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Machtkampf in London: Bleibt Russland das Feindbild?

Lesezeit: 4 min
10.07.2018 01:34
Der Rücktritt von Außenminister Johnson dürfte auch mit einem Machtkampf über die künftige Russland-Politik Großbritanniens zusammenhängen.
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Vordergründig geht es bei der britischen Rücktrittswelle um den Austritt Großbritanniens aus der EU: Wenige Stunden nach dem Rückzug von Brexit-Minister David Davis hat am Montag auch der zweite Brexit-Hardliner, Außenminister Boris Johnson, seinen Rücktritt erklärt. Die britische Premierministerin Theresa May sprach von Unstimmigkeiten mit beiden und ernannte rasch Nachfolger. Neuer Brexit-Minister wird Dominic Raab, neuer Außenminister der bisherige Gesundheitsminister Jeremy Hunt.

Die seit der Wahl im vergangenen Jahr angeschlagene May hatte sich nach langem Streit vergangenen Freitag mit ihren Plänen zu einem eher weichen Brexit im Kabinett zunächst durchgesetzt. In der Nacht zum Montag erklärte Davis unter Protest seinen Rücktritt. Er warf der Regierungschefin vor, die Verhandlungsposition ihres Landes in Brüssel zu schwächen und das Votum der Wähler zugunsten des EU-Austritts nicht vollständig umzusetzen.

May nahm den Rücktritt des Ministers am frühen Montagmorgen an. Sie dankte ihm "herzlich" für seinen Einsatz, wies seine Kritik aber entschieden zurück. Zum Nachfolger ernannte sie Raab, bislang Staatssekretär im Bauministerium. Der 44-Jährige war zunächst für den Verbleib der Briten in der EU, änderte dann jedoch seine Meinung und ist heute überzeugter Brexit-Befürworter.

Der Rücktritt von Johnson kam in Großbritannien nicht ganz unerwartet: Bereits im April hatte Gaby Hinsliff im Guardian  von massiver Kritik der Geheimdienste an Johnson gesprochen. Das Zerwürfnis mit den Diensten kam mit der Skripal-Affäre. Diese kritisierten laut Guardian, dass Johnson die Urheberschaft Russlands als Faktum dargestellt, obwohl die Briten keine Beweise vorlegen konnten. Die Dienste hoben hervor, dass May mit ihrer Aussage mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ den Ton besser getroffen habe. Zwischen den Geheimdiensten, deren oberster Chef der Außenminister ist, und Johnson hatte es schon seit längerem Spannungen gegeben. Der Telegraph berichtete 2017, dass die Dienste Johnson nicht vertrauen.

Im vergangenen November berichtete The Daily Mail, dass Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes vorsichtig beim Informationsaustausch mit Boris Johnson sind, weil sie ihm als Außenminister nicht vertrauen würden. Auch seine Mitarbeiter im Außenministerium sollen unzufrieden sein mit Johnson. Das Blatt berichtete im Oktober 2016, dass dieses Misstrauen des britischen Geheimdienstes auch gegenüber dem Brexit-Staatssekretär David Davis gelte.

Als Redakteur von The Spectator veröffentlichte Johnson im Jahr 2001 einen Artikel, der einen Geheimdienstagenten mit dem Pseudonym “Smallbrow” enttarnte. Dabei handelte es sich um den Journalisten der Daily Mail, Dominic Lawson.

Mit der unbewiesenen Behauptung, die Russen hätten Skripal vergiftet, hätte Johnson „Putin einen Propaganda-Sieg beschert“, schrieb Hinsleff nun im Guardian.

In diesem Zusammenhang ist der Zeitpunkt des Rücktritts bemerkenswert: Ausgerechnet einen Tag, nachdem die Briten behaupteten, Russland sei auch für den Tod einer Frau verantwortlich, die angeblich auch mit Nowitschok vergiftet war, verlässt der Außenminister die Kommandobrücke. Dies ist sehr ungewöhnlich. Wären die Geheimdienste überzeugt, einigermaßen belastendes Material gegen die Russen in den Händen zu haben, hätte die britische Regierung in einen ernsthaften Konflikt mit Moskau eintreten müssen. Führungslosigkeit am Höhepunkt einer Schlacht gehört eigentlich nicht zu den britischen Traditionen.

