Politik

EU plant Milliarden-Ausgaben für militärische Mobilität in Europa

Lesezeit: 6 min
18.11.2017 01:25
Die EU will mit Milliarden-Ausgaben die militärische Mobilität in Europa erleichtern. US-General Hodges fordert freie Fahrt für die Streitkräfte der Nato.

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Die EU-Kommission will die militärische Mobilität innerhalb des EU-Raums ausbauen, so eine Mitteilung. Zu diesem Zweck soll die Infrastruktur ausgebaut werden. Violeta Bulc, EU-Kommissarin für Verkehr, sagte dazu: „Die EU verfügt über ein modernes Verkehrsnetz, das den Bedürfnissen der Europäer gerecht wird. Diese Bedürfnisse können auch militärischer Natur sein. Die schnelle Bewegung von militärischem Personal und militärischer Ausrüstung wird durch physische, rechtliche und regulatorische Hürden behindert. Dies führt zu Ineffizienzen bei den öffentlichen Ausgaben, zu Verzögerungen, Unterbrechungen und vor allem zu einer größeren Anfälligkeit. Es ist höchste Zeit, zivile und militärische Synergien auch über unser Transportnetz effizient und nachhaltig auszubauen.”

Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten:

“Die wichtigsten Aktionsstränge zur Verbesserung der militärischen Mobilität in der EU sind:

- Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses des Bedarfs und der Anforderungen, die von den Mitgliedstaaten eingehender untersucht und einvernehmlich bestimmt werden müssen;

- Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses der zu nutzenden Infrastruktur und die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Infrastrukturnormen;

- Behandlung relevanter rechtlicher und verfahrenstechnischer Fragen (Zollformalitäten, Gefahrgüter, sonstige rechtliche Beschränkungen, einzelstaatliche Verfahren).

Im Hinblick auf die Infrastrukturpolitik schlägt die EU-Kommission das vorhandene transeuropäische Verkehrsnetz (TEN-V) als Grundlage vor.

Die Hohe Vertreterin und die Kommission werden bis März 2018 einen Aktionsplan zur militärischen Mobilität den Mitgliedstaaten zur Billigung vorlegen. Der Plan wird Empfehlungen zu einzelnen Maßnahmen, zu den ausführenden Akteuren sowie ehrgeizige Fristen enthalten, um die festgestellten Hindernisse für die militärische Mobilität im europäischen Raum abzubauen. Dabei werden auch die Ergebnisse der einschlägigen Ad-hoc-Arbeitsgruppe der Europäischen Verteidigungsagentur herangezogen, die unlängst zur Einholung von Fachwissen eingerichtet wurde.”

Die EU-Kommission argumentiert, dass seit Ende des Kalten Krieges militärische Bewegungen in Europa abgenommen hätten. Allerdings habe sich die Sicherheits-Landschaft verändert. Unter den aktuellen sicherheitspolitischen Bedingungen sei es wichtig, dass europäische Truppen im Rahmen der EU und der NATO die Fähigkeit besitzen, schnell zu handeln. Deshalb müsse die Verkehrsinfrastruktur ausgebaut werden.

Federica Mogherini, die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, sagt, dass die militärische Mobilität zwischen den EU-Staaten in Zusammenarbeit mit der NATO weiter gestärkt werden solle.

Der Plan der EU-Kommission harmoniert mit den Aussagen des Oberbefehlshabers der US-Streitkräfte in Europa, Ben Hodges, vom Januar 2017. Er sagte, dass es eine Notwendigkeit zur Schaffung einer militärischen „Schengen-Zone“ gebe, um US-Kriegsgerät innerhalb der NATO-Grenzen in Europa frei bewegen und transportieren zu können. Diese Forderung diene der logistischen Vereinfachung.

Die FAZ scheibt, die "Ostflanke des Bündnisses" sei "ihr Gefahr" und zitiert Hodges mit dem militärstrategischen Ziel der Nato in Europa:  „Es ist von enormer strategischer Bedeutung, dass sich Streitkräfte in Europa frei und ohne Hindernisse bewegen können. Wir müssen uns genauso schnell oder schneller bewegen können als die russischen Streitkräfte. Dann haben die Politiker im Ernstfall mehr Alternativen als beispielsweise einen Befreiungskrieg im Baltikum.“ Welche militärischen Alternativen die Nato im Hinblick auf Russland sieht, führt Hodges nicht aus.

