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Ein Jahr liegt hinter uns, dass auch aus sicherheitspolitischen Betrachtungen Aufmerksamkeit verlangt. Der Gesellschaft innewohnende Diskrepanzen treten immer mehr zu Tage und schlagen sich nieder in Eierwürfen auf die Kanzlerin, dem Erstarken der AfD sowie den Ergebnissen der Landtagswahlen wie auch der Bundestagswahl. Dazu kommt, dass vollzogene wie auch verhinderte Anschläge den Beweis antreten, dass auch die Bundesrepublik Deutschland terroristischen Gefahren ausgesetzt ist.
Eingebettet ist diese Entwicklung in eine Zeitenwende, in der sich die Überlegenheit und Dominanz der Systeme wieder nach Asien verlagert. Wie das vor der Zeitrechnung schon mal der Fall war. China gewinnt immer mehr an Kraft im Wettbewerb der Staaten, die USA sucht nach ihrem Verständnis, wie sie mit der Kräfteverschiebung umgehen soll und einige wenige multinationale Konzerne konzentrieren immer mehr Macht und Wirtschaftskraft auf sich. Es gibt eine große Vielfalt dessen, wie die westliche Welt auf diese Entwicklung reagiert, bei der man in der Natur sagen würde: Sie ist gekippt.
Als ein ganz wesentliches Problem erscheint, dass die globalen, nationalen und regionalen Eliten der westlichen Welt die Fähigkeiten ihrer Gesellschaften schwächen, in dem Wettbewerb der Systeme mithalten zu können.
Statt ihre Bürger moralisch-ethisch, mental und kreativ-intellektuell aktiv zu stärken und zu nutzen, schwächen sie diese durch einen immer höheren Leistungsdruck. Sie grenzen Anomalien aus. Immer größere soziale Ungleichgewichte, Altersarmut und mediale Uniformität entstehen. Zugleich gewinnen Eingrenzung und Überwachung der freien Entfaltung der Persönlichkeit an Bedeutung. Den dabei entstehenden Spannungen ist man in gleicher Weise bemüht zu begegnen wie in der Landwirtschaft, wo zunächst mit Glyphosat die Biodiversität vernichtet wird und dann die Monokulturen wachsen.
Dies würde, selbst wenn es gelänge, im eigentlichen Wettbewerb keinen positiven Beitrag leisten. Es kann aber, wie die letzten Wahlen andeuten, arg danebengehen und ruft dann die Innenminister, die Bundeswehr und die NATO auf den Plan, um für noch mehr Sicherheit zu sorgen. Wenn westliche Werte wie Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit und Toleranz zunehmend nur noch in den vielfältig ausgestalteten und immer engeren Grenzen von Unfreiheit, Unrecht, Ungleichheit und Intoleranz Bestand haben und für hochflexible, hochleistungsfähige Kampfordnungen ausfallen, so entzieht sich die westliche Welt der daraus bisher erwachsenen Dynamik und Vielfalt.
Die fehlende analytische und konzeptionelle Substanz, die für eine gesellschaftliche Weiterentwicklung notwendig ist, wird immer offensichtlicher. Wesentlicher Grund dafür ist der Entzug souveränen Handelns aus der deutschen Mentalität, der nicht zuletzt auf allen gesellschaftlichen Ebenen aus der Verweigerung resultiert, sich den vielfältigen Problemen auch nur ansatzweise zuzuwenden. Wie aber ein Körper, den man nicht trainiert, erschlafft, verliert eine Gesellschaft seine Widerstandskraft, wenn sie sich nicht in dem übt, was sie immer mehr benötigt.
Dieser Verlust geht mit einer Entwicklung einher, in der sich die Exekutive, die Legislative und die Judikative ihr jeweiliges Handeln gegenseitig legitimieren und als alternativlos diskutieren. Die freiheitliche demokratische Grundordnung degeneriert zu einer Diktatur des Kleingeistes, der dem Zeitgeist den Freigeist entzieht.
In seinem Buch „Schwankender Westen. Wie sich in Gesellschaftsmodell neu erfinden muss“ lotet Udo di Fabio, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, die Zukunft des Westens aus. Wenn er provokant fragt, ob Demokratien den Rechtsstaat deformieren können und sich dafür an den Argumentationen von Weimarer Staatsrechtslehrern reibt, um schließlich schlussfolgern zu können, die „fortwährenden Gegengewichte politischer Herrschaft im Staat funktionierten als öffentliche Meinung oder unabhängige Justiz und Rechtswissenschaft“, so verkennt er die sich schon längst vollziehende Deformation in der Gesellschaft.
