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Thyssenkrupp wird aufgespalten: Chronik eines Abstiegs

Lesezeit: 5 min
30.09.2018 20:55
Der Traditionskonzern Thyssenkrupp wird aufgespalten.
Thyssenkrupp wird aufgespalten: Chronik eines Abstiegs

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Der Traditionskonzern Thyssenkrupp hat als Reaktion auf eine seit Jahren andauernde Krisen-Lage eine Aufspaltung in zwei börsennotierte Unternehmen beschlossen und den langjährigen Finanzchef Guido Kerkhoff nun auch auf Dauer zum Chef ernannt. Der Aufsichtsrat habe den Plänen des Vorstands zugestimmt und zugleich Kerkhoff für fünf Jahre bestellt, teilte der Konzern am Sonntag nach der Sitzung des Kontrollgremiums mit. Zum neuen Chef des Aufsichtsrats sei einstimmig Bernhard Pellens gewählt worden. Der Professor für Betriebswirtschaft und Vize-Präsident der Schmalenbach-Gesellschaft ist seit 2005 Mitglied in dem Gremium. Die Arbeitnehmervertreter erhielten die Zusage, dass auf betriebsbedingte Kündigungen verzichtet werde.

Thyssenkrupp will die Unsicherheit beenden, die seit den Rücktritten von Vorstandschef Heinrich Hiesinger und Aufsichtsratschef Ulrich Lehner im Juli herrscht. Die Suche nach einem AR- und einem Vorstandschef zog sich immer weiter in die Länge. Kerkhoff kennt das Unternehmen und war in den vergangenen Wochen auf Investoren wie dem US-Hedgefonds Elliott und dem schwedischen Finanzinvestor Cevian zugegangen, die mehr Rendite sehen wollen. Dennoch überraschte der zunächst nur zum Interimschef ernannte Manager am Donnerstag mit seinem Vorstoß, das traditionsreiche Industriekonglomerat aufzuspalten.

Aus ThyssenKrupp soll nun zum einen ein Werkstoffkonzern (ThyssenKrupp Materials) mit knapp 40.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von etwa 18 Milliarden Euro entstehen, der sich auf das Stahlgeschäft und den Werkstoffhandel konzentriert. Abgespalten werden die Geschäfte mit Aufzügen, Zulieferungen für die Automobilindustrie und der Anlagenbau. Sie werden in einem Industriegüterkonzern (ThyssenKrupp Industrials) gebündelt, der nach Pro-forma-Zahlen mit rund 90.000 Mitarbeitern einen Umsatz von etwa 16 Milliarden Euro erzielt.

"Wir haben eine verantwortungsvolle Lösung gefunden, die den Interessen von Mitarbeitern, Kunden und Aktionären gleichermaßen gerecht wird", erklärte Kerkhoff. Personalvorstand Oliver Burkhard habe bereits mit den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat eine Grundlagenvereinbarung erzielt. Die Arbeitnehmervertreter zeigten sich zufrieden mit dem Ergebnis. "Thyssenkrupp war keinen Tag führungs- und kopflos. Das hat die einstimmige Entscheidung heute deutlich gezeigt", sagte der stellvertretende Aufsichtratschef Markus Grolms Reuters. Die stellvertretende Konzernbetriebsratsvorsitzende Susanne Herberger betonte, dass durch die Vereinbarung mit dem Vorstand betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen seien. "Mit der heutigen Entscheidung ist eine Zeit der Unsicherheit beendet worden. Ein Ausverkauf ist verhindert worden." Der Reuters vorliegenden Vereinbarung zufolge muss die finanzielle Tragfähigkeit der beiden künftigen Unternehmen gewährleistet sein und von Wirtschaftsprüfergutachten belegt werden.

Auch der größte Einzelaktionär, die Krupp-Stiftung, sagte Kerkhoff bei seinem Kurs Unterstützung zu. "Dieser Vorschlag besitzt eine überzeugende industrielle Logik." Die Stiftung stehe voll hinter dem Vorstand. Cevian, mit 18 Prozent zweitgrößter Einzelaktionär, hatte den Vorstoß ebenfalls befürwortet. Der Cevian-Vertreter im Aufsichtsrat, Jens Tischendorf, werde künftig auch im Prüfungsausschuss sitzen, sagte eine mit der Angelegenheit vertraute Person Reuters. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet hob hervor, dass Arbeitnehmervertreter und Anteilseigner an einem Strang zögen. "Es ist wichtig, dass die Unternehmensführung betont, dass durch die Spaltung des Unternehmens der Erhalt von Arbeitsplätzen nicht gefährdet werden soll."

