Wirtschaft

Abwanderung Arbeitsmarkt: Polnische Fachkräfte verlassen Deutschland

Jahrzehntelang hat die Bundesrepublik polnische Staatsbürger angezogen – doch jetzt kehren immer Polen Deutschland den Rücken. Mögliche Gründe für die Abwanderung: Die kriselnde Wirtschaft und die fehlende innere Sicherheit. Polen hingegen lockt mit Wirtschaftswachstum, schlankerer Verwaltung und niedrigeren Abgaben. Was das für Deutschlands Baustellen bedeutet.
19.08.2025 05:55
Lesezeit: 6 min
Abwanderung Arbeitsmarkt: Polnische Fachkräfte verlassen Deutschland
Ergebnis der deutschen Wirtschaftskrise: Erstmals seit 25 Jahren gehen mehr Polen zurück, als nach Deutschland kommen. Dafür ziehen mehr Deutsche nach Polen. (Foto: dpa) Foto: Patrick Pleul

Die neuesten Migrationszahlen des Statistischen Bundesamts offenbaren, was viele schon längst spüren. Deutschland verliert an Attraktivität für Menschen, die sich durch Arbeit ihren Lebensunterhalt selbst verdienen wollen. Zum ersten Mal seit Jahren ist die Migrationsbilanz gegenüber Polen negativ. Immer mehr Polen nach Polen kehren in ihr Land zurück.

Mehr Polen verlassen Deutschland als einwandern – erstmals seit 25 Jahren!

Seit Beginn der 1980er-Jahre hatte Deutschland ein kontinuierliches Zuwanderungsplus aus Polen zu verzeichnen. In der Regel kamen pro Jahr mehrere Zehntausend Menschen mehr aus Polen nach Deutschland als andersherum. Das hat sich jetzt erst verändert und umgekehrt: Erstmals in 25 Jahren sind mehr Menschen aus Deutschland nach Polen ausgewandert, als neue hinzugezogen. Das zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2024. Insgesamt zeigt die Wanderungsstatistik 95.107 Fortzüge bei 83.868 Zuzügen. Unter polnischen Staatsbürgern fällt der negative Saldo mit 88.388 zu 76.320 Wanderungen sogar noch etwas drastischer aus. Somit ergibt sich ein Defizit von 11.239 Personen.

Unter polnischen Staatsbürgern sind es 12.068 – die Gründe dafür gehen offenbar vor allem auf die wirtschaftliche Lage in Deutschland zurück. Das deutet sich auch in den Zahlen für die Wanderung deutscher Staatsbürger an: Insgesamt zogen 2.514 Deutsche mehr nach Polen, als vom Nachbarland in die Bundesrepublik.

Abwanderung kehrt sich um: Mehr Deutsche ziehen nach Polen

Das bedeutet, dass die Migrationsbilanz erstmals in diesem Jahrhundert negativ ist. Dies ist deutlich in der folgenden Grafik zu erkennen. Am nächsten an einer negativen Bilanz war es in den Jahren 2008–2009 zur weltweiten Wirtschaftskrise. Doch selbst damals verließen mehr Menschen Polen, als sich entschieden, in die andere Richtung umzuziehen.

Wie dramatisch die Lage ist, zeigt sich auch anhand der Wanderungszahlen im EU-Kontext: Erstmals seit der Finanzkrise sind 2024 wieder mehr Menschen aus Deutschland in andere Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gezogen, hier weist die Bundesrepublik ein Defizit von 34.000 Fortzügen auf.

Aber besonders die Differenz bei polnischen Staatsbürgern ist ein eindeutiges Signal, vor allem für die deutsche Wirtschaft. Polnische Arbeiter sind oft essenziell für die Baubranche, seit Jahren helfen sie auf Baustellen aus – auch, weil Deutschland lange Zeit als wirtschaftlich attraktives Land galt. Doch diese Zeit ist offenbar vorbei.

Polnische Fachkräfte verlassen deutschen Arbeitsmarkt

Gegenüber dem polnischen Business Insider deutete der stellvertretende Direktor des Polskiego Instytutu Ekonomicznego (Polnisches Wirtschaftsinstitut), Andrzej Kubisiak an, dass die nunmehr seit fast drei Jahren anhaltende Rezession in Deutschland und die spätestens seit der Corona-Pandemie stagnierende Wirtschaft ein ausschlaggebender Faktor für diese Entwicklungen sind.

Währenddessen wächst die polnische Wirtschaft weiter, seit den 1990er Jahren holt das deutsche Nachbarland kontinuierlich auf und konnte auch nach dem globalen Einsturz im Jahr 2020 wieder 2,8 Prozent Wirtschaftswachstum im Jahr 2024 verzeichnen. Zudem steckt Polen aktuell in keiner Rezession, sondern wächst kräftig weiter. Und noch ein weiterer Vergleich zeigt die Stärke des Landes: Die Bürger in Polen fühlen sich sicher, die Kriminalitätsraten fallen im Vergleich mit Deutschland geringer aus.

