Politik

Bundestag beschließt im Eilverfahren Spionage auf private Computer

Ab sofort können deutsche Strafermittler private Computer mit einer Spionagesoftware angreifen.
23.06.2017 01:10
Lesezeit: 3 min

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Der Bundestag hat im Eilverfahren beschlossen, dass die Behörden künftig heimlich Spionage-Software auf Computer installieren dürfen, um Verdächtige auszuforschen. Mit dem Gesetz wird die Online-Durchsuchung von Computern ausgeweitet, die bisher nur in begrenztem Umfang zur Terrorbekämpfung zulässig ist.

Das Gesetz wurde bewusst in einem anderen, scheinbar harmlosen Gesetz über Fahrverbote versteckt. Bis vor drei Tagen war die massive Überwachung nicht in dem Gesetz enthalten. Am 9. März war das Gesetz noch in dieser Fassung diskutiert worden.

Außerdem wurde mit dem Gesetz die Möglichkeit zur Überwachung von Messenger-Diensten auf Smartphones verabschiedet. Die am Donnerstag mit den Stimmen der Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD gebilligte Neuregelung sieht vor, dass die Kommunikation bei Diensten wie WhatsApp künftig vor der Verschlüsselung abgehört oder mitgelesen werden kann. Dazu dürfen Ermittler auf Grundlage eines richterlichen Beschlusses heimlich eine Spionage-Software auf das Handy des Verdächtigen laden.

"Wir beobachten immer öfter, dass Kriminelle verschlüsselt kommunizieren. Für die Behörden wird es dadurch immer schwerer, auch schwerste Straftaten aufzuklären", erklärte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Der Bundestag habe nun endlich eine "Befugnislücke" bei der Strafverfolgung geschlossen. "Verschlüsselung schützt zu Recht die Vertraulichkeit der Kommunikation. Verschlüsselung ist aber kein Freibrief für Verbrecher."

Diese Argumente kann der Rechtsexperte der SZ, Heribert Prantl, nicht nachvollziehen und sieht in dem Gesetz einen Angriff auf die Grundrechte.

Der Branchenverband Bitkom kritisiert das Gesetz scharf.

Linkspartei und Grüne lehnten die Neuregelung als massiven Eingriff in die Bürgerrechte ab. Sei die Schnüffelsoftware einmal installiert, könne die Reichweite der Überwachung kaum kontrolliert werden. Das Gesetz habe ein "Anwendungsfeld, das seines gleichen sucht", kritisierte der Linken-Politiker Jörn Wunderlich in der Bundestagsdebatte.

Den Grünen geht das Gesetz der großen Koalition zur Überwachung von Messenger-Diensten zu weit. Zwar sei es richtig, „darüber nachzudenken, was man noch machen kann, um Terrorismus zu bekämpfen“, sagte der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele der Nachrichtenagentur AFP am Donnerstag in Berlin, „hier wird aber eine sehr weitgehende Regelung geschaffen, die in viele Bereiche des Strafgesetzbuches hineinreicht.“

Auch Delikte wie Mord und Totschlag oder der Besitz größerer Mengen an Betäubungsmitteln würden erfasst, sagte Ströbele. „Und das alles unter dem Etikett der Terrorismusbekämpfung.“ Ströbele verwies darauf, dass die Überwachung nur ausgeschlossen werden soll, wenn allein der Kernbereich der privaten Lebensführung betroffen ist.

Das Bundesverfassungsgericht nenne für die Überwachung eine ganze Reihe von Einschränkungen, die im jetzigen Gesetz nicht erfüllt seien, kritisierte Ströbele weiter. „Dazu gehört, dass definiert sein muss, was der Trojaner kann, und dass er nach einem Monat vollständig entfernt wird.“ Nach Ströbeles Ansicht wird die Neuregelung bald in Karlsruhe verhandelt werden: „Es wird nicht lange dauern, bis das vor dem Bundesverfassungsgericht landet.“

Ströbele kritisiert zudem, dass die Koalition die umstrittene Neuregelung als Änderungsantrag zu einem ganz anderen Gesetz eingebracht hat. „Sowas Wichtiges hätte man extra machen sollen“, forderte der scheidende Bundestagsabgeordnete, der nicht mehr für das Parlament kandidiert. „Es hätte eine ausführliche Debatte geben müssen.“

Die Neuregelung findet sich als Änderungsantrag im Gesetz zu „effektiveren und praxistauglicheren Strafverfahren“.

Die Linke hat der Bundesregierung vorgeworfen, den Entwurf zur Überwachung von Messenger-Diensten im Änderungsantrag für ein anderes Gesetz zu verstecken. „Wer die Grundrechte der Bevölkerung in einem solchen Maß angreift, sollte sich auch mindestens öffentlich dazu verhalten und eine gesellschaftliche Debatte zulassen“, sagte Linken-Fraktionsvize Jan Korte der Nachrichtenagentur AFP am Donnerstag in Berlin.

Korte kritisierte das geplante Gesetz als „verfassungsrechtlich extrem fragwürdige Regelung zum Staatshacking“.

Die Datenschutzbeauftragten weisen auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts hin, bei dem die Anforderungen an Überwachungsmaßnahmen konkretisiert und außerordentlich hoch angesetzt werden: „Die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems, mittels derer die Nutzung des Systems überwacht und seine Speichermedien ausgelesen werden können, ist verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen. Überragend wichtig sind Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt“, heißt es dort.

Der Präsident des Deutschen Anwaltsvereins (DAV) kritisiert das Gesetz scharf. Der Entwurf geht in seiner Bedeutung damit weit über die bisher im Entwurf enthaltenen Regelungen hinaus und dürfte an Eingriffstiefe und Konsequenzen den „großen Lauschangriff“ deutlich überbieten. „Angesichts dieser Eingriffstiefe ist bereits das von der Bundesregierung und den Regierungsparteien gewählte Verfahren eines nachträglich eingebrachten Änderungsantrags verfassungsrechtlich äußerst bedenklich. Gesetzesvorschläge, die derartig gravierende Grundrechtseingriffe mit sich bringen, dürfen nicht den Eindruck erwecken, dass sie versteckt in einem Änderungsantrag eingebracht werden, um ohne Diskussion und mit großer Eile durchgesetzt zu werden.“, so DAV-Präsident Rechtsanwalt und Notar Ulrich Schellenberg.

Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hält die Ausnutzung von Schwachstellen in der Software von Nachrichtenanwendungen für höchst bedenklich: „Statt diese Sicherheitslücken zu beseitigen, nutzen sie Geheimdienste und Polizeibehörden für Überwachungsmaßnahmen. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass dieselben Schwachstellen auch für kriminelle Zwecke weiterhin verwendet werden. Das spektakulärste Beispiel für hierfür ist die Infiltration zehntausender Computersysteme mit dem Erpressungstrojaner WannaCry, der eine Schwachstelle verwendete, die amerikanischen Geheimdiensten seit langem bekannt war.“

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