Trotz Liquiditätsspritzen in Billionenhöhe bleibt der von der Europäischen Zentralbank (EZB) angestrebte Preisauftrieb aus, berichtet Reuters. Die Inflationsrate legte im Juli nur um 1,3 Prozent zum Vorjahresmonat zu, wie das Statistikamt Eurostat am Montag in einer ersten Schätzung mitteilte. Damit war der Anstieg genauso niedrig wie im Vormonat. Was viele Verbraucher freut, bereitet der EZB Kopfschmerzen. Sie peilt eine für die Konjunktur als angeblich ideal erachtete Rate von knapp zwei Prozent an, verfehlt dieses Ziel aber seit Jahren.
Die EZB hat die Zinsen bereits auf Null gedrückt und pumpt jeden Monat Milliarden an aus dem Nichts geschaffenen Euro über Wertpapierkäufe in die Wirtschaft, um die Konjunktur anzuschieben und die Preise nach oben zu treiben. Angesichts der mittlerweile besser laufenden Konjunktur hat EZB-Präsident Mario Draghi allerdings unlängst eine Debatte im Rat der Notenbank über die Zukunft der Käufe für den Herbst in Aussicht gestellt. „Dabei dürfte es der EZB zumindest etwas Trost spenden, dass die sogenannte Kerninflation überraschend anzieht“, sagte Ökonom Daniele Antonucci von der Investmentbank Morgan Stanley.
Diese Kennzahl wird ohne die schwankungsanfälligen Preise für Nahrungsmittel und Energie berechnet und ist zuletzt verstärkt ins Blickfeld der EZB gerückt. Sie stieg im Juli um einen Tick auf 1,3 Prozent. Dies Schwäche der Kernrate ist aus Sicht der Zentralbank besonders problematisch, weil die Kernrate von einigen Beobachtern als einigermaßen zuverlässiger Indikator verstanden wird, der nicht von den dominanten Energiepreisen verzerrt wird.
Draghi räumte nach der jüngsten Zinssitzung ein, dass weiterhin „ein sehr substanzielles Maß“ an konjunkturstützender Geldpolitik nötig sei. Die Gesamt-Inflationsrate dürfte aus seiner Sicht noch einige Monate auf dem aktuellen Niveau verharren. EZB-Beobachterin Ulrike Kastens vom Bankhaus Sal. Oppenheim rechnet mit Raten zwischen 1,2 und 1,5 Prozent: „Eine Beschleunigung ist noch nicht in Sicht.“
Energie verteuerte sich im Juli mit 2,2 Prozent zwar etwas stärker. Doch unverarbeitete Lebensmittel wie Obst und Frischgemüse kosteten nur 0,6 Prozent mehr. Im Juni war der Anstieg hier mit 1,0 Prozent noch deutlich kräftiger ausgefallen. Bei Dienstleistungen betrug der Preisaufschlag 1,5 Prozent und damit etwas weniger als zuletzt.
Die EZB sollte aus Sicht der deutschen Direktorin Sabine Lautenschläger trotz der gedämpften Inflationsentwicklung beizeiten Vorkehrungen für eine Abkehr von der seit Jahren expansiven Geldpolitik treffen. EZB-Ratsmitglieder peilen Insidern zufolge derzeit die Zinssitzung im Oktober als wahrscheinlichsten Termin für eine Entscheidung über die Zukunft der Anleihekäufe an. Die Option, über ein Herunterfahren des Programms erst im Dezember zu entscheiden, erscheine ihnen als zu spät, erfuhr Reuters jüngst von Personen, die mit der Debatte vertraut sind.
Mit dem Ankauf von Anleihen der Euro-Staaten versucht die EZB, frisches Geld in den Bankenkreislauf zu bringen. Der Hauptzweck dürfte jedoch darin liegen, Marktteilnehmern wie Investmentfonds und Banken zu signalisieren, dass sie guten Gewissens Staatsanleihen von hochverschuldeten Ländern kaufen können, weil die Zentralbank als Garant für eine Abnahme der Papiere im Notfall bereitsteht. Das Programm hat dazu geführt, dass die Finanzierungskosten für Staaten wie Portugal, Spanien und Italien derzeit vergleichsweise niedrig sind.
Die EZB hat mit den besonders in Deutschland umstrittenen Anleihekäufen inzwischen die Schwelle von zwei Billionen Euro geknackt. Bis zum 28. Juli haben die Währungshüter Staats- und Firmenanleihen sowie andere Wertpapiere im Volumen von insgesamt 2,01 Billionen Euro in ihre Bücher genommen, wie die EZB am Montag in Frankfurt mitteilte. Die Währungshüter erwerben seit März 2015 in großem Stil Staatsanleihen und andere Schuldenpapiere. Die Käufe sollen noch bis mindestens Ende Dezember fortgesetzt werden und dann eine Größenordnung von 2,28 Billionen Euro erreichen.