Laut Andrzej Kubisiak, handelt es sich nicht nur um eine Entwicklung im Verhältnis zwischen Polen und Deutschland, sondern auch im Kontext anderer Länder in der Region. „Auch die Daten für Rumänien und Bulgarien zeigen, dass die Migrationsbilanz aus der Perspektive Deutschlands zum ersten Mal seit Jahren negativ ist“, argumentiert er.

Polen wandern aus Deutschland aus – das sind die Gründe

„Wir können spekulieren, dass es an der deutschen Wirtschaft liegt, die seit 6-7 Jahren stagniert und seit der Corona-Pandemie und der Energiekrise Probleme hat, wieder auf den richtigen Kurs zu kommen. Es ist schließlich eine Wirtschaft, die in den letzten zwei Jahren eine Rezession erlebt hat“, sagt Andrzej Kubisiak im Interview mit Polenjournal.de.

Die neue deutsche Regierung hat zwar große öffentliche Investitionen als Impuls angekündigt, aber es wird sicherlich einige Zeit dauern, bis deren Auswirkungen spürbar werden. „Das Leben in Deutschland ist nicht mehr so attraktiv wie früher. Die Infrastruktur könnte eine Modernisierung vertragen, während die Länder östlich der Oder begonnen haben, aufzuholen, sodass dort vieles noch relativ neu ist“, fügt der Experte hinzu.

Polen holt auf, nicht nur im Vergleich zu Deutschland

Was Polen betrifft, spielen auch die guten Arbeitsmarktdaten eine Rolle. „In den letzten Jahren haben sich die Beschäftigungsbedingungen nominal verbessert, die Löhne sind so schnell gestiegen wie seit dem EU-Beitritt nicht mehr. Diese Einkommenslücke nach dem Kaufkraftparitätsmaßstab beginnt sich einfach zu verringern. Noch im Jahr 2004 lag das BIP pro Kopf in Polen im Vergleich zu Deutschland bei 42 %, und im Jahr 2024 liegt es bereits bei fast 70 %“, erklärt Kubisiak. „Polen holt nicht nur zu Deutschland auf, sondern auch zu Japan oder der Schweiz. Darauf hat kürzlich Premierminister Donald Tusk hingewiesen. All dies zusammen könnte dazu führen, dass die Entscheidungen über die Auswanderung nicht mehr so einfach und offensichtlich sind wie vor 15 oder 20 Jahren“, sagt Kubisiak.

Innere Sicherheit: Polen ist sicherer als Deutschland

Der Experte hebt einen weiteren Aspekt hervor. „Das wird vielleicht übertrieben, um den heutigen politischen Streit zu befeuern, aber es ergibt sich auch aus den Statistiken. Polen gehört zu den sichersten Ländern in Europa und hat eine der niedrigsten Kriminalitätsraten. Die Bürger fühlen sich einfach sicher bei uns“, erklärt der Experte. Dies bestätigen auch Umfragedaten von Ipsos, bei denen Polen an der Spitze steht, was die Sorgen vor Kriminalität betrifft.

Abwanderung aus Deutschland: Ein Trend, der sich fortsetzt?

„Wenn ich eine persönliche Prognose abgeben sollte, habe ich das Gefühl, dass dies der Beginn eines Trends sein könnte. Aus mehreren Gründen. Auch die Länder unserer Region altern, sodass es immer weniger junge Menschen gibt, die über eine Auswanderung nachdenken“, argumentiert der Experte.

Hinzu kommt die Frage des Zustands der deutschen Wirtschaft. „Die vom Bundeskanzler Merz angekündigten öffentlichen Investitionen könnten keine privaten Investitionen nach sich ziehen, sodass das BIP nicht schnell wachsen wird. Die Erholung der deutschen Wirtschaft wird viel Zeit in Anspruch nehmen“, fügt er hinzu. „So wie früher Großbritannien nach dem Brexit und Irland nach der Finanzkrise ein Ziel polnischer Auswanderer war, so könnten jetzt auch die deutschen Wirtschaftsprobleme den Einwanderungsfluss aus Polen beeinflussen.“

„Unabhängig vom Alter kehren Menschen mit Kapital und Erfahrung nach Polen zurück. Sie werden oft hier investieren müssen, eine Immobilie kaufen und leben, was bedeutet, dass sie Geld ausgeben und zwangsläufig die polnische Wirtschaft stärken. Das ist nur gut für Polen“, schließt Andrzej Kubisiak ab.

