Finanzen
Disruptives Szenario erwartet

JP Morgan: Harter Brexit ist nicht im britischen Finanzsystem eingepreist

Der Großbank J.P.Morgan zufolge ist ein harter Austritt Großbritanniens aus der EU nicht im britischen Finanzmarkt eingepreist. Läuft es schlecht, droht den Briten eine hohe Inflation.
24.08.2019 08:26
Lesezeit: 2 min

Nachdem der neue britische Premierminister Boris Johnson erklärt hat, dass Großbritannien am 31. Oktober 2019 „auf Gedeih oder Verderb“ die Europäische Union verlassen werde, fragen sich Beobachter, wie wahrscheinlich ein harter Schnitt ist und was er für Großbritannien und Europa bedeutet.

Karen Ward, Chief Market Strategist EMEA bei [J.P.Morgan] Asset Management vertritt die Meinung, dass ein „No-Deal“-Szenario immer noch nicht in die britischen Märkte eingepreist ist. Sollte es dazu kommen, könnte das britische Pfund Sterling auf einen Kurs von 1,10 zum US-Dollar sinken und die britischen Leitzinsen könnten in Folge der Marktturbulenzen deutlich gesenkt werden.

Zum Euro notiert das Pfund derzeit bei etwa 0.9135 Pfund und damit so schwach wie seit September 2017 nicht mehr.

Allerdings sieht es so aus, als müsste Boris Johnson, um einen No-Deal-Brexit durchzubekommen, die Zusammensetzung des Parlaments durch Wahlen neu ordnen. Die Öffentlichkeit wird mehr über die parlamentarische und Regierungsstrategie wissen, sobald die Parlamentsmitglieder am 3. September aus der Sommerpause zurückkehren. Weil die politischen und wirtschaftlichen Neuigkeiten sich auf kurze Sicht wahrscheinlich verschlechtern, sehen sich auf Pfund lautende Anlagen aus Sicht von [J.P.Morgen] anhaltenden Herausforderungen gegenübergestellt.

Indes wurde der Sunday Times ein vertrauliches Dokument des britischen Kabinetts zugespielt, das Aufschluss gibt über den Ernst der Lage: Demnach rechnet die Downing Street bereits damit, dass die EU Großbritannien ab dem 1. November konsequent als "Drittstaat" behandelt – mit gravierenden wirtschaftlichen und politischen Folgen. Dann würden sämtliche Genehmigungen und Lizenzen, die innerhalb der Gemeinschaft gelten, unmittelbar ihre Gültigkeit verlieren. Damit würden beispielsweise für viele Chemikalien und Arzneimittel neue Einfuhrgenehmigungen gelten, was die exportabhängige Industrie schnell an ihre Grenzen führen würde.

Die Bank of England (BoE) und [J.P.Morgan] gehen bei den Folgen eines ungeordneten Brexits von zwei unterschiedlichen Szenarien aus:

Tabelle

Nach Meinung von Karen Ward ist das „disruptive“ Szenario plausibler als das „ungeordnete“. Die unmittelbarste Auswirkung auf wirtschaftlicher Ebene wäre die Unterbrechung der Lieferketten. Unternehmen müssten sich mit der Zollabwicklung auseinandersetzen und EU-Hersteller würden versuchen, Komponenten von EU-Unternehmen zu beziehen, die offiziell die EU-Vorschriften einhalten. Erwähnenswert ist die Tatsache, dass einer Umfrage der BoE vom Juli zufolge nur ein Fünftel der Befragten angab, dass ihr Unternehmen für einen No-Deal-Brexit vorbereitet sei. Die Sektoren, die am stärksten betroffen sein dürften, sind Lebensmittel und Landwirtschaft, Chemie und Pharma sowie Transport und Transportdienstleistungen.

Der Wertverlust des britischen Pfunds und eine darauffolgende starke Inflation würden die Realeinkommen verknappen und die Konsumausgaben sinken lassen. Dieser Effekt würde sich verstärken, wenn sich das Geschäftsklima verschlechtern und Unternehmen damit beginnen, Stellen abzubauen. Die aktuelle Abkühlung der globalen Wirtschaftsaktivität wäre in dieser Situation alles andere als hilfreich.

J.P.Morgan bewertet die aktuelle politische Situation in Großbritannien als undurchsichtig und deren Entwicklung als schwer prognostizierbar. Von einem Einlenken Johnsons über eine Vertrauensabstimmung bis hin zu Neuwahlen reichen die Optionen. Wenn die Parlamentarier in den kommenden Wochen aus dem Sommerurlaub zurückkehren, wird sich zeigen, wohin die Reise geht.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen Europa-Aktien im Aufschwung: Welche Chancen Anleger jetzt nutzen können
23.11.2025

Die Kapitalmärkte befinden sich im Umbruch, Investoren suchen verstärkt nach stabilen Alternativen. Europa gewinnt dabei durch Reformen,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Autoindustrie in der Krise: Warum die Lage dramatisch ist
23.11.2025

Europas Autohersteller stecken in existenziellen Nöten und Beobachter sprechen schon von einem drohenden Niedergang. Neben den Problemen...

DWN
Technologie
Technologie Experten warnen vor 2035: Plug-in-Hybride sind ein Weg ins Nichts
23.11.2025

Ein neuer französischer Bericht rüttelt an der europäischen Autoindustrie. Plug-in-Hybride gelten darin als teurer, klimaschädlicher...

DWN
Unternehmen
Unternehmen NATO-Ostflanke: Drohnenhersteller Quantum Systems unterstützt die Bundeswehr-Brigade in Litauen
22.11.2025

Der deutsche Drohnenhersteller Quantum Systems expandiert nach Litauen und baut dort ein umfassendes Wartungs- und Logistikzentrum für...

DWN
Technologie
Technologie Digitale Souveränität: Wie Deutschland bei Breitband, 5G und Cloud die Abhängigkeit verringern kann
22.11.2025

Verpasst Deutschland die digitale Zeitenwende? Der Wohlstand von morgen entsteht nicht mehr in Produktionshallen, sondern in...

DWN
Technologie
Technologie Künstliche Intelligenz-Erfinder warnt: „Meine Schöpfung kann uns vernichten“
22.11.2025

Er gilt als einer der „Väter der Künstlichen Intelligenz“ – jetzt warnt Yoshua Bengio vor ihrer zerstörerischen Kraft. Der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Zwischen Škoda-Erfolg und Chinas Einfluss: Was die Abhängigkeit für deutsche Autobauer bedeutet
22.11.2025

Elektromobilität ist längst kein Nischenphänomen mehr, sondern prägt zunehmend den europäischen Massenmarkt. Doch wie gelingt es...

DWN
Panorama
Panorama Weihnachtsmarkt-Sicherheit: Was bringen Beton, Kameras und Co. auf Weihnachtsmärkten wirklich?
22.11.2025

Deutsche Weihnachtsmärkte stehen für Atmosphäre, Tradition und Millionen Besucher. Gleichzeitig wächst die Debatte über Schutz,...