Für Johnson gab es auch ein anderes Problem: Wenn es sich wirklich um eine von Russland angestiftete Vergiftungs-Kampagne gehandelt hat, dann müssten die britischen Dienste erklären, ob sie den Überblick über die Ereignisse im eigenen Land verloren haben. Der Kreml streute auch gleich Salz in die Wunde. Kreml-Sprecher Dimitri Peskow sagte am Montag, dass die Ereignisse in den Großbritannien sehr besorgniserregend seien, weil offenbar ein gefährliches Nervengift in Umlauf sei, vor dem die Bevölkerung doch eigentlich geschützt werden müsse. Moskau bot London die Hilfe bei der der Aufklärung an.

Für Großbritannien kam der neuerliche, äußerst mysteriöse Vorfall zur Unzeit. Am Donnerstag besucht US-Präsident Donald Trump London, weniger Tage später kommt es zum Gipfeltreffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin in Helsinki. Die Briten standen also vor dem Dilemma, gegen die Russen mit schweren Geschützen auffahren zu müssen – ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem der wichtigste Verbündete mit Putin über die Weltlage konferieren will.

Der neue Außenminister Jeremy Hunt dürfte nun vor der schwierigen Aufgabe stehen, die Position der Briten konsistent zu formulieren. Hier spielt der Brexit auch eine Rolle, allerdings nicht nur in der EU-Innenschau. Großbritannien hat seit dem Brexit stets betont, einer der Gründe für den Austritt sei, dass man eigenständige Beziehungen zu allen Staaten auf der Welt aufbauen wolle. Russland ist als Energie-Lieferant für das Vereinigte Königreich wichtig, ebenso das mit Russland verbündete China. Immerhin: Der ehemalige Kulturminister Hunt ist mit einer Chinesin verheiratet und dürfte daher ein gewissen Verständnis für andere Kulturen mitbringen.

Johnson beklagte in seinem Rücktrittsschreiben den Verlauf der Brexit-Verhandlungen. Der Plan Mays für eine enge Beziehung zwischen Großbritannien und der EU nach dem Brexit „läuft auf den Status einer Kolonie hinaus“. Der Brexit hätte eine Gelegenheit sein sollen, Dinge anders zu machen und die besonderen Vorteile der Wirtschaftsmacht Großbritannien zu mehren, schrieb Johnson. „Dieser Traum stirbt, erstickt durch unnötige Selbstzweifel.“

May sagte am Montag im Parlament, es habe mit Johnson und Davis Unstimmigkeiten hinsichtlich des richtigen Weges aus der Europäischen Union gegeben. "Wir stimmen nicht darin überein, was der beste Weg ist, um unsere gemeinsame Verpflichtung aus dem Ergebnis des Referendums zu erfüllen", sagte May mit Blick auf die Brexit-Entscheidung der Briten vom Juni 2016.

In einem von Downing Street veröffentlichten Brief an May begründete Davis seinen Schritt. Besonders kritisch äußerte er sich zu dem im Plan vorgesehenen „gemeinsamen Regelbuch“ für den Freihandel mit der EU. Damit würde die Europäische Union "weite Teile" der britischen Wirtschaft kontrollieren, warnte er.

Dass Davis Bedenken gegenüber dem von ihm als zu weich beurteilten Kurs der Premierministerin hegte, war seit längerem bekannt. Seit Monaten grassierten Gerüchte über den bevorstehenden Rücktritt des 69-Jährigen. Er wünsche nicht ihren Sturz, sagte er der BBC nach seinem Rücktritt. Bei einem Treffen ihrer Fraktion hinter verschlossenen Türen erhielt May am Montag Berichten zufolge Unterstützung.

Oppositionsführer Jeremy Corbyn von der Labour-Partei sagte, die Minister hätten „das sinkende Schiff“ verlassen. May hatte sich im vergangenen Jahr bei vorgezogenen Neuwahlen ein starkes Verhandlungsmandat für den Brexit holen wollen, verlor aber stattdessen ihre absolute Mehrheit. Seither steht sie einer Minderheitsregierung vor.

Von der Beziehung zu Russland war in Hinblick auf die Rücktritte nur indirekt die Rede. Britische Medien spekulierten, ob britische Politiker nach Moskau reisen sollten, falls England das Finale der Fußball-WM erreicht. Die zweite große Spekulation nach dem Paukenschlag bezog sich auf die Wahrscheinlichkeit, dass Johnsons Rückkehr nur eine Frage der Zeit sei und er eigentlich May stürzen wollte. Die Washington Post hält dies zwar für möglich, jedoch nicht für wahrscheinlich. Johnson habe in seiner Amtszeit als Außenminister zu viele Leute verprellt und doch eher den Eindruck eines sprunghaften Clowns als den eines seriösen Politikers hinterlassen.


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