Deutscher Experte bestätigt Entwicklung: Polen holt auf

Auch Nils Witte, ein deutscher Kollege vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, sieht darin keinen statistischen Ausreißer, sondern eher eine logische Folge der Entwicklung im Nachbarland. Und die ist wirtschaftlich besser als die in Deutschland: „Das ist ja auch etwas, was in der Europäischen Union eigentlich so gewünscht ist, dass sich die Märkte nach und nach angleichen“, sagt Witte der Tagesschau. „Und genau das passiert.“

Die polnische Wirtschaft holt auf zur deutschen. Und bei genauerer Betrachtung der Zahlen zeigt sich, wie sehr die Attraktivität Deutschlands gelitten hat. Witte stellt fest, „dass die Anzahl der Personen, die Deutschland Richtung Polen verlassen, konstant geblieben ist. Was sich verändert hat: es kommen weniger Polen nach Deutschland.“

Deutschen Arbeitgebern bereitet das Sorgen, halfen doch die Polen seit Jahren dabei, in vielen Branchen die Unterdeckung an Arbeitskräften zu lindern. In der Pflegebranche, auf dem Bau und in vielen anderen Bereichen.

Rückkehrmigration: Polen als Vorbild für den Osten

In Brandenburg arbeiten vergleichsweise viele Polen. Manche sind nach Deutschland umgezogen, viele aber pendeln einfach täglich zur Arbeit. Doch es werde immer schwieriger für Arbeitgeber, polnische Angestellte anzuwerben, berichtet André Fritsche, Hauptgeschäftsführer der IHK Cottbus.

Wenn er vom Nachbarland redet, kann man den Eindruck bekommen, dass er ins Schwärmen gerät. „Polen ist weltweit jetzt auf Platz 20 der Weltwirtschaft.“ Das Land sei inzwischen ganz klar „ein attraktiver Standort für viele, auch wieder zurückzugehen“. Polen klingt bei Fritsche fast wie ein Vorbild für Brandenburg: „Das ist etwas, was auch wir natürlich hier in der Region wollen: dass die Menschen wieder zurückkehren.“

Fazit: Die Bundesrepublik – ein „Failed State“ ?

Polen bietet das, was Deutschland einst auszeichnete: Aufstiegschancen, Wohlstand, Rechtssicherheit und wirtschaftliche Dynamik. Die Rückkehr polnischer Zuwanderer steht symbolisch für den wirtschaftlichen Stillstand und den Sanierungsstau Deutschlands. Auch ehemalige Vorzüge wie soziale Gerechtigkeit können nicht mehr überzeugen. Polen hat Deutschland den Rang abgelaufen. Das haben inzwischen auch deutsche Fachkräfte erkannt.

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Open Source: Warum Gemeinschaftsprojekte die Basis für Innovation bilden

Was einst als Nischenphänomen engagierter Entwickler begann, ist heute ein globales Innovationsökosystem, das von Freiwilligen,...

 

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

DWN
Technologie
Technologie KI im Fokus: Wie Künstliche Intelligenz das Gesundheitswesen günstiger machen könnte
22.10.2025

Künstliche Intelligenz verändert das Gesundheitswesen und könnte Diagnosen schneller und kostengünstiger machen. Besonders in der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Industrie: Was hinter dem Misstrauen gegenüber der Merz-Regierung steckt
22.10.2025

Die deutsche Industrie steht vor einem Nervenzusammenbruch: Energiepreise, Bürokratie und globale Konkurrenz rauben ihr die Perspektive....

DWN
Finanzen
Finanzen US-Aktienmarkt: Warum die nächste Rekordrally näher ist als der Crash
22.10.2025

Nach den Kursstürzen an den Börsen herrscht Unruhe, doch die Panik bleibt aus. Während regionale US-Banken wanken und Investoren über...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Chipkrise durch Nexperia-Lieferstopp: VW warnt vor möglichen Engpässen
22.10.2025

Die Krise um den Chip-Zulieferer Nexperia spitzt sich zu. VW schließt kurzfristige Engpässe nicht mehr aus.

DWN
Immobilien
Immobilien Preisdynamik am Mietmarkt: Mietanstieg auf Immobilienportalen schwächt sich ab
22.10.2025

Die Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt ist hoch, doch die Preisdynamik verlangsamt sich. Was ist die Ursache? Der Experte des Kiel Instituts...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis auf Rekordniveau: Warum Anleger jetzt vorsichtig sein sollten
22.10.2025

Der weltweite Goldhandel boomt wie nie zuvor. Doch hinter glänzenden Preisen lauern Risiken: Gold kann entweder Sicherheit oder Rendite...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Sanierungsfall Webasto: Rettungsplan für den Autozulieferer scheint in trockenen Tüchern
22.10.2025

Der Rettungsplan für den Automobilzulieferer Webasto steht: Der für seine Autodächer und Standheizungen bekannte Zulieferer hat seine...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Luxus im Wandel: Exklusive Erlebnisse lösen materiellen Besitz als Statussymbol ab
22.10.2025

Der Luxusmarkt steht vor einem Wandel. Trotz steigender Vermögen der Superreichen schrumpfen traditionelle Segmente, während sich...