Die türkische Polizei hat Wasserwerfer und Tränengas gegen Demonstranten in Istanbul eingesetzt, die als Zeichen der Solidarität zur Redaktion der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet" ziehen wollten. Tränengaswolken trieben am Samstag im Viertel Sisli, während Polizei-Hubschrauber am Himmel kreisten. Kurz zuvor hatten die türkischen Behörden Haftbefehl gegen "Cumhuriyet"-Chefredakteur Murat Sabuncu und acht weitere führende Mitarbeiter erlassen. Die Sicherheitskräfte nahmen zudem neun weitere Politiker der prokurdischen Oppositionspartei HDP fest.
Wer die Demonstration organisiert hat, ist unklar. Präsident Erdogan verfolgt seit dem Putsch im Juli Gegner der Regierung wesentlich härter. Er vermutet, dass es immer noch ausländische Kräfte gibt, die in stürzen wollen.
Auch international besteht kein Zweifel, dass der Putsch aus dem Militär kam und "echt" war. Die USA hatten sehr kurz nach dem Putsch jede Verantwortung von sich gewiesen und der Türkei ihre volle Unterstützung zugesagt.
Der Beleg für die Echtheit sind nach Ansicht der Türken und der meisten internationalen Beobachter dir 200 Toten, die die Aktion gefordert hat.
In der Türkei ist die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung davon überzeugt, dass die CIA oder andere amerikanische Dienste hinter dem Putsch gestanden sind. Der für den Putsch von Erdogan verantwortlich gemacht Prediger Gülen lebt in den USA.
In Deutschland dagegen hängen etliche Politiker der Interpretation an, dass Erdogan den Putsch selbst inszeniert haben könnte, um seine Macht zu stärken. Diese Auffassung vertritt etwa der grüne Politiker Cem Özdemir: Die Türkei sei "ein Land, das in Richtung islamo-türkische Diktatur abdriftet", sagte Özdemir am Samstag im Deutschlandfunk. Es gehöre zu Erdogans Strategie, die Eskalation voranzutreiben, um den Eindruck zu erwecken, die Bürger in seinem Land seien in Gefahr.
Der Grünen-Chef legte nahe, dass der Umsturzversuch von Mitte Juli im Sinne der türkischen Regierung gewesen sei. Dieser "etwas seltsame Putschversuch"
habe stattgefunden, ohne dass die türkischen Behörden die sozialen Online-Netzwerke blockiert hätten, wie sie es in anderen Situationen bereits getan hätten. "Dann kam der Schlag gegen die kritische Opposition, und jetzt wird die Opposition platt gemacht." Dafür gebe es ein "Drehbuch", das "Erdogan mit seinen Leuten" schreibe.
Özdemir führte aus, im Parlament sei die säkulare Republikanische Volkspartei (CHP) mittlerweile die einzige Oppositionspartei, von der keine Abgeordneten inhaftiert seien. Die CHP habe aber "keine Strategie, weil sie einerseits versucht hat, mit Erdogan gemeinsam gegen den Putsch sich zu stellen, und jetzt quasi merkt, dass sie selbst wahrscheinlich die nächste ist, die dran kommt".
Mit Massenentlassungen werde in der Türkei ein "Klima der Angst" geschaffen, sagte der Grünen-Chef. Jeder Oppositionelle müsse ständig damit rechnen, "dass ihm die wirtschaftliche Grundlage entzogen wird". Besonders schlimm sei die Lage im kurdisch geprägten Südosten des Landes. "Dort werden Leute extralegal hingerichtet, es gibt keinen Richter, es gibt keine polizeilichen Ermittlungen, es gibt keine Presseberichterstattung darüber, weil es das alles eben nicht mehr geben kann in der Türkei", kritisierte Özdemir im Deutschlandfunk.
Der Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, erklärte am Samstag im Kurznachrichtendienst Twitter, er sei "fassungslos über Geschehnisse in unserem Partnerland" Türkei. Europa stehe "für die Stärke des Rechts, nicht das Recht des Stärkeren".
In der Nacht zu Freitag waren bei Anti-Terror-Razzien unter anderem die beiden Vorsitzenden der prokurdischen Oppositionspartei HDP, Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag, sowie mehrere HDP-Abgeordnete festgenommen worden. Trotz der internationalen Proteste wurden am Nachmittag Haftbefehle gegen die beiden Spitzenpolitiker und fünf weitere HDP-Abgeordnete ausgestellt.
Die HDP ist mit 59 Sitzen die drittgrößte Partei im Parlament und die größte politische Vertretung der Kurden. Die türkischen Behörden gehen gegen die HDP im Rahmen von "Anti-Terror"-Ermittlungen wegen mutmaßlicher Kontakte zwischen der HDP und der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vor.