Politik

Italien will 200.000 Migranten mit Not-Visa nach Norden schicken

Italien überlegt die Ausstellung von Visa für 200.000 Migranten, damit sie nach Nord-Europa reisen können.
15.07.2017 12:55
Lesezeit: 3 min

Führende italienische Regierungsmitglieder drohen den EU-Staaten in Nordeuropa, für 200.000 Migranten Reise-Dokumente auszustellen. Diese sollen es den Migranten ermöglichen, in andere EU-Staaten auszureisen. Wie die Times of London berichtet, will die italienische Regierung für diese Maßnahme eine wenig bekannte EU-Richtlinie ausnutzen. Italien kämpft mit den Folgen einer massiven Migrationsbewegung aus Nordafrika und hat in den vergangenen Jahren vergeblich versucht, ein solidarisches Verhalten der anderen EU-Staaten zu erreichen.

Paolo Gentiloni, der Ministerpräsident, ist der Times zufolge wütend, dass der Rest Europas sich weigerte, seinen fairen Anteil an Migranten aufzunehmen. So hätten andere Staaten ihre Häfen geschlossen, nachdem die Zahl der aus Libyen kommenden Migranten in den vergangenen Monaten signifikant gestiegen sei.

Mario Giro, der stellvertretende Außenminister, und Luigi Manconi, ein Senator mit der regierenden Demokratischen Partei (PD), sagten der Times, dass den Migranten vorläufige Visa ausgestellt werden könnten. Sie könnten dann in alle anderen EU-Staaten weiterreisen. Giro und andere Vertreter der PD wollen, dass Italien die Richtlinie 2001/55 des Europäischen Rates anwendet. Diese Richtlinie war nach dem Balkan-Konflikt entworfen worden, um eine vorläufige europäische Einreisegenehmigung für eine große Anzahl von Vertriebenen zu ermöglichen.

Die Richtlinie 55 wurde ausgearbeitet, um den EU-Staaten „außergewöhnliche“ Maßnahmen anzubieten, um den Vertriebenen in Europa einen sofortigen vorübergehenden Schutz zu bieten. Giro räumte ein, dass die Umsetzung der Richtlinie die Zustimmung der anderen EU-Staaten erfordern dürfte und daher die Inkraftsetzung schwierige werden könnte. Daher hätten die Beamten auch eine zweite Option ins Auge gefasst, die zuletzt verwendet wurde, als Silvio Berlusconi Ministerpräsident zu Beginn des Arabischen Frühlings war.

Im Jahr 2011 rief Italien Artikel 20 seines so genannten Bossi-Fini-Gesetzes an, das es erlaubte, vorübergehend „humanitäre“ Visa an Tausende von Tunesiern zu übergeben, die während des Arabischen Frühlings nach Italien kamen. Das Gesetz ermöglichte den Tunesiern, direkt nach Frankreich zu reisen.

Dieser Schritt würde im Schengen-System dazu führen, dass alle Visa-Inhaber frei durch Europa reisen könnten. Die Maßnahme würde auch einen diplomatischen Konflikt mit Frankreich und Österreich verursachen. Die beiden Länder haben Hunde und die Drohung von gepanzerten Fahrzeugen benutzt, um Migranten zurückzudrängen, die versuchen, über Italien nach Norden zu gelangen. Giro sagte der Times: „Wir würden lieber keine einseitige Methoden verwenden, denn der daraus resultierende Streit könnte den Schengen-Vertrag zerstören.“

Mattia Toaldo, vom European Council on Foreign Relations, sagte der Times: "Wenn Migranten weiterhin ankommen und Italien beschließt, ihnen Papiere zu geben, um Grenzen zu überschreiten und Italien zu verlassen, wäre es die nukleare Option. Die Italiener haben jede Hoffnung verloren, Hilfe aus der EU zu bekommen und können sagen: ,Wenn Sie es nicht zu einer gemeinsamen Herausforderung machen werden, werden wir.‘"

Manconi sagte der Times: „Wenn wir die Migranten weiterreisen lassen, sobald sie nach Italien kommen, würde das für unsere EU-Nachbarn ein echtes Problem schaffen. Aber ich hoffe, dass dieser Schritt Frankreich zwingen würde, sich dem Migrantenproblem zu stellen.“ Die Italiener sind besonders verärgert über Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der erklärt hatte, dass Frankreich keine "Wirtschaftsflüchtlinge" annehme. Italien betreibt ein Flüchtlingslager in Ventimiglia an der Grenze zu Frankreich. Frankreich schickt laufend Migranten dorthin, die auf französischen Straßen aufgegriffen wurden. Zahlreiche Migranten und Flüchtlinge sind dabei zu Tode gekommen. Erst vor wenigen Tagen wurde ein 23-jähriger Mann aus Gambia von einem Lastwagen überfahren. Die Times schreibt, der Mann könnte absichtlich getötet worden sein.

Die Times schreibt, der Plan wäre auch eine Rache Roms, weil Italien von Brüssel gezwungen worden war, so genannte Hotspot-Zentren für Migranten zu eröffnen und zu betreiben. Im Gegenzug sollten andere EU-Staaten eine Quote von Migranten akzeptieren – doch dieser Teil der Vereinbarung wurde bisher nicht erfüllt, weil sich viele EU-Staaten weigern, Migranten aufnehmen.

Mehr als 86.000 Migranten sind in diesem Jahr allein in Italien gekommen - eine Zunahme um zehn Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Insgesamt hat die Zahl der Migranten in den Haftzentren in ganz Italien fast 200.000 Menschen erreicht. Die Kapazität der Lager ist ausgeschöpft. Giro: „Die EU will, dass Italien Migranten monatelang in Hotspots hält und ein Auffangland für Ankünfte ist, was inakzeptabel ist.“

Zwar hat die italienische Regierung den EU-Richtlinienplan noch nicht verabschiedet. Doch allein die Drohung mit der Entsendung von hunderttausenden Migranten nach Norden dürfte, so die Times, einen ähnlichen Effekt erzeugen wie die Drohungen der Türkei, den Flüchtlingspakt aufzukündigen. Die EU beeilte sich damals, die von der Türkei geforderten Milliarden-Zahlungen auf den Weg zu bringen.

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