"Kerkhoff hat gezeigt, dass er veränderungsbereit und seiner alten Linie nicht treu geblieben ist", sagte der Fondsmanager von Union Investment, Ingo Speich, Reuters. Das sei ein Schritt in die richtige Richtung. "Auf der anderen Seite hat er natürlich ein Glaubwürdigkeitsproblem, da er jahrelang eine Aufspaltung abgelehnt hat. Wenn er sich in wenigen Wochen dreht, stellt sich die Frage, wofür er wirklich steht." Für eine Bewertung der geplanten Aufspaltung sei es zu früh. "Was in welchem Zeitraum umgesetzt wird, ist offen. Aber es zeigt, dass man Reformwillen hat und das ist positiv zu bewerten."

Bis zu 18 Monate kann es dauern, ehe eine Hauptversammlung über die Pläne abstimmen soll. Schon die Umsetzung des Stahl-Joint-Ventures mit Tata wird viele Managementkapazitäten binden. Durch den Umbau wird sich der Konzern nun noch stärker mit sich selbst beschäftigen. Und es dürfte teuer werden. Die Experten der HSBC rechnen mit Kosten von rund einer Milliarde Euro. Diese Schätzung sei hoffentlich zu hoch, sagte der Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Thomas Hechtfischer. Da sei selbst die Abspaltung der Kraftwerkstochter Uniper von E.ON günstiger gewesen.

Chronik des Abstiegs

Reuters hat eine interessante Übersicht erstellt, wie Thyssenkrupp in diese schwierige Lage geraten ist:

1998/1999 - Zusammenschluss der beiden mehr als 100 Jahre alten Traditionskonzerne Thyssen und Krupp. Zusammen erzielen sie mit 185.000 Mitarbeitern einen Umsatz von 32 Milliarden Euro und einen Vorsteuergewinn von 616 Millionen Euro.

16. August 2000 - Ein für September geplanter Börsengang der Stahlsparte wird wegen einer schwachen Bewertung abgesagt.

November 2004 - Der Aufsichtsrat genehmigt 50 Millionen Euro für eine Machbarkeitsstudie für ein Stahlwerk in Brasilien. Es soll günstig Rohstahl herstellen, der in der Nafta-Region weiterverarbeitet und an Autokonzerne in den USA verkauft wird.

Frühjahr 2006 - Der Aufsichtsrat beschließt den Bau einer Anlage für Stahl und einer für Edelstahl in den USA.

2007 - Die EU-Kommission verdonnert Thyssenkrupp wegen der Beteiligung an einem Aufzugskartell zu einem Bußgeld von 480 Millionen Euro.

Bilanzjahre 2006/2007 und 2007/08 - Der Konzern fährt im weltweiten Stahlboom Rekordgewinne ein. 2007/08 steigt der Nettogewinn auf 2,3 Milliarden Euro. Die Aktionäre erhalten eine Dividende von 1,30 Euro pro Aktie.

10. Dezember 2010 - Unter dem Motto "ThyssenKrupp Home Alabama" eröffnet Vorstandschef Schulz die beiden Stahl- und Edelstahlwerke. Kosten der Anlagen fünf Milliarden US Dollar.

Januar 2011 - Der ehemalige Siemens-Manager Heinrich Hiesinger übernimmt den Chefposten von Ekkehard Schulz.

Bilanzjahr 2010/11 - Das amerikanische Stahlgeschäft entwickelt sich zum Desaster. Thyssenkrupp schreibt gut zwei Milliarden Euro auf Steel Americas ab. Die Sparte fährt einen operativen Verlust von 3,1 Milliarden Euro ein.

11. Dezember 2011 - Der Konzern verkauft die zivilen Schiffbauaktivitäten von ThyssenKrupp Marine Systems mitsamt der Hamburger Traditionswerft Blohm + Voss an Star Capital.

2011/12 - Thyssenkrupp lagert das Edelstahlgeschäft mit der Weltmarke Nirosta in die Tochter Inoxum aus und stößt diese an Outokumpu ab. Die Transaktion im Volumen von 2,7 Milliarden Euro muss später teilweise rückabgewickelt werden.

Mai 2012 - Hiesinger zieht die Notbremse bei Steel Americas. Die Werke sollen verkauft werden.

Geschäftsjahr 2011/12 - Thyssenkrupp schreibt 3,6 Milliarden Euro auf Steel Americas ab. Der Konzern fährt einen Verlust von 4,7 Milliarden Euro ein. Die Nettofinanzschulden steigen auf 5,8 Milliarden Euro. Die Dividende fällt erstmals aus.