Wenn das Recht mehr und mehr zur Rechtfertigung einer Rechtsprechung verfällt, die sich von den verfassungsgemäßen Grundsätzen ebenso entfernt wie von der Harmonie aus Recht und Rechtsprechung; wenn Abgeordnete unter dem Mantel der Staatsräson Neuwahlen scheuen wie der Teufel das Weihwasser, weil sie um ihre Mandate fürchten; wenn die Regierung bar jeglicher visionärer Konzepte nur auf Sicht fährt und die Bürger allenfalls aus einem Versorgungsauftrag heraus statt in der Rolle als Souverän und maßgeblicher Gestalter betrachtet; wenn Exekutive und Legislative keinerlei Kraft entwickeln, für die Souveränität der Nation einzutreten und der Souverän sich nicht in der Lage sieht, das zu veranlassen; dann sind die Grundlagen schon vorhanden, aus denen sich die Allmächtigkeit der politischen Herrschaft ebenso ableitet wie die daraus zwangsweise erwachsende Erosion der Demokratie und in der Folge des daraus erwachsenen Substanzverlustes ihr Untergang für den Fall eines „Immer weiter so“.
Doch dort, wo die gesellschaftlichen Spannungen steigen, die vielfältigen Probleme zunehmend nicht mehr bewältigt werden können; wo die Bereitschaft für Veränderungen immer weiter abnimmt und weder Konzepte noch Köpfe erkennbar sind, die eine Gesellschaft über den Tag hinaus führen und gestalten können - dort wächst das Interesse der Eliten, unter dem Vorwand der Sicherheit für die Bürger noch mehr Sicherheit für die Erhaltung der Zustände zu schaffen. Doch schon Immanuel Kant fragte, wie man die Freiheit bei dem Zwange kultiviert. Benjamin Franklin mahnte, wer die Freiheit aufgeben würde, um Sicherheit zu gewinnen, würde am Ende beides verlieren.
Derartiges Denken scheint zunehmend verloren zu gehen. Wenn in der Folge der NSA-Affäre nicht wenige Betrachter den Eindruck hatten, dass Deutschland ein souveränes Agieren vermissen lässt, so kann diese Sicht ein wenig korrigiert werden.
Hinsichtlich einer mal nach dem Juni 2013 in der Magdeburger Volksstimme veröffentlichten Karikatur, in der ein großer, kräftiger Einbrecher auf einen kleinen Jungen zurückschaut und knurrig sagt, er könne Schmiere stehen- bei dem großen Typen stand „NSA“ dran, bei dem kleinen Jungen „BKA“-, scheint der kleine Junge mit Blick auf das Tun des Großen sich wohl denken: Will ich auch können. Wobei er eventuell vernachlässigt, dass er sich am Ende des Tages wohl mit viel deutschem Steuergeld einen kleinen Tummelplatz geschaffen hat, dieser aber seine ganze Attraktivität erst dadurch so richtig entfaltet, dass mit ihm die globale Sicht sehr viel differenzierter ausgewertet werden kann.
Hans-Peter Friedrichs Eingebung, Sicherheit sei ein Supergrundrecht und hätte Vorrang vor allen anderen Grundrechten ist als Gedanke durchaus gekeimt. Auf der einen Seite entzieht sich der Staat der Verantwortung, im virtuellen Raum die politische und militärische Verantwortung für die Sicherheit seiner Bürger und Unternehmen zu übernehmen. Was umso fragwürdiger ist, als nach wie vor und heute noch sehr viel mehr einer meiner Sätze gilt: Unsere Freiheit wird nicht primär am Hindukusch verteidigt, sondern im virtuellen Raum.
Der Staat sieht sich allein in der Verantwortung, sich über das im IT-Sicherheitsgesetz gesetzte Recht über sicherheitsrelevante Auffälligkeiten ins Bild setzen zu lassen und die Nichteinhaltung eines geforderten IT-Sicherheitsniveaus sanktionieren. Daran ändert auch die mit 13.700 Dienstposten geplante „Teilstreitkraft Cyber“ der Bundeswehr nichts. Deren Auftrag ist explizit nicht die Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland im Cyberraum, also nicht das Ziel, „Deutschlands Souveränität und territoriale Integrität zu verteidigen und seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen“.
Auf der anderen Seite baut sich der Staat unter dem Vorwand der Bekämpfung des Terrorismus immer mehr Kompetenzen auf. Er will die gleichen Fähigkeiten gegenüber seinen Bürgern und der Wirtschaft erlangen, wie sie anderen schon zur Verfügung stehen. Er kann sie vor diesen nicht schützen. Er will jedoch, dass Meldung erstattet wird. Es kann zukünftig nicht ausgeschlossen werden, dass Bürger und Unternehmen dem Staat Vorfälle melden, die auf ihn zurückgehen. Beispielhafte Themen in diesem Zusammenhang sind der Bundestrojaner, die vom Bundesinnenminister geforderten Hintertüren bei der Verschlüsselung und die Gesichtserkennung auf öffentlichen Plätzen. Und das ist sicher nicht das Ende der sicherheitspolitischen Phantasie.
