Gemischtes

VW machtlos: Aufpasser der US-Justiz gibt in Wolfsburg den Ton an

Seit eineinhalb Jahren überwacht ein amerikanischer Top-Jurist den Kulturwandel bei VW. Jetzt hat der von einem US-Gericht eingesetzte Aufpasser Larry Thompson seinen zweiten Bericht vorgelegt.
21.03.2019 17:21
Lesezeit: 2 min

Laut eines Berichts des Handelsblatts kritisiert Thompson in seinem knapp 200 Seiten starken vertraulichen Bericht VWs Whistleblower-System. Der Autokonzern müsse das Vertrauen der Mitarbeiter in das System stärken. Es müsse sichergestellt werden, dass besorgte Mitarbeiter tatsächlich die Möglichkeit haben, Hinweise auf Fehlverhalten zu geben, ohne dass sie mit Konsequenzen rechnen müssen, und dass die Mitarbeiter auch wirklich wissen, wie und wo sie solche Hinweise abgeben können.

Für die Einleitung der notwendigen Maßnahmen setzt Thompson VW Fristen, die sich zwischen einem und sechs Monaten bewegen. Der Handelsblatt-Titel, in dem steht, dass der US-Aufseher „weiter Druck“ mache, sei unglücklich formuliert, sagte der Volkswagen-Sprecher für den Bereich „Integrität und Rechtsangelegenheiten“, Andreas Meurer, den Deutschen Wirtschaftsnachrichten. Und weiter: „Es gibt keine Missstimmungen, die Zusammenarbeit läuft gut. Natürlich entsteht uns durch seine Anwesenheit viel Arbeit, werden viele Kapazitäten gebunden. Aber er gibt gute Hinweise, liefert viele Ideen.“ Seinen ersten Bericht legte Thompson im August letzten Jahres vor - er ist öffentlich einsehbar.

Thompson wurde 2017 von den amerikanischen Justizbehörden eingesetzt, um die Aufarbeitung des Diesel-Skandals bei VW zu überwachen. Der 73-jährige Amerikaner ist Anhänger der Republikanischen Partei, diente als stellvertretender Justizminister unter Präsident George W. Bush und ist mittlerweile Jura-Professor sowie Partner einer einflussreichen Anwalts-Kanzlei. In einem Interview im Dezember 2017 sagte er: „Damit VW ein hohes Niveau bei Kultur, Integrität und Compliance erreichen kann, müssen die Mitarbeiter verstehen, wofür das Unternehmen steht. Das erfordert viel Training.“ Und weiter: „Wir werden auch die Frage klären müssen, warum dieses verdorbene System so lange Zeit unentdeckt geblieben ist.“

Thompson kommt im Durchschnitt einmal pro Monat für eine Woche nach Deutschland. In Wolfsburg wohnt er im 5-Sterne-Superior-Hotel „Ritz Carlton“. Auf den Werksgeländen in Wolfsburg und Ingolstadt haben VW beziehungsweise Audi ihm jeweils ein Büro eingerichtet. Darüber hinaus stehen dem Top-Juristen zwei VW-Büros in den USA sowie ein Büro an seinem Wohnort in Kalifornien zur Verfügung.

Thompsons Team besteht aus rund 60 Mitarbeitern, darunter US-Juristen, deutsche Juristen (beispielsweise Experten für das deutsche Datenschutzrecht) sowie deutsche Technik-Experten. Thompson - also auch die US-Regierung - hat Zugang zu allen Büros und Dokumenten bei VW und Audi. Der Gesamtkonzern übernimmt auch sein Gehalt (Höhe nicht bekannt). Meurer im Gespräch mit den DWN: „Er ist natürlich kein Angestellter von VW, aber es existiert eine vertragliche Vereinbarung mit VW.“ Insgesamt belaste das Monitoring VW mit Kosten in Höhe von etwa einer halben Milliarde Euro, so Meurer.

VW hatte gegenüber der US-Justiz zugegeben, Behörden und Kunden jahrelang mit falschen Abgas-Angaben betrogen sowie das Umweltrecht verletzt zu haben. Auch, dass er die Justiz behindert habe, hatte der Autobauer gestanden. Der strafrechtliche Vergleich hat ein Volumen von gut 4,7 Milliarden Euro. Insgesamt kostete die Aufarbeitung der weltweit millionenfachen Abgasmanipulation VW bislang knapp 30 Milliarden Euro.

