viele wollen länger arbeiten. Das geht natürlich nicht in allen Berufen, da muss man Regelungen finden, aber an einer Anhebung des durchschnittlichen Rentenalters führt kein Weg vorbei.
Viele Rentner erhalten auch heute schon zu wenig ausbezahlt, um damit über die Runden zu kommen. Dagegen hilft nur eines: Qualifikation. Nur wer vernünftige Löhne erhält, kann auch genügend in die Rentenkassen einzahlen. Daher ist eine gute Ausbildung der sicherste Weg, um später einmal seinen Lebensstandard halten zu können. Hier muss man bereits im frühkindlichen Bereich anfangen, doch kein Politiker nimmt sich dieses Themas an, weil es einfach zu langwierig ist.
Oliver Holtemöller ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Mitglied des Vorstands und Leiter der Abteilung Makroökonomik am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle.