Politik

Flüchtlinge: Merkel verhinderte in letzter Minute Schließung der Grenzen

Im September 2015 waren bereits alle Vorkehrungen getroffen, um die deutschen Grenzen wegen der Flüchtlingsbewegung zu schließen. Doch Bundeskanzlerin Merkel verhinderte den Plan in letzter Minute – aus rechtlichen Bedenken und aus Angst vor „unschönen Bildern“.
07.03.2017 01:52
Lesezeit: 1 min

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Der Journalist Robin Alexander hat ein Buch geschrieben, in dem er die Geschichte der Grenzöffnung für tausende Flüchtlinge recherchiert hat. Unter dem Titel „Die Getriebenen – Merkels Flüchtlingspolitik. Report aus dem Inneren der Macht“ hat der Autor laut Vorabberichten im Standard und in der Welt eine ganz andere Version rekonstruiert als die offiziell bekannte: Demnach hatte sich die Große Koalition am Samstag, den 12. September 2015 um 17.30 Uhr bei einer Telefonkonferenz darauf geeinigt, am 13. September die Grenzen zu Österreich zu schließen. Die Einigung umfasste nicht nur die Wiedereinführung der Grenzkontrollen, sondern auch die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze. An der Konferenz nahmen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Kanzleramtsminister Peter Altmaier, Innenminister Thomas de Maizière, Horst Seehofer, Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel teil.

Aufgrund der Sitzung erstellte die Bundespolizei einen Einsatzbefehl, der die Anweisung enthielt, dass Flüchtlinge ohne die entsprechenden Papiere „auch im Fall eines Asylgesuchs“ zurückzuweisen seien. In der Nacht zum Sonntag wurden Polizeibeamte aus ganz Deutschland an die Grenze beordert, unter anderem mit Bussen und Hubschraubern.

Doch am Sonntag äußerten Beamte des Innenministeriums rechtliche Bedenken. Ihnen dürfte vor allem die Einschränkung des Asylrechts Probleme bereitet haben, weil dies nach Menschenrechtskonvention nicht so einfach außer Kraft gesetzt werden kann. Allerdings stellt die Konvention auf den Einzelfall ab.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière informierte Merkel von den Bedenken der Beamten. Die Kanzlerin „verlangte von ihrem Minister Zusagen, dass die Grenzschließung vor Gerichten Bestand haben würde und es außerdem keine öffentlich schwer vermittelbaren Bilder vom Einsatz der Bundeswehr gegen Flüchtlinge gebe“, so die Welt.

Diese Zusagen konnte de Maizière nicht geben. Daher wurde, nach Rücksprache mit den Koalitionspartnern, in der Folge der Befehl an die Polizei umgeschrieben. Nun wurde angeordnet, dass „Drittstaatsangehörigen ohne aufenthaltslegitimierende Dokumente und mit Vorbringen eines Asylbegehrens die Einreise zu gestatten ist“.

Demnach ist die Öffnung der Grenzen also nicht aus humanitären Erwägungen erfolgt, wie die Kanzlerin in den Monaten darauf immer wieder betont hatte. Vielmehr wurde die bereits vorbereitete Schließung in letzter Minute gestoppt, weil die Bundesregierung die rechtlichen Folgen nicht ausreichend abschätzen konnte. Außerdem wurde die Grenze weit offen gelassen, um keine Bilder der Gewalt um die Welt gehen zu lassen. Über die Verantwortung besteht wenig Zweifel: Sie liegt bei der Bundeskanzlerin, die die Richtlinienkompetenz hat. Merkel hatte zuvor immer wieder öffentlich betont, dass die Grenzen nicht geschlossen werden. Viele europäische Staats- und Regierungschefs haben Merkel diese „Einladung“ vorgeworfen und sich deshalb geweigert, Flüchtlinge aufzunehmen oder aber die Flüchtlinge und Migranten einfach in Richtung Deutschland durchgewunken.

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