Politik

Merkel zweifelt erstmals an der Einheit der EU

Bundeskanzlerin Merkel spricht erstmals sehr deutlich vom Europa der zwei Geschwindigkeiten. Dies würde die Aufgabe des Versuchs bedeuten, die EU zu einer einheitlichen Konföderation zu entwickeln.
04.02.2017 00:56
Lesezeit: 2 min

Bundeskanzlerin Angela Merkel zweifelt erstmals an der Einheit der EU - wenngleich solche Zweifel im Diplomatendeutsch naturgemäß in abstrakte Floskeln gekleidet werden, um die Bürger nicht allzusehr zu erschrecken. So berichtet Reuters, Merkel habe gesagt, die EU werde sich "in den nächsten Jahren noch stärker in eine Union mit unterschiedlichen Integrationsstufen entwickeln". Die Geschichte der letzten Jahre habe gezeigt, "dass es auch eine EU mit verschiedenen Geschwindigkeiten geben wird, dass nicht alle immer an den gleichen Integrationsstufen teilnehmen werden", sagte Merkel am Freitagabend im maltesischen Valletta nach einer Beratung der 27 EU-Regierungen ohne Großbritannien.

Tatsächlich bedeutet das Eingeständnis, dass nicht alle die zentralen Integrationsstufen mitgehen wollen, dass die Idee eine vereinten Europas unter dem Dach der EU aktuell nicht mehr umzusetzen ist. Denn "unterschiedliche Integrationsstufen" würden den heute schon kaum noch steuerbaren Kompetenz-Dschungel in der EU vollends überfordern.

"Hier geht es mehr oder weniger um einen Zeitraum von zehn Jahren, wo wir sagen wollen, wie und in welche Richtung wird das gehen", sagte Merkel. "Es war heute ein Geist der Gemeinsamkeit, der sich stark auf die Zukunft ausgerichtet hat", sagte Merkel, ohne nähre zu spezifizieren, wie tragfähig dieser Geist in konkreten politischen Entscheidungen sein würde.

Hintergrund sind sehr unterschiedliche Zielsetzungen der 27 Regierungen für die Zukunft der EU. Die polnische Regierung etwa pocht auf eine Konzentration der EU auf wenige Themen wie Verteidigung. Belgien, Luxemburg, aber auch Deutschland und Frankreich fordern dagegen eine generell wesentlich tiefere Integration zumindest der 19 Euro-Länder auch in der Wirtschafts- und Steuerpolitik - allerdings mit völlig gegensätzlichen Erwartungen.

Merkel spielt bei ihrer Diagnose offenbar darauf an, dass es "bereits heute mit dem Euro und der Schengen-Zone Politikbereiche gibt, der nicht alle EU-Mitgliedstaaten angehören", wie Reuters analysiert.

Doch genau hier liegt das Problem: Der Euro kann nicht ohne eine Wirtschafts- und Transferunion funktionieren. Die Schengen-Zone ist nach der Flüchtlingskrise faktisch außer Kraft gesetzt worden. Die Osteuropäer haben Merkel nach der Grenzöffnung geschlossen die Gefolgschaft verweigert.

Bisher hatte Merkel noch nie so explizit vom Europa der zwei Geschwindigkeiten gesprochen. Die Idee entstammt eher dem Repertoire von Wolfgang Schäuble, der jedoch keine Union mit den Italienern will.

Zuletzt hatte Vizekanzler Gabriel die zwei Geschwindigkeiten ins Gespräch gebracht.

US-Präsident Donald Trump hatte gesagt, die EU sei nichts anderes als eine Exportfördermaschine für Deutschland. Die Briten haben am Donnerstag ihr Austrittsprogramm vorgelegt. Dieses dürfte für viele EU-Staaten interessant sein - weil sie die Gelegenheit nutzen werden, ihre Zustimmung zu einem Deal mit eigenen, bilateralen Forderungen zu verbinden.

Merkels Vorstoß könnte auf den Versuch hindeuten, dass Deutschland vor allem den Euro retten will, wenn die EU tatsächlich noch weiter auseinanderdriftet. Wegen der bekannten Divergenzen dürfte schon diese ein ausgesprochen ambitioniertes Unterfangen werden. Die Entwicklung bei den Staatsanleihen zeigt, dass auch die Spekulanten damit beginnen, sich zu positionieren - und eine Entscheidung über die Zukunft der EU erwarten.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft USA dominieren globalen Pharmamarkt: Milliardenschwere Investition von Pharmariese Novartis - Exodus für Europa?
14.04.2025

Amerika gewinnt, Europa verliert: Die USA werden zunehmend zum globalen Zentrum pharmazeutischer Produktion. Der Schweizer Pharmakonzern...

DWN
Politik
Politik Migrationspolitik: Drei Flieger aus Afghanistan noch im April - Sachsens Innenminister gegen Baerbocks Aufnahmeprogramm
14.04.2025

Die weitere Aufnahme von Afghanen sorgt bei Sachsens Innenminister Armin Schuster für große Empörung: „Dass Außenministerin Annalena...

DWN
Finanzen
Finanzen Analyse zu Trumps Handelspolitik: Nach China wird die Federal Reserve Trumps nächster Kampfplatz
14.04.2025

Nach der Handelskonfrontation mit China könnte Donald Trump nun in einen gefährlichen Konflikt mit der Federal Reserve treten. Alan Dunne...

DWN
Politik
Politik Nach Sumy-Angriff: Liefert Merz Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine? EU begrüßt Offenheit
14.04.2025

In der Opposition war Merz offen für eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Als voraussichtlicher Kanzler ist er das...

DWN
Finanzen
Finanzen Chefstrategin rät zur Diversifizierung - wie sich Anleger in unsicheren Zeiten gezielt schützen
14.04.2025

Die Finanzmärkte stehen vor großen Herausforderungen. Die Zukunft der US-Wirtschaft, die Entwicklung des Technologiesektors und die Frage...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Insolvenzwelle bei Pflegeheimen: 1264 Pflegeeinrichtungen insolvent oder geschlossen
14.04.2025

Nach ausbleibender Pflegereform: In Deutschland geraten immer mehr Pflegeheime und -dienste in finanzielle Not. Und das Heimsterben geht...

DWN
Finanzen
Finanzen Inflation in der Eurozone sinkt: Plant die EZB die nächste Zinssenkung?
14.04.2025

Die Inflation in der Eurozone ist im März erneut gesunken. Laut aktuellen Daten liegt die Teuerungsrate nun bei 2,2 Prozent, was einen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EU will Lieferkettengesetz aufweichen: Was das für Unternehmen bedeutet
14.04.2025

Die EU will auf Druck aus der Wirtschaft die Berichtspflichten für Unternehmen lockern und das bestehende Lieferkettengesetz aufweichen...