Larry Thompson ist nicht der einzige Aufpasser, den die amerikanische Justiz bei deutschen Großunternehmen eingesetzt hat. So waren oder sind Aufpasser bei Siemens (mit Louis Freeh sogar ein ehemaliger FBI-Chef), bei der Deutschen Bank, der Commerzbank sowie bei Bilfinger tätig. Auch wenn die US-Justiz in Deutschland - zumindest offiziell - über keinerlei Befugnisse verfügt, ziehen deutsche Unternehmen „die Einmischung der USA bei der Verfolgung von Delikten außerhalb der eigenen Grenzen Prozessen in Amerika vor“, zitiert die „Wirtschafts Woche“ einen deutschen Anwalt, der häufig bei amerikanischen Ermittlungen gegen deutsche Firmen konsultiert wird.

Die Aufpasser können weitestgehend schalten und walten, wie sie wollen - sogar an Vorstandssitzungen dürfen sie teilnehmen. Die Möglichkeit, dass dabei Geschäftsgeheimnisse in die falschen Hände gelangen, womöglich Unternehmens-Strategien und technische Innovationen an Konkurrenten gehen, ist nicht auszuschließen - ob es solche Vorfälle bereits gegeben hat, ist nicht bekannt.

Zu Reden gab der Fall der Schweizer Großbank Credit Suisse. Auch diese wurde von einem US-Aufpasser überwacht. Als die vereinbarte Frist seines Aufenthalts verstrichen war, blieb der Jurist einfach und verursachte zusammen mit seinem Team weiterhin Kosten im dreistelligen Millionenbereich für die Bank.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Panorama
Panorama Grillmarkt in der Krise? Holzkohle wird teurer
03.07.2025

Grills verkaufen sich längst nicht mehr von selbst. Nach Jahren des Booms mit Rekordumsätzen schwächelt die Nachfrage. Händler und...

DWN
Finanzen
Finanzen Milliarden für Dänemark – Deutschland geht leer aus
03.07.2025

Dänemark holt 1,7 Milliarden DKK aus Deutschland zurück – ohne die deutsche Seite zu beteiligen. Ein heikler Deal im Skandal um...

DWN
Finanzen
Finanzen Vermögen im Visier: Schweiz plant Enteignung durch Erbschaftssteuer für Superreiche
03.07.2025

Die Schweiz steht vor einem Tabubruch: Kommt die 50-Prozent-Steuer auf große Erbschaften? Die Eidgenossen debattieren über ein riskantes...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Drogeriehandel: Wie dm, Rossmann und Müller den Lebensmittelmarkt verändern
03.07.2025

Drogeriemärkte verkaufen längst nicht mehr nur Shampoo und Zahnpasta. Sie werden für Millionen Deutsche zur Einkaufsquelle für...

DWN
Technologie
Technologie KI-Gesetz: Bundesnetzagentur startet Beratungsservice für Unternehmen
03.07.2025

Die neuen EU-Regeln zur Künstlichen Intelligenz verunsichern viele Firmen. Die Bundesnetzagentur will mit einem Beratungsangebot...

DWN
Panorama
Panorama Sprit ist 40 Cent teurer an der Autobahn
03.07.2025

Tanken an der Autobahn kann teuer werden – und das oft völlig unnötig. Eine aktuelle ADAC-Stichprobe deckt auf, wie groß die...

DWN
Politik
Politik Brüssel kapituliert? Warum die USA bei den Zöllen am längeren Hebel sitzen
03.07.2025

Die EU will bei den anstehenden Zollverhandlungen mit den USA Stärke zeigen – doch hinter den Kulissen bröckelt die Fassade. Experten...

DWN
Finanzen
Finanzen USA dominieren die Börsen
03.07.2025

Die Börsenwelt bleibt fest in US-Hand, angeführt von Tech-Giganten wie Nvidia und Apple. Deutsche Unternehmen spielen nur eine...