Juli 2012 - Das Bundeskartellamt verhängt wegen des Schienenkartells gegen ThyssenKrupp Gleistechnik GFT ein Bußgeld von 103 Millionen Euro. Hinzu kommen später noch ein weiteres Bußgeld von 88 Millionen Euro und Schadenersatzzahlungen von deutlich über 100 Millionen Euro an die Deutsche Bahn.

30. Juli 2013 - Im Alter von 99 Jahren stirbt Konzern-Patriarch Berthold Beitz. Die Uni-Rektorin Ursula Gather rückt an die Spitze der Krupp-Stiftung, die heute noch mit rund 21 Prozent der größte Einzelaktionär des Konzerns ist.

25. September 2013 - Der schwedische Finanzinvestor Cevian meldet, 5,2 Prozent der Anteile des Konzerns erworben zu haben.

November 2013 - Verkauf des Stahlwerks in den USA für gut eine Milliarde Euro an ArcelorMittal und Nippon Steel.

4. März 2014 - Cevian hält 15,1 Prozent der Anteile. Heutzutage sollen es rund 18 Prozent sein.

17. Januar 2014 - Nach dem erneuten Ausfall der Dividende wird auf der Hauptversammlung erstmals scharfe Kritik an Hiesinger laut. "Hiesinger hat zuviel versprochen", sagen Kritiker. Die Strategie sei unklar.

Bilanzjahr 2013/14 - Mit einem Überschuss von 212 Millionen Euro schreibt der Konzern erstmals seit drei Jahren schwarze Zahlen. Die Aktionäre erhalten eine Dividende von elf Cent je Aktie. Vielmehr ist es danach aber nicht mehr geworden.

Februar 2017 - Mit dem Verkauf des verlustreichen Stahlwerks in Brasilien für 1,5 Milliarden Euro an den Konkurrenten Ternium beendet der Konzern das Stahlabenteuer in Amerika. Insgesamt hatte Thyssenkrupp rund zwölf Milliarden Euro darin investiert. Auch nach Abzug der Verkaufserlöse für die Werke in Brasilien und den USA verblieb unter dem Strich ein Verlust von rund acht Milliarden Euro.

2017 - Der Vorstand räumt ein, mit Tata Steel Gespräche über ein Gemeinschaftsunternehmen zu führen. Tausende Stahlkocher protestieren gegen die Pläne.

Januar 2018 - Cevian ist zunehmend unzufrieden mit Hiesinger und erhöht den Druck. "Die aktuelle Konglomeratsstruktur ist zu komplex und schwerfällig. Das ist die Ursache für die unterdurchschnittliche Leistung von Thyssenkrupp."

24. Mai 2018 - Der US-Hedgefonds Elliott teilt den Erwerb eines größeren Aktienpakets von Thyssenkrupp mit, das aber bis heute nicht die Meldeschwelle von drei Prozent erreicht hat. Thyssenkrupp habe operativ erhebliches Verbesserungspotenzial, erklärt der Fonds.

30.Juni 2018 - Thyssenkrupp und Tata Steel beschließen die Zusammenlegung ihrer europäischen Stahlgeschäfte.

5. Juli - Nur fünf Tage später tritt Hiesinger zurück. In einem Brief an die Mitarbeiter deutet er auf einen fehlenden Rückhalt durch die Großaktionäre Krupp-Stiftung und Cevian hin.

13. Juli - Der Aufsichtsrat ernennt Finanzchef Guido Kerkhoff vorerst zum Vorstandsvorsitzenden.

16. Juli - Nach Hiesinger wirft Aufsichtsratschef Ulrich Lehner das Handtuch. Auch Lehner verweist auf einen mangelnden Rückhalt durch die großen Aktionäre und den Aufsichtsrat.

31. Juli - Wenige Wochen nach dem Rücktritt Hiesingers dampft der Konzern seine Prognose für das Geschäftsjahr 2017/18 ein. Grund hier für sind vor allem die Probleme der Tochter Industrial Solution mit dem Anlagenbau und dem Marinegeschäft.

27. September - Vorstandschef Kerkhoff gibt Pläne zur Aufspaltung in einen Werkstoff- und einen Industriegüterkonzern bekannt.

30. September - Der Aufsichtsrat stimmt der Aufspaltung zu und macht Kerkhoff mit einem neuen Fünf-Jahres-Vertrag zum dauerhaften Vorstandschef. Zum AR-Chef wird Gremiumsmitglied Bernhard Pellens ernannt.

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