Die FAZ schreibt, dass die Logistik "eine Hauptrolle" bei den militärischen Planungen spielen werde: "Heute sind Brücken, Bahnwaggons und Bürokratie die Achillesferse der Nato-Streitkräfte, denn trotz Kürzungen in fast jedem Mitgliedsstaat stehen den Nato-Nationen immerhin fast drei Millionen Soldatinnen und Soldaten zur Verfügung." Hodges fordert: „Nato-Streitkräfte sollen sich in Europa so schnell bewegen können wie ein polnischer LKW mit einer Ladung Äpfeln auf dem Weg nach Lissabon.“

Die EU hat in dieser Woche jedenfalls den Grundstein für den Infrastrukturausbau gelegt, der in der Konsequenz der Forderung von US-Präsident Donald Trump entgegenkommt: Trump verlangt, dass die Europäer deutlich mehr Geld für die Nato ausgeben müssten. Die Sprecherin der EU-Kommission konnte zu den genauen finanziellen Implikationen für die europäischen Steuerzahler noch keine Angaben machen. Unklar ist auch, wie sich die Kosten aufteilen. Denkbar wäre, dass ein Teil aus dem EU-Haushalt kommt und einen Teil die Mitgliedsstaaten tragen. Der Präsident des EU-Parlaments hat vor einigen Tagen gefordert, dass der EU-Haushalt um 140 Milliarden Euro erhöht werden müsse. Diese Verdoppelung sei notwendig, damit die EU den aktuellen Herausforderungen gerecht werden könne.

Allerdings wäre das Transportnetz in Europa auch einen Investitionsgedanken wert: Die Unterbrechung der Bahnstrecke im Rheintal durch eine unsachgemäße Baumaßnahme auf deutscher Seite hat vor allem der italienischen Wirtschaft schweren Schaden zugefügt. Die Italiener hatten daher eine europäische Zusammenarbeit im zivilen Bereich gefordert. Eine derartige Planung liegt jedoch noch nicht vor.

Für die militärische Planung dagegen gibt es bereits konkrete Ansätze.

PESCO

Bei der Initiative PESCO („Ständige Strukturierte Zusammenarbeit”) geht es um die Vertiefung der Zusammenarbeit der EU-Staaten im militärisch-sicherheitspolitischen Bereich. An ihr werden 23 von 28 Staaten mitwirken. Nicht involviert sein werden: Großbritannien, Malta, Portugal, Dänemark und Irland.

PESCO verfolgt folgende Ziele:

-          Erhöhung des Verteidigungshaushalts der einzelnen EU-Staaten

-          Anhebung der Rüstungsausgaben am Verteidigungshaushalt auf 20 Prozent

-          Gemeinsame Förderung von Rüstungsprojekten durch den Europäischen Verteidigungs-Fonds

Gemäß einer Mitteilung der EU-Kommission wurde der Europäische Verteidigungs-Fonds im Juni 2017 gegründet. Zur Finanzierung schreibt die EU-Kommission: „Bis 2020 wird die Kommission dem Europäischen Verteidigungsfonds Mittel in Höhe von 590 Millionen Euro zuteilen. Die Kommission schlägt vor, ab 2020 mindestens 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zuzuteilen. Der Fonds soll die Verteidigungsinvestitionen der Mitgliedstaaten nicht ersetzen, sondern ihre Zusammenarbeit ermöglichen und beschleunigen. Zusammen mit den Finanzierungsbeiträgen der Mitgliedstaaten zu gemeinsamen Entwicklungsprojekten könnte der Fonds nach 2020 jährliche Gesamtinvestitionen in Forschung und Fähigkeitsentwicklung im Bereich der Verteidigung von 5,5 Milliarden Euro hervorbringen.”

-          Erhöhung der Ausgaben für die Forschung auf zwei Prozent der Verteidigungsausgaben

-          Verbesserung der Interoperabilität des nationalen Militärs und ihrer Waffensysteme

-          Gemeinsame Finanzierung der Missionen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP)

-          Stärkung der Zusammenarbeit im Bereich der Cyber-Verteidigung

Für die EU-Kampfgruppen (EUBG) und die EUFOR sollen Einsatz-Truppen und Logistik bereitgestellt werden. Dazu meldet auch das Bundesverteidigungsministerium in einer Mitteilung: „So könnten etwa in dem geplanten Sanitätskommando Mediziner flexibler und schneller eingesetzt werden als in dem bisherigen Struktur-Chaos. Ähnlich bei der Logistik. Im Rahmen einer logistischen Drehscheibe sollen die Planer die Transportkapazitäten zu Lande, auf dem Wasser und in der Luft besser einsetzen können. Dann soll ein Netzwerk das Material an seinen Bestimmungsort bringen.”

Die NATO begrüßt PESCO

Das PESCO-Grundsatzdokument wurde von den betroffenen EU-Mitgliedstaaten am 13. November 2017 in Brüssel unterzeichnet. An der Zeremonie in Brüssel nahm auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg teil.

