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Großbritannien prüft harten Brexit, Freihandel mit den USA

Lesezeit: 3 min
11.10.2017 00:57
Großbritannien verschärft im Poker mit der EU die Gangart. Die deutsche Wirtschaft ist beunruhigt.
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Als Alternative zu einem Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union nach dem Brexit erwägt die britische Regierung einem Zeitungsbericht zufolge den Beitritt zum Nafta-Handelsvertrag. Minister der Regierung würden die Möglichkeit prüfen, sich dem Abkommen der USA, Kanadas und Mexikos anzuschließen, berichtete der "Daily Telegraph" am Dienstag. Die Erwägung gelte für den Fall, dass die Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit der EU scheitern sollten. Das britische Handelsministerium kommentierte den Bericht zunächst nicht.

Ein Freihandelsabkommen mit den USA wäre für die EU unangenehm: Sie wollte eigentlich das TTIP verhandeln, welches jedoch mit der Wahl von Donald Trump zum Stillstand gekommen ist. Eines der Hauptargumente der Briten gegen die EU ist der Umstand, dass Freihandelsabkommen mit der EU sehr lange dauern. Es muss auf viele nationale und regionale Befindlichkeiten Rücksicht genommen werden. Die Briten wolle Abkommen mit Indien, der Türkei und China schließen.

Die Regierung in London peilt ein Freihandelsabkommen im Anschluss an den Brexit an, um Nachteile für die heimische Wirtschaft nach dem EU-Austritt 2019 zu begrenzen. EU-Ratspräsident Donald Tusk zufolge beschäftigt sich die Staatengemeinschaft nicht mit dem Szenario, dass keine Einigung mit Großbritannien gelingt.

Das Freihandelsabkommen Nafta wurde 1994 zwischen den USA, Kanada und Mexiko geschlossen. Der Vertrag wird derzeit überarbeitet. US-Präsident Donald Trump hat mit dem Austritt aus der Vereinbarung gedroht, weil er darin Nachteile für sein Land sieht. Der kanadische Ministerpräsident Justin Trudeau berät mit Trump am Mittwoch in Washington über das Abkommen. In der Nähe der US-Hauptstadt soll zugleich die vierte Verhandlungsrunde zwischen den drei Nafta-Staaten beginnen. Sollte Großbritannien der Freihandelszone beitreten, müsste es sich nach 40-jähriger Orientierung an den EU-Regeln den nordamerikanischen Vorgaben für Dienstleistungen, Waren, Wettbewerbsregel und Datenschutz-Vorgaben unterwerfen.

Die britische Regierung steht unter Zeitdruck, da die EU über das in London angestrebte Freihandelsabkommen erst dann verhandeln will, wenn bei den Brexit-Scheidungsgesprächen ausreichend Fortschritte erzielt wurden. Tusk sagte in Brüssel, er hoffe darauf, dass bis Dezember genug Substanz in diesen Verhandlungen erzielt wird. Die britische Seite hatte dagegen darauf gesetzt, dass beim EU-Gipfel kommende Woche entsprechende Fortschritte festgestellt werden. Tusk sagte, die EU verhandele im guten Glauben und gehe nicht davon aus, dass ein harter Brexit erfolge. "Wir hören aus London, dass die britische Regierung ein 'No deal'-Szenario vorbereitet. Ich möchte sehr deutlich sagen, dass die EU nicht an einem solchen Szenario arbeitet."

Mehrere Verhandlungsrunden in Brüssel haben bisher nur wenig greifbare Ergebnisse hervorgebracht. Die britische Premierministerin Theresa May erwartet einen Abschluss der Brexit-Gespräche erst kurz vor dem EU-Austritt ihres Landes im März 2019. Dem Vertrag müssen vor dem Inkrafttreten alle 28 beteiligten Staaten sowie das EU-Parlament zustimmen.

Trotz der unsicheren Lage will die Mehrheit der Briten einer Umfrage zufolge, dass May zumindest bis zum Abschluss der Austritts-Verhandlungen im Amt bleibt. 57 Prozent der Befragten sind dieser Ansicht, wie aus einer Erhebung des ORB-Instituts für den "Telegraph" hervorgeht. Nur jeder fünfte Befragte hielt demnach Außenminister Boris Johnson für besser geeignet. Das Institut befragte mehr als 2000 Wähler am vergangenen Wochenende.

Die britische Regierung bereitet sich nach Worten von Premierministerin Theresa May auch auf den Fall vor, dass keine Einigung mit der EU über einen Austritt erzielt wird. May sagte vor einigen Tagen in der BBC, die Ministerien stellten für diesen Fall entsprechende Pläne auf. Sie zeigte sich aber zuversichtlich, dass wie geplant bis März 2019 eine Scheidungsvereinbarung zustande kommen werde. Vor einem Parteitag ihrer Konservativen in Manchester sagte sie, das Kabinett arbeite geschlossen daran – auch Außenminister Boris Johnson. Bei dem Treffen muss May mit Gegenwind rechnen, nachdem die Konservativen in der vorgezogenen Wahl Anfang Juni ihre absolute Mehrheit im Unterhaus verloren hatten.

Johnson hatte sich wiederholt für einen schärferen Kurs ausgesprochen und am Samstag seine persönlichen Bedingungen für die Verhandlungen vorgelegt. So dürfe die Übergangsphase höchstens zwei Jahre dauern. Während dieser Zeit dürften Entscheidungen der EU und des Europäischen Gerichtshofes nicht mehr akzeptiert werden. Außerdem lehnte er es ab, für den Zugang zum gemeinsamen Markt nach Ende der Übergangsphase EU-Regeln zu übernehmen oder dafür zahlen.

Ein harter Brexit würde vor allem die deutsche Wirtschaft treffen. Die Vertreter der deutschen Wirtschaft sind wegen der schleppenden Verhandlungen bereits nervös: Nachdem am Donnerstag bereits der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gewarnt hatte, dass deutsche Unternehmen "Vorsorge für den Ernstfall eines sehr harten Ausscheidens treffen" müssten, zeigte sich am Montag auch der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) besorgt. "Ein harter Brexit ist ein denkbares, aber für die Wirtschaft kein akzeptables Szenario", erklärte VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann.

Brodtmann appellierte an beide Seiten, in der fünften Verhandlungsrunde "endlich Ergebnisse zu den Details des Austritts Großbritanniens aus der EU zu liefern". Nötig sei dazu, dass Großbritannien "realistischere Erwartungen an den Brexit und die Zeit danach entwickeln muss", erklärte der VDMA-Chef. Falls die Zeit für eine Einigung bis zum britischen EU-Austritt im März 2019 zu knapp werde, müssten aber auch "Übergangsregelungen" in Betracht gezogen werden.

Für den deutschen Maschinenbau ist Großbritannien laut VDMA der viertwichtigste Auslandsmarkt weltweit mit einem Exportvolumen von 7,4 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Umgekehrt lieferte das Vereinigte Königreich 2016 Maschinenbauprodukte im Wert von 2,4 Milliarden Euro nach Deutschland.


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