Man muss davon ausgehen, dass derartige Fähigkeiten auch missbraucht werden können. Sie können Schwachstellen beinhalten, die Dritten die Möglichkeit geben, deutsche Unternehmen anzugreifen - nicht zuletzt als Folge der ihnen innewohnenden Komplexität. Die eigentliche Folge dieser Entwicklung ist die vollständige Transparenz jeglicher Aktivität und - wenn solche Bemühungen wie die von Facebook, Gedanken lesen zu wollen, Erfolg haben -, jeglicher Absicht. Was heute bezogen auf einzelne, auffällig gewordene, Bürger und wettbewerblich relevante Unternehmen längst praktizierter Alltag ist, soll als Prozess automatisiert angewandt werden auf die gesamte Gesellschaft. Dieses Tun hat die Bekämpfung des Terrorismus nicht zum Ziel, sondern organisiert ihn als Legitimation.
Das eigentliche Ziel ist nicht der Schutz der Gesellschaft, sondern die Sicherstellung der Beherrschung der Gesellschaft durch die Eliten. Insofern entzieht sich dieses Tun zunehmend jeder demokratischen Legitimation. Es ist in Konsequenz ein Umsturzversuch zum Nachteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Es sind durchaus viele auf den unterschiedlichen Ebenen, die willfährig ihre singulären Beiträge für singuläre Ziele leisten, ohne die bei komplexer Betrachtung erkennbaren strategischen Ziele zu erkennen.
Sicherheit isoliert betrachtet, kennt nur eine Richtung: Mehr Sicherheit. Mehr Gesetze, höhere Bußgelder, mehr Daten, die gespeichert werden müssen, mehr Kontrolle. Einer technischen Infrastruktur darf aber nicht zugestanden werden, sich einfach immer weiter zu entwickeln. Man schafft sie nicht, um darüber ein konstruiertes Super¬grundrecht an Sicherheit zu verwirklichen. Vielmehr schafft man entlang der Vision und dem Wertekanon eine Gesellschaft eine technische Infrastruktur, die deren Maßstäben gerecht wird.
Primäre Leitlinie muss dabei sein, das Supergrundrecht der Bürger einer Nation zu verwirklichen, sich der Sicherung ihrer Grundrechte sicher zu sein- nicht zuletzt der freien Entfaltung der Persönlichkeit, die in vielfältiger Weise Sicherheit voraussetzt.
Dem hat der Staat Rechnung zu tragen und diese Verantwortung kann er nicht an die Bürger und Unternehmen delegieren. Auch in anderen Feldern, etwa beim Gewaltmonopol, legt der Staat die Verantwortung nicht in die Hände der Bürger. Das erfordert aber grundwertekonforme Strategien, die auf den veranlassten Wegen schwer zu erkennen sind.
Es ist an der Zeit, dass die Deutschen sich wieder ihrer Dichter und Denker bewusst werden. Nicht in der Art, in der sie bei Luther versagt haben, sondern der Art, sich selbst als würdig zu erweisen, in einem Land zu leben, das diese Größen hervorgebracht hat und das auf deren Wirken sein Selbstverständnis argumentiert. Wenn beispielhaft Johann Gottlieb Fichte von den Deutschen fordert, sie sollten sich Charakter anschaffen, und argumentiert, Charakter zu haben und deutsch zu sein, müsse gleichbedeutend sein, so ist das Aspekt all dessen, das es in einer Folge von Schritten ermöglicht, die Gesellschaft gesunden zu lassen, die Freiheit zu erhalten und Sicherheit zu gewinnen.
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Bernd Liske ist Inhaber von Liske Informationsmanagementsysteme. In seinen Analysen und Konzepten setzt er sich mit sozialen, politischen und wirtschaftlichen Problemen unserer Gesellschaft auseinander, um so einen Beitrag zur Erhaltung des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu leisten. Seine Bemühungen sind darauf gerichtet, die Leistungsfähigkeit von Individuen und die Wirksamkeit von Strukturen zu stärken. Im BITKOM war er seit dessen Gründung bis Mai 2015 Mitglied des Hauptvorstandes. Im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen bei der Bewältigung der NSA-Affäre wurde er aus dem BITKOM ausgeschlossen, wogegen er gegenwärtig gerichtlich vorgeht.