In einem Kurzinterview mit dem englischsprachigen Dienst von Reuters sagte Stoltenberg: „Ich begrüße PESCO und denke, dass dies die europäische Verteidigung stärken wird. Das ist gut für Europa und die NATO. Eine stärkere europäische Verteidigung kann uns dabei helfen, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen (...) und auch die Lastenverteilung innerhalb der Allianz zu verbessern. Dies ist ein Weg, um die europäische Säule innerhalb der NATO zu stärken. Ich begrüße auch die Tatsache, dass sehr viele europäische Staats- und Regierungschefs die Bedeutung verstanden haben, wonach die europäische Verteidigung so entwickelt werden muss, dass sie nicht mit der NATO konkurriert, sondern die NATO ergänzt. Wir brauchen keine Doppel-Strategie, wir brauchen keinen Wettbewerb. Doch wir brauchen (...) eine europäische Verteidigung, die die NATO ergänzt.”

Die Bundesregierung zu PESCO

In einer Mitteilung meldet die Bundesregierung: „PESCO soll die NATO unterstützen und ergänzen. Das transatlantische Bündnis wird von PESCO profitieren, da viele EU-Nationen Mitglieder beider Bündnisse sein werden. Eine effektivere europäische Verteidigungspolitik stärkt damit auch die NATO. Europa sendet durch PESCO ein Zeichen der Bereitschaft, Verantwortung in der Welt zu übernehmen.”

US-Einschätzungen zu PESCO

Das American Enterprise Institute (AEI) führt in einer Analyse aus, dass die US-Regierung PESCO unterstützen und von den Europäern noch mehr Anstrengungen fordern soll. Das AEI wörtlich: „In Verbindung mit dem zu Beginn dieses Jahres gestarteten bescheidenen Europäischen Verteidigungs-Fonds ist PESCO ein Schritt in die richtige Richtung und liegt im Interesse der USA. Ein gemeinsamer europäischer Ansatz für Verpflichtungen in der Verteidigungspolitik ist eine notwendige Voraussetzung dafür, dass die ,europäische Säule’ der NATO ihr Gewicht zeigt.”

Carnegie Europe verteidigt den Standpunkt, dass die unmittelbaren Auswirkungen von PESCO zwar begrenzt, aber nicht belanglos sein werden. Carnegie Europe führt aus: „Das Beste, was man in dieser Phase sagen kann, ist, dass PESCO die europäischen Regierungen unter neuen Druck setzen wird, damit diese mehr für die Verteidigung ausgeben. Es wird den EU-Ländern auch mehr Gründe für die Zusammenarbeit beim Kauf von Rüstungsgütern liefern.”

Das PESCO-Dokument verpflichte die EU-Staaten, europäische Rüstungsfirmen beim Kauf von Rüstungsgütern bevorzugt zu behandeln. Das spiegle die Sorge jener Unternehmen wider, die kritisieren, dass US-Rüstungsunternehmen ihre Güter zwar frei in Europa, doch europäische Rüstungsunternehmen ihre Güter nicht frei in den USA verkaufen können. Es sei verständlich, dass die Europäer gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen wollen. Wenn aber US-Firmen daran gehindert werden, mit europäischen Firmen zu konkurrieren, gehe die Anzahl der potenziellen Rüstungsanbieter für europäische Regierungen zurück. Der Verteidigungsmarkt würde dann zum Verkäufermarkt werden, auf dem der Verkäufer von Rüstungsgütern eine bessere Verhandlungsposition hätte als der Käufer. Dies würde auch zu einem Preisanstieg bei den Rüstungsgütern führen, was sich zum Nachteil der europäischen Regierungen auswirken würde.

Michael Baranovski vom German Marshall Fund weist darauf hin, dass für Polen nach wie vor die NATO maßgeblich sei. In einem Tweet meldet er: „Premierministerin Beate Szydlo drückte ihre stillschweigende Unterstützung für PESCO aus. Sie betonte jedoch, dass ,strategische Autonomie’ nicht die transatlantische, sicherheitspolitische Zusammenarbeit innerhalb der NATO schwächen dürfe”.

Der US-Informationsdienst Stratfor führt in einer Analyse aus, dass es bei PESCO darum gehe, die EU von ihrer Abhängigkeit zum US-Militär „zu entwöhnen” und gleichzeitig die Solidarität unter den EU-Staaten angesichts des Brexits zu untermauern. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben die meisten europäischen Länder ihre Militärausgaben so weit reduziert, dass nur eine Handvoll von ihnen (Griechenland, Vereinigtes Königreich, Estland und Polen) die Zielvorgabe erreicht hat, wonach jeder NATO-Staat zwei Prozent seines BIPs für die Verteidigung ausgeben soll. Die Bündelung von Ressourcen wäre für viele Mitgliedstaaten eine attraktive Option. Eine umfassendere Zusammenarbeit zu verfolgen, bedeutet jedoch nicht, dass die EU über eine eigene Armee verfügen wird. Die Ziele von PESCO sind die Koordinierung der Verteidigungsausgaben, die Bereitstellung nationaler Einheiten für EU-Missionen, die Entwicklung gemeinsamer Fähigkeiten und die Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie. Die Mitgliedstaaten werden die Kontrolle über ihre nationalen Armeen behalten.”


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